Ein Tag für Felix Mendelssohn-Bartholdy
Entdeckung des Entdeckers
Felix Mendelssohn-Bartholdys Werk lässt sich bis heute in seiner Feinheit und Raffinesse permanent wiederentdecken. Mendelssohn gehörte zur ersten Generation von Kunstausübenden, die gleichzeitig nach vorne und nach hinten blickte.
8. April 2017, 21:58
Bach und Schubert hat er posthum zu Ruhm und Publicity verholfen. Sein eigenes Werk lässt sich bis heute in seiner Feinheit und Raffinesse permanent wiederentdecken - die Musik des neben Joseph Haydn zweiten Jahresregenten 2009, Felix Mendelssohn-Bartholdy.
Am Abend des 11. März 1829 hatte eine riesige Menschenmenge den großen Saal der Berliner Singakademie bis auf den letzten Platz gefüllt. Genau 100 Jahre nach ihrer Uraufführung wurde die Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach erstmals wieder gespielt; Felix Mendelssohn-Bartholdy, der Initiator und Leiter der Aufführung, hatte gerade seinen 20. Geburtstag gefeiert. Die Bach-Renaissance erhielt an jenem Abend den alles entscheidenden Anstoß: Nie wieder hat man ihn vergessen oder in ein Eck gestellt.
Bedeutende Wiederentdeckungen
Mendelssohn hat nicht nur die Matthäus-Passion aufgeführt, sondern auch etliche Oratorien Händels, Bachs Orchestersuiten, Orgelwerke und manches mehr.
Sein diesbezüglicher Tatendrang erschöpfte sich aber nicht in einem Barock-Historismus. Fast exakt zehn Jahre nach der Wiederaufführung der Matthäus-Passion leitete er in Leipzig die Uraufführung der "großen" C-Dur-Symphonie von Franz Schubert. Sein Freund Robert Schumann hatte die Partitur in Wien bei Schuberts Bruder Ferdinand gefunden.
Geburtsstunde des modernen Dirigenten
Sein Wirken als Leiter der Leipziger Gewandhauskonzerte war die Geburtsstunde des modernen Dirigenten. Zeitzeugen berichten von der "feinen Weise", mit der er "durch Miene, Kopf- und Handbewegungen an die verabredeten Schattierungen des Vortrages erinnerte und ihn so mit leiser Gewalt beherrschte (...) Wenn er sich bei den Aufführungen mitunter kleine Abweichungen im Tempo durch improvisierte Ritardandos oder Accelerandos gestattete, so gelangen dieselben in einer Weise, dass man hätte glauben können, die wären in der Probe eingeübt worden".
Herablassende Urteile um 1900
Und der Komponist Mendelssohn? Ist es (nur) der unübertreffbare Meister der Scherzi, der Elfenreigen und des Koboldgelächters? Sind wir von dem herablassenden Urteil der Generation um 1900 frei? Da heißt es etwa: "Mendelssohn hatte nicht die Gabe, sich stark und unmittelbar auszusprechen (...) Sein ganzer Lebenslauf war sonnig vom Urbeginne, er hatte nie Sorgen kennengelernt wie Mozart, man darf sich daher auch nicht wundern, dass die Sonnigkeit seines Lebens auch in den Werken zum Ausdruck kam."
Mendelssohns Zeitgenosse und Freund Robert Schumann schrieb hingegen über ihn: "Er ist der Mozart des 19. Jahrhunderts, der hellste Musiker, der die Widersprüche der Zeit am klarsten durchschaut und zuerst versöhnt."
Blick nach vorne und zurück
Die Widersprüche der Zeit - das scheint es zu treffen. Mendelssohn gehörte zur ersten Generation von Kunstausübenden, die gleichzeitig nach vorne und nach hinten blickte, die historische Wertschätzung der vergangenen Epochen und ihrer Künstler und evolutives Vorwärtsstreben zu vereinigen trachtete. Menschen, die vereinigen, vermitteln, versöhnen wollen, machen sich bei blindwütigen Verfechtern nur einer Wahrheitslehre nicht beliebt...
Und zudem: Man höre Mendelssohns f-Moll-Streichquartett, seine letzten Lieder - und ahnt dann, welches Potenzial in dem mit nur 38 Jahren verstorbenen Musiker vorhanden war. Man höre seine Motetten und Psalmen, die für die gesamte A-cappella-Chor-Musik nach ihm absolut richtungsweisend waren. Und man versteht dann vielleicht eine Beschreibung wie jene Friedrich Nietzsches. Dieser verehrte Mendelssohn "um seiner reineren und beglückteren Seele willen" als den "schönsten 'Zwischenfall' der deutschen Musik".
Hör-Tipp
Dienstag, 3. Februar 2009, Ein Tag für Felix Mendelssohn-Bartholdy, von Guten Morgen Österreich bis zur Ö1 Klassiknacht
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