Sklaverei im 21. Jahrhundert

Menschenhandel

"A Crime so monstrous ", so tituliert der amerikanische Journalist E. Benjamin Skinner seinen 412 Seiten starken Bericht zur Sklaverei von heute. Auch wenn sie offiziell als abgeschafft gilt - geschätzte 27 Millionen Menschen müssen derzeit in Sklaverei leben.

Einer der Sklavenhalter schnitt einem elfjährigen Jungen die Nase ab, weil er seine Kuh verloren hatte. Nach einem Fluchtversuch trennte ein Hirte seinem Sklaven die Arme ab, ein anderer nagelte einem Jungen die Beine zusammen. Einige Herren brannten ihren Sklaven mit glühendem Eisen ein Zeichen ein, um sie im Falle einer Flucht identifizieren zu können.

Fünf Jahre lang bereiste Benjamin Skinner zwölf verschiedene Länder. Haiti, Kenia, Indien, Transnistrien, die Türkei oder die Niederlande. Sklaven gibt es auf der ganzen Welt, sagt Skinner. Man sieht sie nur nicht. Kindersklaven oder Erwachsene, für den Haushalt, in der Landwirtschaft oder in Fabriken. Menschen, die als Ware verkauft werden und nicht in Freiheit leben. Sie werden von ihren Peinigern getäuscht, bedroht und misshandelt. Sie werden zur Arbeit gezwungen. und erhalten keinen Lohn, sondern nur das, was sie brauchen, um zu überleben. Die Meisten der Sklaven leben in den ärmsten Ländern der Welt. Aber der Menschenhandel ist ein internationales Geschäft. Viele werden verschleppt und in die USA oder Europa verkauft, meistens in die Bordelle der Großstädte.

Zwangsprostituierte aus Transnistrien

"In den Niederlanden erzählte mir eine Zwangsprostituierte, was passiert wäre, wenn sie die Polizei in ihrem Heimatland gebeten hätte, sie aus der Sklaverei zu befreien: 'Wenn sie sich in dieser Lage an die Polizei wenden, verkaufen die sie an die Albaner'. In Transnistrien ist es ein offenes Geheimnis, dass sich Polizisten nach Feierabend als Sklavenhändler betätigen. Dasselbe gilt auch für Moldawien", so Skinner.

Benjamin Skinner interviewte über 100 Menschen. Die meisten von ihnen sind Sklaven oder ehemalige, befreite Sklaven. Aber der Journalist gab sich auch als Menschenhändler aus, als Pädophiler oder Zuhälter, als einer der kaufen möchte. So sprach er auch mit den Tätern und lernte, wie deren Geschäft funktioniert.

Kinderhandel in Haiti
"Das beste Jahr für den Kinderhandel in Haiti war 1995. Damals verkaufte der Menschenhändler Benavil in einer guten Woche zwischen 20 und 30 Kinder. Die meisten Kinder, die Benavil verkauft sind um die 12 Jahre alt. Die jüngsten Sklaven seien sieben Jahre alt, sagt er. Nachdem der Kunde seine Bestellung aufgegeben hat, überredet Benavils Partner eine verarmte Bauernfamilie, ihr Kind herzugeben. Meist reicht das Versprechen, das Kind werde gut ernährt und erhalte eine Schulbildung."

Benjamin Skinners Buch ist nicht nur aber auch eine fast unerträgliche Anhäufung menschlicher Grausamkeit. Manchmal glaubt man, es wäre die Vorlage für einen Horrorfilm, aber die Fußnoten am Seitenende verweisen auf die Wirklichkeit. Man trifft Tatiana, eine Zwangsprostituierte aus Moldawien, erfährt von ihrer Verschleppung, von ihren Verkaufspreisen, von Vergewaltigungen, ihrer täglichen Qual und den gescheiterten Fluchtversuchen.

Psychisch deformierte Opfer
Besondern deprimierend ist die Tatsache, dass die Sklaven, selbst wenn sie befreit werden oder entfliehen können, oft zu keinem besseren Leben finden. Viele kehren wieder zurück in die Sklaverei, weil in der Freiheit nur der Hungertod auf sie wartet. Oder: weil sie sich - traumatisiert und psychisch gestört - in der gewonnenen Freiheit nicht zurecht finden. Die 20-jährige Williathe Narcisse, zum Beispiel, wurde mit 12 Jahren aus ihrer Sklaverei befreit. Skinner beschreibt sie als Kämpferin: "Die Zwangsstörungen begannen kurz nachdem der Staat sie in eine Pflegefamilie gegeben hatte. (...) Sie starrte sich im Spiegel an und schrubbte sich das Gesicht. Sie scheuerte die Arbeitsflächen und stapelte Töpfe, selbst wenn die Küche blitzblank war. Gelegentlich hörte sie Stimmen, die sie aufforderten zu töten."

Strukturelle Ursachen
Skinner zeigt in seiner Arbeit auch auf, wann und warum die Sklaverei in einem Land entstanden ist und wie sie bis heute weiter bestehen konnte. So etwa am Beispiel Transnistriens, des Sudan, Haitis oder Indiens. Auch wenn jedes Land seine eigene Geschichte hat, sind es kurz gesagt Länder, wo die Menschen arm sind, Hunger leiden, keinerlei Bildung haben und Gewalt - vielleicht sogar Krieg - an der Tagesordnung steht. Was noch hin zu kommt: Viele Machthaber leugnen das Problem.

"In einem Jahr sprangen in Singapur 17 Haussklavinnen aus den Hochhäusern, in denen sie gefangen gehalten wurden, in den Tod. Die thailändischen Regierungsvertreter antworteten mir, die Frauen hätten offenbar Schwierigkeiten gehabt, die Wäsche aufzuhängen."

Was tun?
Was kann man gegen die Sklaverei tun? Und wer ist dafür verantwortlich ist? Das sind nicht zuletzt politische Fragen. Ausführlich schildert Skinner in seinem Buch die Bemühungen der US-amerikanischen Behörde für Menschenrechte, gegen die Sklaverei gezielt vorzugehen. Oft scheitert sie dabei in den eigenen Reihen. So kommen Länder, wie Indien oder Saudi-Arabien ungeschoren davon, weil sie ein wichtiger Handelspartner oder ein Verbündeter im Irakkrieg sind. Da drückt das US-Außenministerium in der Frage der Sklaverei lieber ein Auge zu.

Skinner schreibt aber auch von den Erfolgen im Kampf gegen die Sklaverei, von den hunderten Anti-Sklaverei-Gesetzen, die in den letzten zehn Jahren verabschiedet wurden, von 10.000en Schleppern, die hinter Gittern landetetn. Von ehemaligen Sklaven, die Dank des Engagements anderer heute frei leben und sich selbst erhalten können.

"Oft habe ich mich gefragt, ob ich nichts tun konnte, um diese Menschen aus der Sklaverei zu retten. Mit einer einzigen Ausnahme habe ich es unterlassen. Wenn ich nichts unternommen habe, um einzelnen Menschen zu helfen, dann in der Hoffnung, dass ich mit diesem Buch später mehr Menschen helfen kann. Jetzt, da ich diese Worte schreibe, erscheint es mir noch immer wie eine Entschuldigung für meine Feigheit."

Platz für ästhetische Fragen?
Für Benjamin Skinners Buch "Menschenhandel - Sklaverei im 21.Jahrhundert" braucht man Willen zur Auseinandersetzung und Durchhaltevermögen, denn diese 412 Seiten sind schwer zu verdauen. Mit seinem Schreibstil will Skinner das Publikum mitten hineinziehen in seine Geschichte, will es mitleben und mitleiden lassen. Über weite Strecken glaubt man einen Roman zu lesen und kein Sachbuch, denn der Journalist schreibt größtenteils in der Form der Nacherzählung. Manchmal wirkt diese Art zu schreiben pietätlos, wenn Fakten, die ohnehin grausam genug sind, wie in einem Kinofilm stilisiert und ästhetisiert werden.

Jedenfalls ist es Skinner mit seiner Abhandlung gelungen, einen Überblick zu geben und aufmerksam machen. Das Buch verläuft sich aber in der Vielzahl der Aspekte und ihrer Weitläufigkeit. So bleibt am Ende lediglich zu sagen, was man schon hätte vorher wissen können: "Am Ende dieses Buches haben sie die Wahl. Sie können die Geschichten, die sie gelesen haben, aus ihrem Gedächtnis löschen. Oder sie können sich die Hände schmutzig machen. Sie können Abgeordnete und Politiker auffordern, die Abschaffung der Sklaverei zu einem Ziel der Innen- und Außenpolitik Ihres Landes zu machen. Oder sie können die kleine, aber wachsende Zahl von Gruppen unterstützen, die im Kampf gegen die Sklaverei einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen."

Tipp
Ben Skinner unterstüzt mit dem Verkauf seinen Buches die Hilfsorganisation "Free The Slaves" und ihre britische Tochterorganisation "Anti Slavery".

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
E. Benjamin Skinner: "Menschenhandel - Sklaverei im 21. Jahrhundert", aus dem Amerikanischen von Jürgen Neubauer, Gustav Lübbe Verlag

Links
A Crime So Monstrous
Free The Slaves
anti-slavery