Möglichkeiten und Erfahrungen
Das Passivhaus
Durch hohe Energiekosten und unsichere Wirtschaftslage steigt das Interesse an Passivhäusern. Ein Passivhaus ist ein Gebäude, indem der Heizwärmebedarf maximal 15 Kilowattstunden pro Quadratmeter Wohnnutzfläche und Jahr beträgt.
8. April 2017, 21:58
Das Prinzip des Passivhauses ist einfach: So wie Menschen sich im Winter eine warme Jacke anziehen, um ihre Körperwärme nicht zu verlieren, so wird auch ein Gebäude möglichst warm eingepackt, um die Wärmeverluste zu minimieren.
"Altbauten haben einen sehr hohen Transmissionswärmeverlust, das heißt, dass die Wärme von Molekül zu Molekül weitergereicht wird und nach außen gelangt, auch wenn die Wand luftdicht ist. 80 bis 90 Prozent der Wärmeverluste bei konventionellen Gebäuden sind auf diesen Effekt zurückzuführen" erklärt der Bauphysiker und Passivhaus-Pionier Wolfgang Feist. Er ist der Gründer des renommierten Passivhausinstituts in Darmstadt und lehrt seit kurzem an der Universität Innsbruck.
Schon bei den ersten Passivhäusern, die Anfang der 1990er Jahre gebaut und mit einem genauen Messsystem zur Auswertung ausgestattet wurden, zeigte sich, dass eine gut gedämmte Gebäudehülle die wichtigste Komponente ist: "Der Energieverbrauch konnte um 95 Prozent gesenkt werden, und zwar mit Mitteln, die jeder einigermaßen geschulte Handwerker verfügbar hat" erzählt Wolfgang Feist. Seit damals hat sich viel getan, die Bauteile für Passivhäuser wurden laufend verbessert und viele hochwertige Komponenten werden inzwischen in Serie produziert.
Fenster: Drei Scheiben als Standard
Ganz wesentlich für das Funktionieren eines Passivhauses sind die Fenster. "Ein Passivhausfenster braucht einen stärkeren Rahmen, der Platz für eine Isolierschicht bietet" erklärt Berthold Kaufmann vom Passivhausinstitut in Darmstadt. "Statt der üblichen 70 mm Bautiefe sind das 100 bis 120 mm. Außerdem wird im Passivhaus keine Zweifachverglasung verwendet, sondern die Fenster sind mit drei Scheiben ausgestattet." Besonders wichtig ist aber, dass am Glasrand kein Aluminiumsteg angebracht wird, da dieser als Wärmebrücke fungiert und die Wärme nach außen leitet.
Die Behaglichkeit eines Raumes hängt wesentlich damit zusammen, welche Temperatur die Oberflächen haben, also die Wände und die Fenster. Wenn der Unterschied zwischen der Oberflächentemperatur und der Lufttemperatur zu groß ist, entstehen unbehagliche, kühle Luftströme. "Bei einem Passivhausfenster haben wir auch bei kalten Außentemperaturen in der Scheibenmitte 17 Grad und 13 Grad am Glasrand. Bei Zweifachverglasung sind es am Glasrand unter zehn Grad, und das führt auch zur Bildung von Kondenswasser" erklärt Berthold Kaufmann.
Komfort durch gute Luft
Für die Fachleute ist schon lange klar, dass Passivhäuser realisierbar sind, dass sie finanzielle Vorteile und darüber hinaus noch höheren Wohnkomfort bringen. Trotzdem gibt es aber auch noch viele Vorurteile. So hört man zum Beispiel immer wieder, die Luft im Passivhaus sei schlecht, wegen der dichten Gebäudehülle.
"Tatsache ist, dass die im Passivhaus integrierte Lüftung für eine besonders gute Luftqualität sorgt" betont Wolfgang Feist, Bauphysiker und Passivhauspionier. Um Wärmeverluste durch die Frischluftzufuhr zu vermeiden, werden im Passivhaus Lüftungssysteme mit Wärmerückgewinnung eingesetzt. Die Wärme, die in der verbrauchten Luft enthalten ist, wird zum Erwärmen der Frischluft verwendet.
Regionale Wirtschaft profitiert
Österreich hat beim energieeffizienten Bauen derzeit international eine führende Position. Speziell in Tirol ist die Begeisterung für das Bauen im Passivhausstandard spürbar: In Innsbruck wird gerade ein gemeinnütziger Wohnbau mit 354 Wohnungen im Passivhausstandard errichtet. Es ist das derzeit größte Passivhausprojekt in Europa.
Die Interessensgruppe Passivhaus Tirol, ein Netzwerk von Unternehmen, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Philosophie des Passivhauses zu verbreiten und umzusetzen, verzeichnet wie auch die anderen Gruppen in Österreich ein sehr starkes Wachstum, berichtet der Tiroler Vorstandsvorsitzende Albert Lechner: "Wir haben in Tirol vor ca. vier Jahren mit sieben Gründungsmitgliedern gestartet und sind jetzt bei etwa 50 Mitgliedern, Tendenz stark steigend."
Österreichweit sind über 250 Unternehmen der Interessensgruppe beigetreten. Sie spezialisieren sich auf die im Passivhaus gefragten Technologien und treiben so die Entwicklung weiter voran.
Nicht nur Wohngebäude
Der Passivhausstandard ist nicht auf Wohngebäude beschränkt, sondern kann auch in öffentlichen Gebäuden, etwa in Bürohäusern oder Schulen angewendet werden. Der Maschinenbauingenieur Rainer Pfluger, der seit kurzem an der Universität Innsbruck im Fachbereich Bauphysik tätig ist, hat die Raumluftqualität in Schulen untersucht.
In Klassenräumen entsteht während des Unterrichts sehr schnell "dicke Luft", wenn keine Lüftung vorhanden ist. Schulgebäude im Passivhausstandard gewährleisten durch die integrierte Komfortlüftung eine durchgehend gute Luftqualität. Und sie sind sparsam, hat die Gruppe um Rainer Pfluger herausgefunden: "Gegenüber einem konventionellen Schulgebäude kann der Gesamtenergieverbrauch in einem Passivhausschulgebäude um 75 Prozent reduziert werden."
Hör-Tipp
Dimensionen, Mittwoch, 21. Jänner 2009, 19:05 Uhr
Links
Universität Innsbruck - Institut für Konstruktion und Materialwissenschaften
IG Passivhaus Österreich
Passivhausinstitut Darmstadt