Wie Bertrand Cantat Marie Trintignant erschlug
Protokoll eines Totschlages
Bis zu der tragischen Sommernacht im Jahr 2003 verwöhnte das ungleiche Paar die französischen Massenmedien. Sie, die Schöne aus gutbürgerlicher Pariser Schauspielerdynastie, er, ein aus der Arbeiterklasse stammender links-intellektueller Rocksänger.
8. April 2017, 21:58
Bertrand wurde kurz nach Mitternacht aus der Haft entlassen, gute Führung harte Bewährungsauflagen. Der Schlagzeuger seiner Band hat ihn abgeholt.
Bertrand Cantat, der Sänger der französischen Rockband Noir Desir, ist frei. Im Oktober 2007, nach vier Jahren Haft im litauischen Vilnius und im südfranzösischen Muret, wird seine Strafe - nach der Hälfte der Zeit - zur Bewährung ausgesetzt. Seine Entlassung empfinden jene als Provokation, die in ihm den Mörder von Marie Trintignant sehen, Tochter der Filmdynastie um Jean Louis und Nadine Trintignant.
Ein ungleiches Paar
Bertrand und Marie lernen sich 2002 bei einem Auftritt von Noir Desir kennen. Der Beginn einer unbedingten und überstürzten Liebe. Marie verlässt ihren Ehemann, den Filmproduzenten und Vater eines der vier Kinder Samuel Benchetrit, Bertrand seine Ehefrau Kristina Rady und das gemeinsame Töchterchen. Die 41-jährige Schauspielerin und der Rocksänger - ein ungleiches Künstlerpaar und Liebling der französischen Boulevardmedien.
Ein Jahr später im Juli 2003 findet das gemeinsame Glück in Litauen ein jähes Ende. Marie ist zu Dreharbeiten in Vilnius, um mit ihrer Mutter Nadine den Film "Colette" zu drehen. Bertrand begleitet sie, um in ihrer Nähe zu sein.
Soundtrack zum Buch
Wir holen uns ihre Leidenschaft, die von Marie und Bertrand, leihen ihnen dafür unsere Starre.
Zum Chronisten der letzten Stunden von Bertrand und Marie wird der Dramatiker Albert Ostermaier. Er selbst kennt das berühmte Paar nicht näher. Zwar gibt es gemeinsame Bekannte aus seiner Zeit in Bordeaux, mehr verbindet ihn aber nicht mit den beiden. Wie Tausende andere ist Ostermaier ein Fan der Musik von Noir Desir, speziell ihrer letzten Studioplatte "Des Visages, des Figures", ein Album voll mit pessimistischen düsteren Entwürfen von Leben, Liebe und Politik.
Die Platte von Noir Desir wird zum Soundtrack für Ostermaiers ersten Roman "Zephyr". Darin beschreibt er konsequent fiktional das tragische Ende des Paares Cantat/Trintignant. "Es ging nicht darum, einen Schlüsselloch- oder Tatsachenroman zu schreiben, sondern um ein literarisches Werk". Albert Ostermaier versteht sich nicht als Insider oder Faktenrechercheur, er holt sich seinen "Stoff" - die Informationen über das berühmte Paar - wie Millionen andere aus Zeitungs- und Fernsehberichten und vermischt sie mit der eigenen Vorstellungskraft.
Das Unerklärbare
Er küsste und umarmte sie die ganze Zeit, er hatte sie am Kopf getroffen, im Gesicht, dort wo er sie zuvor geküsst hatte, ihr Gesicht, das er in Händen gehalten hatte.
In der Nacht zum 27. Juli 2003 streiten sich Bertrand und Marie. Hitzige Sticheleien, gegenseitige Vorwürfe und abgründige Eifersucht führen dazu, dass irgendwann "totgeschlagen" wird. Bertrand erschlägt Marie. Im Affekt, aus Leidenschaft wie er später vor Gericht beteuert. Bertrand schläft neben der von den Schlägen gezeichneten Marie ein.
Erst am folgenden Morgen begreift er seine Tat. Zu spät, denn das Schädel-Hirn-Trauma Maries ist zu massiv. Für einige Tage liegt sie im Koma, bis sie am 1. August 2003 verstirbt. "Wir fühlen uns doch immer ganz sicher und unangreifbar. Auch für mich ist Gewalt ein totales Tabu, wo sich alles in mir dagegen strebt. Aber es interessieren mich die Kippmomente in Biografien, wo alles, was du gelernt hast an Zivilisation, wo sich das auflöst, wo man sich und andere gefährdet. Wie bei Bertrand Cantat", meint Albert Ostermaier. Das Unerklärbare wird beim Prozess gegen Bertrand zu seiner Verteidigungsstrategie. Wer im Zustand höchster emotionaler Erregtheit handelt, kann nach litauischer Rechtsprechung auf Strafmilderung hoffen. Bertrand wird wegen Totschlag zu acht Jahren Haft verurteilt.
Unheimliche Parallelen
Elle a su, simplement, enfermer mon coeur dans son appartement. - Sie wusste, ganz einfach, mein Herz in ihrer Wohnung einzuschließen.
Bertrands Schläge sind in "Zephyr" ausgeblendet, obwohl gewalttätige Bilder den Roman ansonsten wie einen Refrain durchziehen. Auch die Songtexte von Bertrand werden verwendet, um sein Handeln in jener Nacht im Sommer 2003 in Vilnius zu erklären: "Es ist unheimlich, dass die Songs von Noir Desir im Nachhinein wie eine Ankündigung lesbar sind."
Für Albert Ostermaier ist die Verurteilung wegen Totschlags dennoch gerechtfertigt, da es keine geplante, durchdachte Handlung war - ein juristischer Umstand, der die Hinterbliebenen von Marie nicht trösten kann. Ohne den Glanz der Prominenz, ohne die pathetische Musik von Noir Desir, ohne die poetischen, politischen Songtexte von Bertrand Cantat und ohne Albert Ostermaiers Roman ist der Tod Marie Trintignants ein gewöhnlich tragischer Fall von tödlicher Gewalt in einer Beziehung.
Hör-Tipp
Tonspuren, Freitag, 13. Februar 2009, 22:15 Uhr
Buch-Tipps
Albert Ostermaier, "Zephyr", Suhrkamp Verlag
Nadine Trintignant, "Marie. Meine Tochter, mein Leben", Verlag Knaur
CD-Tipps
Noir Desir, "En public", Universal
Noir Desir, "Des Visages, des Figures", Universal
Hans Platzgumer, Soundtrack zu "Zephyr", Eigenverlag
Link
Hans Platzgumer