Das Buch der Woche von Clemens J. Setz
Die Frequenzen
Clemens Setz' zweiter Roman erzählt keineswegs lineare Lebensgeschichten, man taucht vielmehr in die Gedanken- und Vorstellungswelt der Figuren ein. Setz reiht zahlreiche kleine Erzählungen, die keine klassische Kapitelstruktur ergeben, aneinander.
8. April 2017, 21:58
Er liebte es, wenn jemand diese quietschenden Geräusche auf den Saiten einer Gitarre erzeugte, wenn er nicht schnell genug zwischen den Akkorden wechseln konnte. (...) Verdutzten Audiophilen kaufte er alte Schallplatten ab, die wie ein Fahrradreifen zu der Form einer liegenden Acht verbogen waren und eierten.
Walter hat eine Schwäche für falsch ausgesprochene Namen, Akzente und Störgeräusche aller Art. Als Sohn eines einflussreichen Architekten wird er von Kind an in eine Künstlerexistenz gedrängt. Nach gescheiterten Versuchen als bildender Künstler und Schriftsteller beschließt er, Schauspieler zu werden.
Seine erste Chance erhält er von der Psychotherapeutin Valerie, die ihn engagiert, um in Gruppensitzungen fiktive Patientenrollen zu spielen. In deren Vorzimmer trifft er Alexander, einen Freund aus Kindertagen, der als Altenpfleger arbeitet und sich in Valerie verliebt hat. Alexander lebt vorwiegend in seiner ausufernden Phantasie, die sich in seiner einsamen Kindheit entwickelte und die immer wieder um den abwesenden Vater kreist.
Erinnerungen, Assoziationen und Phantasien
Entlang dieser beiden Charaktere legt der junge Grazer Autor Clemens J. Setz ein Netz von raffiniert miteinander verbundenen Figuren aus. Sein zweiter Roman "Die Frequenzen" erzählt keineswegs lineare Lebensgeschichten, man taucht vielmehr in die Gedanken- und Vorstellungswelt der Figuren ein. In den in Ich-Form verfassten Passagen, in denen Alexander erzählt, wird vorgeführt, wie dieses Denken funktioniert. Aus Erinnerungen, Assoziationen, Phantasien und Wortspielen entsteht eine Zwiesprache mit sich selbst oder mit abwesenden Personen.
Clemens Setz entwirft Figuren, die isoliert sind, sich in Extremsituationen – meist nach einem Verlust - befinden, Randexistenzen, jenseits jedes alltäglichen menschlichen Austauschs.
Allein. Der absurdeste Zustand von allen. Als wäre die Eins eine wirkliche Zahl, mit der man etwas anfangen konnte. Dabei war sie lediglich die Vorform einer Zahl, eine Art abstrakte Masturbation. Und die Null war überhaupt keine Zahl, sondern ein Phantom, eine schlechte Metapher. Wie ein verkleideter Zwerg unter lauter Kindern.
Fiktive Gespräche
Alexander trägt zwei Mobiltelefone mit sich herum und ruft sich häufig selbst an. Vorerst um jederzeit ein unliebsames Gespräch unterbrechen zu können. Als er beispielsweise nach Jahren seinen Vater trifft und dieser nur ärgerliche Plattitüden von sich gibt, täuscht er ein Telefongespräch vor, und wirft dem imaginären Gesprächspartner all das lautstark an den Kopf, was eigentlich seinem ihm gegenübersitzenden und zum Schweigen verurteilten Vater gilt.
Dieser ist getroffen, kann sich aber nicht äußern, weil formal ja nicht er gemeint ist. Als dann die geliebte Valerie zusammengeschlagen wird und nicht mehr aus dem Koma erwacht, werden Alexanders Selbstanrufe zum fiktiven Gespräch mit ihr.
Wörter im stillen Gedankenfluss sind irgendwie hautlos, oder nur eine geschmacklose Vorform von echten Wörtern. Lautes Sprechen ist viel natürlicher als Denken. So ähnlich wie Tanzen natürlicher ist als die bloße Vorstellung von Bewegung.
In der Schwebe
Die Menschen sprechen hauptsächlich mit sich selbst. Umso beredter sind die Dinge in diesem labyrinthischen Roman. Da räuspern sich Schneeschaufeln, liegen Möbel im Koma und werden Gärten senil, da turnen Hemden über die Wäscheleine, erleiden Handys Schlaganfälle, begleiten Parkbänke ihre Besucher und gehen Risse in Hausmauern auch gleich durch die familiären Beziehungen. Menschen können sich in den Dingen verheddern.
Clemens Setz hält seinen Text in der Schwebe. Zahlreiche Verweise und Varianten verdichten die Figurenkonstellationen und Geschichten zwar, doch vieles wird nicht aufgelöst. Spätestens wenn dem Leser gegen Ende des Buches eröffnet wird, dass Ich-Erzähler Alexander an einem Roman arbeitet, wird klar, dass es hier auch um das Schreiben selbst geht.
Die Qualität oder der Charme eines Kunstwerks zeigt sich mitunter darin, ob es sich in unserer Erinnerung selbständig verwandelt. Wie viele Leute erinnern sich beispielsweise an einen Tropfen, der aus einer der zerfließenden Uhren von Dalí quillt, ohne dass ein solcher Tropfen auf dem Bild tatsächlich zu sehen wäre. (...) Oft geht das Gedächtnis einen Schritt weiter als die Kunst. Es gibt keine Schlange um Laokoons Hals.
Verborgene Mikrotexte
Wie schon in seinem viel beachteten Erstling "Söhne und Planeten", ändern sich die Formen, Sprachstile und Perspektiven mehrmals im Verlauf der Handlung. Zahlreiche kleine Erzählungen, die keine klassische Kapitelstruktur ergeben, werden aneinander gereiht. In diesen sind Mikrotexte verborgen, die einzelnen abseitigen Gedanken nachgehen oder die Sprache selbst thematisieren. Bilder und Motive wandern - leicht verschoben - von einer Geschichte zur nächsten. Eine vergnügliche Spurensuche für aufmerksame Leser.
"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.
Hör-Tipps
Das Buch der Woche, Freitag, 20. Februar 2009, 16:55 Uhr
Ex libris, Sonntag, 22. Februar 2009, 18:15 Uhr
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Buch-Tipp
Clemens J. Setz, "Die Frequenzen", Residenz Verlag
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Residenz Verlag - Clemens J. Setz