If you pay peanuts, you get monkeys
Die Stunde der Stümper
Mit den "Stümpern" sind nicht erfolglose Manager gemeint, sondern die Blogger, also all jene Menschen, die im Internet eine Art Tagebuch führen und den Journalismus ersetzen wollen. Die Kritik kommt vom Internet-Unternehmer Andrew Keen.
8. April 2017, 21:58
Wie schön wäre es, wenn die Mediennutzer nicht mehr nur Empfänger wären; nicht länger isolierte Individuen, sondern Menschen, die durch das neue Medium miteinander in Beziehung stünden. Nicht mehr nur einen Sender sollte es geben, der alle anderen zu Konsumenten macht, nein, jeder wäre Sender und Empfänger zugleich.
Bert Brechts Visionen, die er Ende der 1920er Jahre in Bezug auf das Radio formulierte, sind 80 Jahre später Realität geworden. Web 2.0 heißt das Zauberwort und viele sehen darin eine wahre Demokratisierung der Medienwelt. Jeder kann etwas sagen; jeder hat die Möglichkeit, sich selbst der ganzen Welt zu präsentieren. Egal ob er oder sie Blogs schreibt, sich selbst auf dem Videoportal YouTube darstellt oder seine Vorlieben auf MySpace veröffentlicht. Das ist doch toll, oder? Ist es nicht, meint Andrew Keen.
Ich habe die letzten zwei Jahre damit verbracht, die Web-2.0-Revolution zu beobachten, und ich bin entsetzt über das, was ich gesehen habe.
Nicht weit her mit der "Weisheit der Vielen"
Das Problem, das sich bei der Egalisierung der Medien ergibt, wurde schon im Rahmen von Brechts Radiotheorie diskutiert. Wenn jeder alles sagen kann, wenn es keinen sogenannten Gate-Keeper mehr gibt – also niemanden, der die Inhalte auswählt -, wie findet man dann das Interessante? Zur Zeit, als Andrew Keen sein Buch schrieb, gab es laut seinen Angaben mehr als 53 Millionen Blogs im Internet. Wer soll all diese Online-Tagebücher lesen? Wie soll man in diesem riesigen Haufen die wenigen wirklich relevanten Informationen finden?
Für Andrew Keen sind die Versprechen des Web 2.0 bloß hohle Phrasen. Zum Beispiel jenes von der "Weisheit der Vielen". Wikipedia ist für ihn das herausragende Beispiel. Jeder kann alles zu jedem Artikel des Online-Lexikons beitragen.
Über 15.000 Personen haben fast drei Millionen Artikel in über 100 verschiedenen Sprachen verfasst, und keiner davon wurde redigiert oder auf seine Richtigkeit überprüft. Im Web von heute, in dem alle Stimmen gleich viel gelten, zählt das Wort des Weisen genauso viel wie das Gestammel des Idioten.
Herausforderung für professionelle Anbieter
Ein weiteres Problem, das mit der vermeintlichen Demokratisierung des Netzes einhergeht, ist der anhaltende Bedeutungsverlust von Inhalten. Niemand will mehr für irgendetwas zahlen. Dass die Musikbranche am Ende ist, ist nichts Neues. Nun aber droht der Kahlschlag auf andere Sparten überzugreifen. Kostenlose Nachrichten, kostenlose Radiosender, kostenlose Videos auf YouTube, kostenlose Kleinanzeigen. All das bedroht nun auch das Kerngeschäft der traditionellen Medien. Das Netz ist zu einer gewaltigen Herausforderung für alle seriösen Anbieter von Inhalten geworden.
In Deutschland zum Beispiel plant der Madsack Verlag bereits die "erste Mitmach-Zeitung". Statt einer Redaktion liefern hauptsächlich Leser selbst die Inhalte. Ihr Zeilenhonorar: null Cent. Das Problem dabei: Gerade im Journalismus gilt, "If you pay peanuts, you get monkeys". Eine gute Reportage gibt es eben nur, wenn der Verlag genug Geld hat, um Journalisten um die Welt zu schicken. Ein fundierter Bericht ist nur dann möglich, wenn der Redakteur genug bezahlte Zeit hat, um zu recherchieren. Deswegen publizieren eben jene Unternehmen, die das meiste Geld haben, für gewöhnlich auch die besten Storys.
Unsere gesamte Kulturökonomie steckt in der Krise. Ich fürchte, wir werden noch erleben, dass die meiste Musik, die wir hören, von Amateurgaragenbands und unsere Filme und das Fernsehen aus dem ach so glorifizierten YouTube kommen. Unsere Nachrichten werden nur noch aus Klatsch über Prominente bestehen, der als Soße für Werbung dient.
Copy and Paste
Man kann Andrew Keens Web-2.0-Abrechnung als ein letztes Aufbäumen der alten Medienwelt lesen. Keen zeigt, was es zu verlieren gibt. Ganz selbstverständlich wird heute angenommen, dass kulturelle Hervorbringungen zu haben sind. Auch geistiges Eigentum hat keinen Wert mehr. Aus dem Netz zu kopieren, Proseminare mittels Copy and Paste zu fabrizieren, das ist Gang und Gäbe und die meisten haben dabei nicht mal ein schlechtes Gewissen. Und selbst Priester halten schon Predigten, die sie aus dem Netz kopiert haben. Oder, wie es Pfarrer Brian Moon aus Florida formulierte:
Wenn man schon ein gutes Produkt hat, warum sollte man dann mit dem Kopf gegen die Wand rennen und versuchen, selbst etwas Gutes zu produzieren?
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Buch-Tipp
Andrew Keen, "Die Stunde der Stümper. Wie wir im Internet unsere Kultur zerstören", aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Helmut Dierlamm, Hanser Verlag