Held, Ketzer, Sozialreformer

Wer war Scheich Bedreddin?

Er war Rechtsgelehrter, Philosoph, Mystiker. Er wurde nicht nur von den Herrschenden als Gerechter geachtet, sondern auch von jenen, deren Streitigkeiten er schlichtete. Seine Visionen haben bis heute nichts von ihrer Brisanz verloren.

Scheich Bedreddin lebte in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Wahrscheinlich wurde er am 3. Oktober 1358 geboren, höchstwahrscheinlich in Simavne, einem befestigten Ort in der Nähe von Adrianopel, dem heutigen Edirne. Der Ort seines Todes ist gewiss: Scheich Bedreddin wurde 1420 in Serres im heutigen Griechenland hingerichtet. "Sein Blut ist legitim, sein Besitz ist unrein", lautete das Todesurteil, was soviel bedeutet: Das Leben wird ihm genommen, sein Besitz bleibt unangetastet.

Gefahr für das Establishment

Was hatte Scheich Bedreddin, angesehener Rechtsgelehrter, Sufi und Ehrenmann verbrochen? Er war zur Gefahr geworden. Sultan Musa Tschelebi, der den europäischen Teil des Osmanenreichs beherrschte, hatte ihn zum obersten Militärrichter, zum Kadiasker, berufen. Als Musa von seinem Bruder Mehmed in einem blutigen Bürgerkrieg vom Thron vertrieben worden war, wurden seine Beamten natürlich ebenfalls verbannt.

Bedreddin begann zu schreiben, er verfasste sein philosophisches Hauptwerk Varidat, eine Art Sufi-Katechismus. Darin hatte er sich mit Fragen des Glaubens auseinander gesetzt, aber auch gerechte Verhaltensregeln aufgestellt. Dass man, wenn man zuviel besitzt, dem der darbt, gibt, was er braucht, war keine neue Regel, aber sie elektrisierte seine Anhänger. Und in Windeseile begann sich die Lehre des Teilens in dem von Krieg und Bürgerkrieg und Despotismus zerrütteten Osmanischen Reich zu verbreiten.

Das Imperium schlug zurück

Möglicherweise war dem Sultan Mehmed Tschelebi diese frühkommunistische Bewegung zu gefährlich. Sie bedeutete Aufruhr, bedrohte die Besitzenden und war schließlich eine Gefahr für seinen Thron. Deshalb schickte er ein Heer nach Westanatolien, wo die meisten von Scheich Bedreddins Anhängern unter der Führung von Börklüdsche Mustafa, Bedreddins Freund und Schüler lebten. Sie hatten keine Chance gegen das Heer des Sultans. Die Soldaten töteten die Unbedeutenden und schleppten die Anführer zur Hinrichtung. Scheich Bedreddin, der von seinen Freunden an einen sicheren Ort in der Walachei gebracht worden war, wurde durch List und Verrat gefangen genommen und ebenfalls hingerichtet.

Für ein Todesurteil nach islamischem Recht gab es keine Grundlage, daher wurde er "nach der Tradition" abgeurteilt, durch das Machtwort des Sultans. Fürchtete Mehmed Tschelebi tatsächlich, Scheich Bedreddin würde ihm die Herrschaft streitig machen? Oder fürchteten die Ratgeber des Sultans, dass die Lehren des Propheten durch Bedreddin verwässert würden? Immerhin war das Varidat, Bedreddins Hauptwerk, eines der am weitesten verbreiteten Bücher seiner Zeit. Und im Varidat stand eben nicht nur das Gebot des Teilens, sondern auch die Überzeugung, dass die Welt nicht an sieben Tagen erschaffen worden war, beziehungsweise dass sie nicht im Jüngsten Gericht mit der körperlichen Auferstehung der Menschen enden würde.

Hikmets literarisches Denkmal

Rebell oder Ketzer, ein Held ist Scheich Bedreddin geblieben. Nazim Hikmet, einer der ganz großen Dichter der Türkei, widmete ihm "Das Epos vom Scheich Bedreddin, Sohn des Richters von Simavne". Es war das Werk, das ihn populär machte. Hikmet schrieb es in den Jahren 1933 bis 1935, als er in Bursa wegen seiner Überzeugung in Haft war: Hikmet war Kommunist. Er blieb nicht der einzige, der sich mit Scheich Bedreddin beschäftigte: Der türkische Regisseur Galip Iyintanir erarbeitete 1982 ein Theaterstück "Scheich Bedreddin".

Der in Deutschland lebende türkische Komponist Tahsin Incirci schrieb 1977 ein Oratorium mit dem Titel "Das Epos des Scheich Bedreddin" auf der Grundlage von Hikmets Werk. Und auch der Maler, Bildhauer und Zeichner Ismail Coban beschäftigte sich mit Scheich Bedreddin: Er widmete ihm einen Zyklus großformatiger Zeichnungen, der von der Kritik als ein Meisterwerk der Zeichenkunst des zwanzigsten Jahrhunderts gelobt wurde.

Hör-Tipp
Terra incognita, Donnerstag, 11. Dezember 2008, 11:40 Uhr

Buch-Tipps
Nazim Hikmet, "Hasretlerin Adi - Die Namen der Sehnsucht", Ammann

Nazim Hikmet, "Die Romantiker", Suhrkamp

Links
Nazim Hikmet
Steinberg Recherche - Dogan Göcmen
Ismael Coban