Ehrverletzung und Demütigung

Von Achilles bis Zidane

Der Zorn ist zurück. Lange Zeit tabuisiert, entlädt sich dieses Gefühl nun wieder öffentlich. In arabischen Ländern ebenso wie in westlichen Kulturen. Und dieser Zorn hat viele Gesichter. Gesichter, die wir aufgrund der medialen Verbreitung gut kennen.

Der Zorn ist zurück. Ob Naomie Campbell, die publicitywirksam ihre Assistentin mit einem Handy attackiert oder Nicolas Sarkozy, der bei einer Landwirtschaftsschau einen Mann beflegelt, weil er ihm den Händedruck verweigert. Das lang tabuisierte Gefühl wird nun wieder öffentlich gezeigt.

Sind Männer zorniger?

Die Geschichte des Zorns ist mit der Geschichte der Menschheit verbunden. Von Achilles Zorn als Leitmotiv der Ilias bis zu Zinédine Zidans Wutausbruch beim Finale der Fußballweltmeisterschaft im Jahr 2006: Der Zorn scheint männlich besetzt.

Laut Ute Frevert, Direktorin am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, ist der Auslöser das verletzte Ehrgefühl. "In diesem Konflikt kamen die klassischen Ingredienzien eines Ehrkonflikts zum Tragen. Zidane fühlte sich in seiner Ehre beleidigt, weil ein anderer Mann (Anm.: Marco Materazzi) seine Schwester beleidigt hat. Und als Reaktion wird dieser zu Boden gestreckt. Eine Manifestation gekränkter männlicher Ehre."

Ehrverletzung und Demütigung rufen bei Frauen dagegen eher Scham hervor. Physische Ausbrüche sind selten.

Kulturelle Codierung

Dieser Ausdruck des Zorns ist ein kulturell geformtes, erlernbares und wenig variables Phänomen. So hatten die Menschen im Mittelalter wenig Echtheitsanspruch an emotionales Gebären. Das Ausleben von Emotionen war ritualisiert, der Jubel, die Trauer oder eben der Zorn. Die theatralische Überhöhung der Emotion sollte deren Aussagekraft erhöhen.

Technologische Verstärker

Heute sind wieder erregte Massen am Werk. Die Medien spielen hier sowohl als Auslöser, wie auch als Verstärker eine große Rolle. Die Intensität der medialen Darstellung des Zorns hat zugenommen. Das Internet verbreitet die Bilder schnell und macht sie leicht zugänglich. Die Akteure sind homogene Gruppen, mit ähnlicher Altersstruktur und medialen Fertigkeiten.

"Die haben Handys mit Kameras und können so - überspitzt gesagt - tagsüber randalieren und abends die Bilder davon ins Netzt stellen", Heiko Christians, Professor für Medienkulturgeschichte am Institut für Künste und Medien der Universität Potsdam, beschäftigt sich in seinen Studien mit der medialen Verbreitung von Bildern des Zorns.

"Und diese Gruppe von gleichgeschulten, ausgerüsteten Mediennutzern, mit den gleichen Zugangswahrscheinlichkeiten zu modernen Medien, kann diese Bilder dann anschauen und weiß, was sie am nächsten Tag tun muss: Autos umkippen und anzünden und die Polizei attackieren. Und sie wissen auch schon wie die Polizei regieren wird, weil sie die Bilder aus den Nachrichten vom Vortag ja bereits kennen."

Heiko Christians spricht in diesem Zusammenhang von der engen Verknüpfung von Zorntechnologie und Zornverbreitung. Der eigentliche Auslöser spielt in der Folge keine Rolle mehr für den kollektiven Wutausbruch.

Service

Buch, Theodor Itten, "Jähzorn. Psychotherapeutische Antworten auf ein unberechenbares Gefühl", Springer- Verlag, Wien. 2006

Buch, Peter Sloterdijk, "Zorn und Zeit. Politisch - psychologischer Versuch", Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main. 2006

Buch, Heiko Christians, "Amok. Geschichte einer Ausbreitung", Aisthesis Verlag, Bielefeld. 2008