Mit List und Tücke

Im Fadenkreuz des Schützenfischs

Fressen und gefressen werden. Nach diesem einfachen Gesetz funktioniert die Wildnis seit Anbeginn der Evolution. Doch um als Tier zum überlebensnotwendigen Futter zu kommen, ist oft nicht nur die Fitness entscheidend, sondern auch List und Tücke.

Der junge deutsche Krimi-Drehbuchautor Markus Bennemann hat sich für seine Storys schon viele ungewöhnliche Morde einfallen lassen. Inspirieren ließ sich der studierte Biologe dabei allerdings auch immer wieder aus dem Reich der Fauna. Konsequenterweise hat er "Die raffiniertesten Morde im Tierreich" nun auch als Buch zusammengetragen.

Zierfisch mit Wasserpistole

Täter: Schützenfisch, toxotes jaculatrix. Opfer: Mangrovengrille, apteronemobius asahinai. Tatort: eine Brackwasserzone in einem tropischen Küstengebiet, irgendwo in Südostasien. Die Mangrovengrille versteht nicht, was sie trifft. Es ist kein Wassertropfen, sondern ein ganzer Wasserstrahl, und er kommt auch nicht von oben, wo Nässe und Regen normalerweise herkommen, sondern von irgendwo unter ihr. Der Strahl trifft sie mit solcher Wucht, dass sie senkrecht in die Luft geschleudert wird. Kaum auf dem sonnengemusterten Wasser unter den Mangroven aufgekommen, wird sie auch schon verschluckt.

Der eiskalte Killer: ein völlig harmlos aussehender, silbriger Zierfisch mit einer Wasserpistole im Maul. Diese entsteht, wenn er seine Zunge an den Gaumen legt und damit eine Röhre bildet. Danach zieht er blitzschnell seine Kiemen zusammen, sodass mit hohem Druck Wasser durch diese Röhre gepresst wird. Er steht dabei fast senkrecht unter seinem Ziel an der Wasseroberfläche. Bereit für seinen mörderischen Schuss. Wobei "Mord" in diesem Zusammenhang natürlich das falsche Wort ist. Morden kann ja nur, wer fähig ist, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Zwar stellen neueste Untersuchungen der Hirnforschung immer wieder in Frage, ob wir Menschen überhaupt einen freien Willen besitzen. Bei den Tieren sind sich die Experten allerdings noch einigermaßen einig, dass sie reine Instinktwesen sind und damit für ihre "Taten" nicht verantwortlich gemacht werden können. Sie töten, um nicht selbst zu sterben oder um sich im Kampf gegen einen Rivalen durchzusetzen. Kein Richter der Welt würde sie also dieses kaltblütigen, vorsätzlichen Aktes bezichtigen, den wir gemeinhin unter "Mord" subsumieren.

Verblüffende Ähnlichkeiten

Die außergewöhnlich konstruierten Tötungen im vorliegenden Buch geschehen so planvoll und mit Bedacht, dass sich dem Autor das Wort "Mord" geradezu aufgedrängt hat. Die Parallelen zu tatsächlichen menschlichen Kriminalverbrechen sind auch wirklich verblüffend. Nehmen wir nur die hochintelligente Sepie und ihr raffiniertes Spiel mit den muskelgesteuerten Farbzellen ihrer Haut.

Wenn sie jetzt unmittelbar vor der Krabbe im Wasser schwebt, ist es, als hätte man dem verdutzten Tier eine in tausend bunten Farben angestrahlte Discokugel vor die Nase gehängt. So hat die Sepie alle Zeit der Welt, um schließlich blitzschnell ihre Fangarme vorschießen zu lassen und die unsanft aus ihrer Trance erwachende Krabbe mit einem plötzlichen Ruck zu sich zu ziehen.

Danach würde sich die gefangene Krabbe wahrscheinlich durchaus etwas Hypnose wünschen. Der Tintenfisch lähmt das Tier nämlich und saugt es langsam und genüsslich aus.

High-Tech-Waffen

Wesentlich schneller, aber nicht weniger gewieft geht der Kragenbär im Himalaja vor, wenn es gilt, seinen bevorzugten Leckerbissen, den Kaschmirhirschen, zu fangen. Er rollt sich zu einer Kugel zusammen und stürzt sich ins Schneefeld über der Herde. Die Hirsche flüchten vor der vermeintlichen Lawine, doch für den zögerlichsten unter ihnen ist es meist schon zu spät. Der Bär springt aus seiner Schneekugel wie aus einer Überraschungstorte und fällt über das verdutzte Tier her.

Als Pendant zur berühmt-berüchtigten Roman- und Kinofigur des Serienmörders eignet sich in der Tierwelt der Neuntöter. Der kleine harmlose Vogel tötet im Akkord und pfählt seine Opfer auf einer zur Vorratskammer umfunktionierten Dornenhecke.

Eine wahre High-Tech-Waffe hat der Zitteraal entwickelt, der mit seinen 800-Volt-Stromstößen kurzzeitig alles im Umkreis von einem Meter betäuben kann, aber auch die Schleiereule mit ihren hochsensiblen Radar-Ohren, die es ihr erlauben, Mäuse zu hören, auch wenn sie unter einer dicken Schneedecke krabbeln.

Tarnen und täuschen

Ob Hammerhai oder Stachelrochen, Steinadler oder Schildkröte, Eisbär oder Ringelrobbe, die hier vorgestellten Tiere töten auf derart intelligente Weise, dass man wirklich ins Staunen gerät. Sie tarnen und täuschen, sie verführen mit sexuellen Duftstoffen oder vertrauen auf ungewöhnliche Methoden wie der Pistolenkrebs mit seinem Killerknall, den er neuesten Forschungen zufolge auch für Revierkämpfe einsetzt.

Anders als bei der Jagd auf Garnelen und Fische halten die Krebse bei den Schusswechseln mit ihresgleichen allerdings einen Sicherheitsabstand. Über kleine Härchen auf ihren Scheren spüren sie, wie stark der Wasserstrahl ist, den ihr Gegner auf sie abfeuert. Auf diese Weise können die Duellanten ermitteln, wer von beiden die größere Kanone hat, ohne einander ernsthaft zu verletzen.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Markus Bennemann, "Im Fadenkreuz des Schützenfischs. Die raffiniertesten Morde im Tierreich", Eichborn Verlag

Link
Eichborn - Markus Bennemann