Als Jugendlicher in der Nazi-Ära
Die Freibadclique
Oliver Storz, heute 79, hat eigene Jugenderlebnisse zu einem Roman verdichtet. Wie seine Romanhelden war auch er in seinen Jugendjahren glühender Swing-Fan - im reichsdeutschen Rundfunk, erinnert sich Storz, waren diese Klänge damals nicht zu hören.
8. April 2017, 21:58
Sommer 1944: Vom Krieg bemerkt man wenig in der schwäbischen Kleinstadt, in der Oliver Storz seinen Pubertätsroman angesiedelt hat. Es ist heiß im letzten Kriegssommer, die Wälder knistern vor Trockenheit, die Ferien scheinen endlos, im Radio pfeift Ilse Werner, und während sich die West-Alliierten anschicken, Paris zu befreien, trifft sich der 15-jährige Ich-Erzähler Tag für Tag mit seinen Kumpels Knuffke, Bubu, Zungenkuss und Rosenacher im städtischen Schwimmbad. Mit dem Militarismus der Nazis haben die Halbwüchsigen wenig am Hut, sie verweigern sich der HJ und hören Jazz – und sie begeistern sich für die Reize der 19-jährigen Luftwaffenhelferin Lore, deren Stern im Sommer 1944 am Rande des Sportschwimmbeckens aufgegangen ist.
Lore, eine Nachrichtenhelferin vom Fliegerhorst, sie war blitzblankblau wie die Söderbaum im Kino, aber nicht so tränenkeusch, eher mit sündigen Augen. (...) Als wir aus dem Schwimmbecken kletterten, gab sie Bubu einen Schmatz auf die Backe. Ich hätte auch einen gekriegt, aber in dem Moment kam ihr Fähnrich von der Jagdfliegerschule, und mit dem bummelte sie nach hinten zu den Jasminbüschen. Ich sehe heute noch die Bewegung, mit der sie sich beim Weggehen den roten Badeanzug aus der Poritze zog. Ich litt – fünfzehn war ein Scheißalter.
Glühende Swing-Fans
Oliver Storz, 79, hat eigene Jugenderlebnisse zu einem Roman verdichtet. Storz hat seine Kindheit im württembergischen Städtchen Schwäbisch-Hall verbracht. Wie Knuffke, Bubu und die anderen Romanhelden war auch er in seinen Jugendjahren glühender Swing-Fan. Im reichsdeutschen Rundfunk, erinnert sich Storz, waren die verruchten Klänge damals nicht zu hören:
"Nein, das war über Feindsender, wie das offiziell hieß. Wer das hörte, hat KZ riskiert, das wusste man auch. Es gab etwa von April 44 an in London einen Sender der Amerikaner, der speziell für die Deutschen Nachrichten sendete, wo man auch erste Vermutungen über KZs und so mitbekam, und die brachten zwischendurch wunderbaren amerikanischen Bigband-Jazz, Benny Goodmann, Harry James und so weiter - das war unsere Musik."
Die Flakhelfer-Generation
In seinem Roman "Die Freibadclique" lässt Oliver Storz die letzten Kriegsmonate in der süddeutschen Provinz auf kunstvoll schnodderige Weise noch einmal lebendig werden. Der flapsige Jargon der sogenannten Swingheinis, ihre hochstaplerische Coolness, ihre Verachtung für die mörderische Zackigkeit der Nazis, das alles gewinnt, zumindest auf den ersten 130 Seiten, noch einmal Kontur.
"Uns stand dieses ganze Marschierertum bis hier", erinnert sich Storz. "HJ-Dienst wurde geschwänzt, wo es nur ging. Wer zum HJ-Dienst ging, ohne von der Polizei geholt zu werden, war für uns schon unmöglich."
Oliver Storz ist, wie seine Romanhelden, Jahrgang 1929, darf also noch als Angehöriger der sogenannten Flakhelfer-Generation durchgehen. Storz schildert in seinem Buch, wie Bobo, Knuffke und die anderen nach ihrem letzten großen Freibadsommer doch noch ins Mahlwerk des Kriegs geraten, Knuffke als Zwangsrekrutierter der Waffen-SS, die anderen im sogenannten "Westwall-Einsatz", später beim Volkssturm.
Das Lebensgefühl Heranwachsender
Nach heutigen Begriffen müsste man die 15-, 16-jährigen, die in der Endphase des Kriegs verheizt wurden, als "Kindersoldaten" bezeichnen. Auch Oliver Storz wurde mit 15 Volkssturm-Mann. "Die Angst kam seltsamerweise erst hinterher", erzählt er. "Ich kann mich nicht erinnern, auch als sie uns dann geholt haben zum Volkssturm, dieser lächerlichen Erfindung von Goebbels, wo man kleine Jungs und alte Männer geholt hat, auch da kann ich mich nicht daran erinnern. Wir kamen noch in Feindberührung, in der Nähe von Crailsheim, wo damals kein Stein mehr auf dem anderen stand."
Das alles schildert Storz in seinem Roman mit Einfühlungsvermögen und sicherem Gespür für das Lebensgefühl Heranwachsender, das sich ja durch die Zeiten und Epochen hindurch in seinen Grundzügen wenig ändert.
Leider stürzt der Roman im letzten Drittel grausam ab. Eine kolportagehafte Liebesgeschichte zwischen dem zum Schwarzmarkthändler avancierten Kriegsheimkehrer Knuffke und der Geliebten eines CIC-Captains wirkt alles andere als glaubwürdig. Man wundert sich, warum das Lektorat des Verlags SchirmerGraf den Autor nicht daran gehindert hat, sein Buch durch diese groschenromanhaften Wendung nachhaltig zu beschädigen. Wäre dieses Schlussdrittel anders, glaubhafter ausgefallen, Oliver Storz hätte einen wirklich grandiosen Roman geschrieben.
Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr
Buch-Tipp
Oliver Storz, "Die Freibadclique”, Verlag SchirmerGraf
Link
SchirmerGraf - Die Freibadclique