Du kannst dein Leben nicht ändern

Das Leben der Wünsche

Spätestens seit seinem Roman "Die Arbeit der Nacht" wird Thomas Glavinic zu den Stars der heimischen Literaturszene gezählt. Jonas, der Protagonist dieses Romans, ist auch die Hauptfigur in Glavinics neuem Buch "Das Leben der Wünsche".

Drei Jahre ist es her, da ist Thomas Glavinics Roman "Die Arbeit der Nacht" erschienen. Die Hauptfigur des Buches, Jonas, wacht eines Tages auf und bemerkt, dass es außer ihm keine Menschen mehr gibt auf der Welt. Alle sind verschwunden, inklusive seiner Freundin Marie.

Auch im neuen Roman des Grazer Autors, der nun schon seit mehreren Jahren in Wien lebt, heißt die Hauptfigur Jonas, und die von ihm angebetete Geliebte nennt sich Marie. Auch der Einsatz des neuen Buches, entwickelt gleich im ersten Kapitel, ist ähnlich spektakulär: Während er auf einer Parkbank sitzend seine Mittagspause verbringt, wird Jonas unvermittelt von einem recht seltsamen Typen angesprochen. Der Mann, der nach Bier stinkt und auch ansonsten einen eher verwahrlosten Eindruck macht, gibt sich als gute Fee aus dem Märchen: Drei Wünsche, so sagt er, stünden Jonas frei.

Dieser stammelt herum, weiß nicht recht, was er von dem Mann und seinem Angebot halten und noch weniger, was er sich wünschen soll. Schließlich dann doch ein erster Wunsch, bauernschlau: Dass künftig all seine Wünsche und eben nicht nur drei, in Erfüllung gehen mögen. Unsicher bleibt, ob so ein Wunsch auch wirklich gilt.

Ein durchschnittliches Leben

Bevor der Fremde aufsteht und geht, folgen noch zwei Belehrungen: Es gehe nicht darum, was Jonas will (etwa zu wissen, was der Fremde in seinem großen Koffer hat), sondern darum, was er sich wirklich wünscht. Und zweitens möge er seinen Wünschen doch bitte Zeit geben, ab morgen würden sie sich sukzessive in seinem Leben breit machen und langsam erfüllen. Aus dieser Selbständigkeit der Wünsche erklärt sich auch der Titel des Buches: "Das Leben der Wünsche".

Das Leben von Jonas indes ist bislang eher Durchschnitt: In einer Werbeagentur arbeitet er als Texter für die unbedeutendsten Aufträge, wie zum Beispiel den Entwurf von Schuhprospekten. Verheiratet ist er mit Helen, die am Abend aber nicht bei ihm im Bett, sondern lieber mit ihren esoterischen Ölen und Kerzen in der Badewanne liegt. Die beiden Kinder Chris und Tom bringt Jonas in der Früh in den Kindergarten, am Nachmittag holt sie dann eine der beiden Babysitterinnen ab.

Seine Geliebte, die ebenfalls verheiratete Marie, trifft er mehrmals die Woche. Als Geburtstagsgeschenk für ihn lässt sie sich eines Tages oberhalb der Scham den Satz eintätowieren: "I love Jonas forever". Ob denn ihr Ehemann das nicht bemerken würde, fragt Jonas ungläubig: Nein, versichert sie ihm, in diese Bereiche dringe der schon lange nicht mehr vor.

Katastrophen ringsum

Während Jonas das ihm zu Beginn prophezeite Wunscherfüllungsprogramm gleich wieder vergisst, stößt der Autor den Leser an Stellen wie dieser mit der Nase drauf. Auch die Häufung von Unglücksfällen und Katastrophen in der Nähe von Jonas erweckt Verdacht. Zunächst stürzt genau in dem Moment, als er auf den Bildschirm schaut, eine steckengebliebene Seilbahngondel mit zwanzig Menschen in die Tiefe. Dann bedroht ein Asteroid die Erde, mit einer Wahrscheinlichkeit zwischen 1:4.000 und 1:10.000.

Kaum setzt sich Jonas ins Auto, wird vor ihm auf dem Zebrastreifen ein Rastafari von einem heranbrausenden LKW ausgehebelt und durch die Luft geschleudert. Kommt Jonas zu einer Tankstelle, wird die genau in dem Moment brutal ausgeraubt und so weiter und so fort. Eines Tages schließlich liegt seine Frau Helen tot im Badezimmer: einfaches Herzversagen.

Vorkommnisse wie diese, die jeden anderen, wenn nicht aus der Bahn werfen, so doch zumindest irgendwie erschüttern würden, nimmt Jonas mit der größten Gelassenheit hin.

Spiegelung der Wünsche

Wenige Tage, nachdem Helen tot ist, lädt ihn sein Arbeitskollege Werner auf einen Dreier mit seiner Frau Evie ein. Während ihr Mann zuschaut, treibt es Jonas mit ihr, so wie er es mit Marie treibt und so wie er es eigentlich mit der ganzen Welt treibt: ohne etwas zu riechen, ohne etwas zu schmecken, ohne etwas zu fühlen. Zumindest teilt uns der Autor, wie auch schon in seinen früheren Büchern, über die konkreten Wahrnehmungen seiner Figuren nur sehr, sehr wenig mit.

Im routinierten Abschildern konstruierter äußerer Abläufe ist Thomas Glavinic ein Weltmeister, nur muss man eben diese wenig sensible literarische Kunst auch wirklich mögen, um mit einem Buch wie "Das Leben der Wünsche" glücklich zu sein. Am Ende bietet der Roman dann aber doch noch eine Art Exit-Strategie, und das selbst noch für einen so argen Zyniker, wie Jonas einer ist. Ob es denn möglich sei, dass in all den Katastrophen, die sein Leben umgeben, sich die eigenen Wünsche widerspiegeln, fragt er sanft bei sich an. Das Buch, eines der dunkelsten, das Glavinic geschrieben hat, gibt darauf - und das ist gut so - keine klare Antwort. Vielmehr lässt es am Ende die Hauptfigur selbst in einer Riesenkatastrophe verschwinden: ein Erzähl-Tsunami gleichsam, der sich selbst wegspült.

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Hör-Tipp
Ex libris, Sonntag, 16. August 2009, 18:15 Uhr

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Buch-Tipp
Thomas Glavinic, "Das Leben der Wünsche", Hanser

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Thomas Glavinic