Neun verwobene Geschichten
Ruhm
Mit "Ruhm" ist es Kehlmann gelungen, etwas vollkommen anderes als "Die Vermessung der Welt" und auch etwas für ihn Neues zu machen. In "Ruhm" verbindet der Autor neun Kurzgeschichten zu einem zusammenhängenden und sich ergänzendem Ganzen.
8. April 2017, 21:58
Der Roman "Ruhm" ist eine ungemein intelligente Antwort des Autors Daniel Kehlmann auf den Ruhm, der mit seinem Bestseller "Die Vermessung der Welt" einherging. Einmal deshalb, weil es Kehlmann gelungen ist, etwas vollkommen anderes und für ihn auch Neues zu machen. Spielte "Die Vermessung der Welt" in einer historischen Welt, gesehen natürlich durch eine gegenwärtige Optik, traten darin Philosophen und Wissenschaftler auf, beschreibt "Ruhm" die unmittelbare Gegenwart, das Verhalten von Menschen, von Berühmten und Nicht-Berühmten in einer Welt, wie sie im Fernsehen vorkommt und wie sie den Alltag von vielen bestimmt. Allerdings kippt dieser Alltag in den Traum und er gewinnt traumatische Züge. Das liegt vor allem an der Form des Buches.
Komprimierte Wirklichkeit
Die Kurzgeschichte ist ein faszinierendes Genre: Sie komprimiert die Wirklichkeit auf eine existenzielle Form, das heißt, vieles bleibt offen, nicht selten gerade das Ende der Geschichte. Im Gegensatz zu Romanen: In Romanen wird oft weitschweifig erzählt; der Roman gibt Autoren die Möglichkeit zum gelehrten Exkurs, zum philosophischen Gespräch oder zum Spiel damit. Das gilt für "Die Vermessung der Welt".
Im nun vorliegenden Band ist alles anders. Es ist ein Roman in neun Geschichten. Ein Roman musste es wohl werden, da sich Erzählungsbände schlechter verkaufen und leider ein schlechteres Renommee besitzen als Romane. Es hat mit der Gattungsbezeichnung "Roman" aber durchaus seine Richtigkeit, da die Geschichten ineinander verzahnt sind: Rätsel, die die erste Geschichte aufgibt, werden in einer späteren gelöst. Figuren tauchen mehrmals auf.
Veränderte Kommunikation
Ein zentrales Requisit, das den Fortgang gleich mehrerer Geschichten bestimmt, ist das Handy. Und damit sind wir beim Inhalt: Es geht um die Veränderungen im Kommunikationsverhalten, ausgelöst durch die Neuen Medien, allen voran durch Handy und Internet. Die Geschichten machen anschaulich, dass sich hier eine Veränderung unserer anthropologischen Grundausstattung vollzieht, das Sozialverhalten ändert sich. Der Computerfreak, der sich fast ausschließlich in obskuren Internetforen herumtreibt und dort seinen virtuellen Sprachmüll deponiert, ist da nur das augenscheinlichste Beispiel. Eine der Geschichten handelt von so einer Figur und ihrer Sprachlosigkeit.
Es ist die große Stärke der nordamerikanischen Short-Story-Erzähler, von Großmeistern wie Richard Yates und Raymond Carver, dass sie in dichten Milieubeschreibungen, getragen oft von lakonischen Dialogen, den amerikanischen Alltag der Mittelklasse in den 1960er und 1970er Jahren schonungslos sezieren, um bei grundlegenden Fragen der Existenz landen. Daniel Kehlmann kennt diese Tradition ebenso wie die surrealen Geschichten südamerikanischer Autoren, angeregt hätten ihn auch, so Kehlmann, die Filme Luis Bunuels, die für die Zuseher völlig überraschende Wendungen nehmen. Das tun auch Kehlmanns eigene Geschichten.
Logisch und surreal
In der vielleicht besten Geschichte reist eine bekannte deutsche Krimi-Schriftstellerin, einer offiziellen Einladung folgend, in einen wenig sympathischen Staat irgendwo in Zentralasien und erwacht in einem Albtraum. Die Erzählung behält vom ersten bis zum letzten Satz ihren realistischen Grundton, alles ist logisch: dass das Akku des Handys der Frau sich schnell verbraucht und sie damit von der Außenwelt abgeschlossen ist, dass sie durch einen unglücklichen Zufall von ihrer Reisegruppe getrennt wird, dass sie ohne Geld, Ausweispapiere und Handy kaum mehr eine Chance hat, aus der Provinzstadt, in die es sie verschlagen hat, herauszukommen.
Der logische Fortgang der Geschichte gebiert einen surrealen Albtraum. Angst, Paranoia, ein Zwischenzustand zwischen Wachen und Schlafen verändern das realistische Setting. Schließlich verschwindet die Frau einfach von der Bildfläche, sie bleibt zurück und die Geschichte ist aus. Kehlmann gelingt hier zweierlei: die kafkaeske Realverfassung und die totalitäre Struktur real existierender Staaten zu beschreiben und sein eigentliches Thema, die Vermischung von Traumwelten und Wirklichkeit, durchzuspielen.
Vom Verlust gesicherter Identitäten handeln alle Geschichten: davon, wie zum Beispiel ein berühmter Schauspieler seiner selbst überdrüssig wird und zum schäbigen Double der eigenen Person verkommt. Dieser Ralph Tanner wird nicht mehr als das Original erkannt, er wird von seinem eigenen langjährigen Diener nicht mehr ins Haus gelassen, weil inzwischen sein Imitator sich dort eingenistet hat, der die Ralph-Tanner-Rolle weitaus besser beherrscht als Ralph Tanner selbst.
In fremdem Leben
Kurzgeschichten basieren oft auf einem ganz einfachen Grundeinfall, den sie dann kunstvoll ausbauen. So in der ersten Geschichte "Stimmen", in der ein Handy-Novize, ausgerechnet ein Computertechniker, der sich lange dem Handy verweigert hatte, regelmäßig Anrufe erhält, die einem anderen gelten. Wer dieser andere ist und warum die Anrufe beim falschen Adressaten landen, das wird in zwei späteren Geschichten aufgerollt. Der Angestellt jedenfalls, er heißt Ebling und hat eine Frau und zwei Kinder, wird zusehends in das fremde Leben hineingezogen, da scheint sich etwas abzuspielen, was ihn zusehends fesselt: eine Welt mit gleich mehreren geheimnisvollen Frauen, Verwicklungen, Abenteuer, Ruhm.
Wie sich später, in einer anderen Geschichte, herausstellt, zerstört er unwissentlich das Leben eines Fremden; allein dadurch, dass er den Anrufern banale Antworten nach dem Muster "Mache ich" oder "Wen interessiert das?" gibt, was diese völlig außer Fassung bringt. Eblings Traum vom Ruhm und von einem anderen Leben währt eine kurze Geschichte lang.
Ironisches Alter Ego
Ruhm - natürlich denkt man da an den Ruhm des Autors, dieser Kurzschluss liegt nahe. Es gibt auch eine Alter-Ego-Figur in diesem Roman, den Schriftsteller Leo Richter. Mit Ironie und Sarkasmus ist er gekennzeichnet, als Genie mit deutlichen Schwächen im Alltag. Leo Richter laboriert an der Frage, wo die Grenzen zwischen der eigenen Autobiografie und der Fiktion seiner Erzählungen verläuft. Eine seiner Figuren macht sich gar selbständig, wie etwa in Woody Allens wunderbarem Film "The Purple Rose of Cairo", in dem ein Leinwandheld in den Alltag einer Zuseherin eintritt, die sich in ihn verliebt.
Und noch einen Schriftsteller führt Kehlmann ein, er stammt aus Brasilien und schreibt Bücher über das Einssein mit dem Kosmos, die auf der ganzen Welt verschlungen werden. Mit sichtlicher Lust wird er vom Autor Kehlmann in eine ausweglose Krise getrieben. Wie die ausgeht, bleibt ebenfalls offen. Nur der Ordnung halber sei hinzugefügt, dass der informierte Leser an Paulo Coehlo denken kann.
Kunstvolle Geschichten
Alles also perfekt an diesem Buch? Ja. Und darin liegt paradoxerweise auch seine Schwäche. Alles ist fehlerlos durchkomponiert, alles hat seine Funktion. Jede Geschichte nähert sich dem Generalthema unter einem anderen Aspekt. Souverän spielt Kehlmann mit zahlreichen Bezugsebenen, er ist ein gelehrter Autor. Dadurch wird es manchmal aber auch blass, die existenzielle Krise wird konsumierbar. Dort, wo die Wirklichkeit wirklich real sein soll, in afrikanischen Bürgerkriegen, bei der Arbeit der "Ärzte ohne Grenzen", da erscheint sie als Klischee: als ein Afrika, genauso wie wir es uns vorstellen, wenn wir an Afrika denken. Und das gehört nicht ganz zum Kalkül des Buches.
Den erwähnten nordamerikanischen Erzählern gelingt es, eine erzählerische Atmosphäre zu schaffen, die im Zusammenspiel von Dialogen, der Beschreibung von Dingen, Wohnungen, Landschaften, Städten und der lakonischen Bilanzierung des Geschehens entsteht. Dabei wird die Jämmerlichkeit der Figuren deutlich, ihre Lebenslügen, aber sie erhalten auch einen Glanz, noch in der hoffnungslosesten Geschichte steckt eine kaum formulierbare Hoffnung, dass das Leben auch noch in der Zerstörung seinen Wert besitzt. Diese Dichte, die keine Frage der Gelehrsamkeit oder des perfekten Handwerks ist, sondern eine eigene poetische Kraft, erreichen Kehlmanns Geschichten nur in wenigen Momenten.
Trotzdem: Es sind kunstvolle Geschichten, geschrieben von einem Autor, der sein Handwerk versteht und der seinen großen Bildungshorizont immer ironisch bricht. Das verdient alle Anerkennung, auch wenn der Rummel, den der Verlag um dieses Buch macht - in Wahrheit ist es der Rummel um einen Starautor -, lächerlich ist.
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Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr
Buch-Tipp
Daniel Kehlmann, "Ruhm. Ein Roman in neun Geschichten", Rowohlt Verlag
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