Reise in die Vergangenheit

Mutters Dinge

Das Haus still, nur der Klang meiner Schritte: Der Vater vor vier Jahren gestorben und nun auch die Mutter im Pflegeheim. Mein Bruder und ich sortieren, verhökern und entsorgen das ganze Inventar, das Leben der Eltern. Ein paar Dinge aber bleiben.

Das Haus still, nur der Klang meiner Schritte: Der Vater vor vier Jahren gestorben und nun auch die Mutter im Pflegeheim. Zum ersten Mal allein hier, in diesem vollgestellten Einfamilienhaus: 200 Quadratmeter, dazu Keller und Dachboden, seit Jahrzehnten nicht mehr richtig aufgeräumt. Zusammen mit meinem Bruder leere ich das Haus. Wir sortieren, verhökern und entsorgen das Leben der Eltern, das ganze Inventar bürgerlicher Kultur. Ein paar Stücke habe ich mir aber behalten.

Das Marmeladengefäß

Das Marmeladegefäß ist ein Modell der 1950er oder 1960er Jahre und zeigt in stilisierter Form Grapefruits auf weißem Grund. Bei meiner Mutter kam es nur auf den Tisch, wenn Besuch zum Frühstück da war und die gekaufte Marmelade zu dieser Gelegenheit in ein hübscheres Gefäß umgefüllt wurde.

Eigentlich wäre es ideal für Orangenmarmelade, die bei uns immer vorrätig ist, weil sie sogar von den Kindern am liebsten gegessen wird, aber meine Frau bestand darauf, das Gefäß zum Zuckerbehälter zu konvertieren. Das ist auch gut.

Das Brotmesser

Wie es sich damals gehörte, war mein Vater üblicherweise derjenige, der das Brot mit diesem Brotmesser aufschnitt. Als Ende der 1960er Jahre mit Geschirrspüler, Mixer, Eierkocher und Ähnlichem allerhand technische Errungenschaften Einzug hielten, wurde auch eine Brotschneidemaschine angeschafft. Das Messer wurde arbeitslos.

Lange Jahre noch lag es griffbereit, aber unbenutzt in einer Schublade. Irgendwann in den 1980er Jahren, meine Eltern waren längst auf Schnittbrot aus dem Supermarkt umgestiegen, sodass nun auch die Brotschneidemaschine nicht mehr gebraucht wurde, habe ich es mitgenommen. Es ist noch nie geschliffen worden, schneidet aber so scharf wie am ersten Tag.

In meiner Familie scheint sich die Tradition mit Vater als Brotschneider fortzusetzen, denn aus irgendwelchen Gründen schneide ich meistens das Brot.

Der japanische Teller

Weil der japanische Teller nie leer war, habe ich eigentlich auch nie gesehen, dass ein Paar Kraniche mit ihrem Jungen darauf abgebildet sind, die von einem einzelnen fliegenden Kranich beobachtet oder bedroht werden.

Im Haus meiner Eltern diente der Teller als Behälter für alles, was keinen richtigen Platz hatte und dort vorübergehend Aufnahme fand: Zettel, Rechnungen, Post, Sonnenbrillen, Hausschlüssel, Autoschlüssel, Pfefferminz-Rollen. Ein Kramteller. Mich wird er immer an die Unordnung meiner Mutter erinnern: an das Suchen nach Brillen oder Schlüsseln, immer in aufgeregtem, dramatischem Ton.

Der Teller ist japanischer Herkunft, ich glaube mich zu erinnern, dass ein Kenner ihn auf Ende des 19. Jahrhunderts datierte. Nichts besonders Wertvolles jedenfalls. Wie er in mein Elternhaus gekommen ist, weiß ich nicht. Wahrscheinlich über meine Großmutter mütterlicherseits, die selbst ein sehr großes Haus besaß, voller Dinge, die zum Teil von weit her gekommen waren.

Der Wald

Das Bild dürfte aus den 1920er Jahren stammen, gemalt von Albert Haueisen, der an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe unterrichtete und als Spätimpressionist gilt.

Als Kind war ich zutiefst beeindruckt von den bunten Farben, vor allem aber von der wild und dick aufgetragenen Ölfarbe, die dem Bild etwas Plastisches verleiht. Ich erinnere mich, wie ich einzelne Ölspuren manchmal anfasste, weil ich nicht glauben wollte, dass die Farbe wirklich ganz hart und trocken ist.

Ob mich die einfache Symbolik des langen Wegs durch den dunklen Wald, an dessen Ende das erlösende Licht zu sehen ist, besonders angesprochen hat, weiß ich nicht, könnte ich mir aber durchaus vorstellen.

Die Kommode

Im Schlafzimmer meiner Mutter stand immer eine kleine Biedermeier-Kommode. Da meine Mutter uns irgendwie zu verstehen gab, dass das Zimmer für uns tabu sei, habe ich eigentlich zu der Kommode keine Beziehung. Als meine Mutter jedoch ins Pflegeheim übersiedelte, habe ich sie ihr ins Zimmer gestellt. Obwohl ich wusste, dass meine Mutter fast völlig erblindet war und die Kommode nicht mehr wahrnehmen würde, glaubte ich, Ihr einen Gefallen zu tun, indem ich sie mit ein paar bekannten Dingen umgäbe. Beim Transport wunderte ich mich, wie leicht dieses Möbelstück ist.

Als die Mutter dann starb, habe ich die Kommode in unsere Wohnung geholt, weil ich nicht wusste, wohin sonst damit. Erst stand sie weit ab in der Ecke, dann hat meine Frau sie in unser Schlafzimmer gestellt und mir mitgeteilt, dass sie ihr gefällt. Jetzt füllen die Klamotten unseres kleinen Sohnes ihre Schubladen, und so wird sie wohl stehen bleiben.

Hör-Tipp
Hörbilder, Samstag, 17. Jänner 2009, 9:05 Uhr

Link
NDR - Mutters Schatten