Klänge im Raum tragen

Spielfeld Klänge

Beim Konzert des Ensembles die reihe aus dem Ossiacher Stift im September 2009 erklangen Kompositionen von Schwertsik, Proy, Zykan und anderen. Der Konzertsaal wurde zum Spielfeld, auf dem Dame und Bowling gespielt wurde, das Publikum spielte mit.

"Der moderne Ort der Musik ist nicht der Saal, sondern die Bühne, auf der die Musiker in einem oftmals glanzvollen Spiel von einer Klangquelle zur anderen wandern", meint Roland Barthes. "Wir sind es, die spielen, freilich noch durch das Medium der anderen."

Nehmen wir an, der Raum wäre keine fixe Größe, er ist nicht - wie Goethe sagte - "gefrorene Musik", er wird nicht vom Architekten nach einem imaginären Maßstab erbaut und dann von Musik und Tanz erfüllt. Gehen wir davon aus, die Musik verwandelt die Zeit in Raum und gibt dem Raum eine Zeitlosigkeit. Raum und Musik sind einander unhierarchisch verpflichtet, keiner der beiden zwingt dem anderen seine Maße, seine Notwendigkeiten auf. Keiner der beiden beharrt darauf, eine feste Größe zu sein.

Der Raum macht die Musik

Das Auskosten des Raum-Musik-Wechselspiels in höchst künstlerischem Sinne ist keine künstliche Spielerei und alles weniger als L'art pour L'art.

Aus dem Dialog des französischen Königs mit dem englischen König anlässlich der Feierlichkeiten im Jahr 1520 in Venedig ergab sich die Doppelchörigkeit in der Musik. Die beiden Nationalchöre verteilten sich auf je eine der Emporen; die zwei Orgeln der Markuskirche, einander gegenüberliegend, ermöglichten den internationalen Dialog; das äußerliche Wechselspiel war sinn- und formstiftend für das Madrigal. Das Echo, in seiner verspätenden Imitation, war Inspirationsquelle für die Fuge.

Auf dem Weg der Musik in die Formalisierung des Symphoniekonzerts schränkte sich die Bewegungsfreiheit von Ausführenden und Zuhörenden ein. Die Plätze waren nun fixiert, das Spiel wurde abgekartet, dem Publikum wurde jene Richtung vorgegeben, in die es schauen, aus der es hören durfte. Platzanweiser - weniger Anweiserinnen - erteilten Anweisungen. Das Publikum sollte sich ungerührt verhalten.

Gustav Mahler erschuf räumliches Hören mit dynamischen Mitteln; die Blaskapelle zieht bloß klanglich vorbei, die Bläser und Bläserinnen bleiben doch sitzen. Das Geschehen im Raum muss nun verbal im Programmheft erläutert werden, die Imagination muss von der Intention des Komponisten belehrt werden, es bedarf nun der Vermittlung, was eigentlich kinderleicht verständlich und offensichtlich wäre. Gemeint ist der Trauermarsch in Mahlers Symphonie Nr.5 cis-moll, ein "quasi räumliches Feld", wie es Adorno nennt.

Alle, die die Bewegungslosigkeit in Frage stellten, setzten sich der Gefahr des Unernstes aus. Erik Saties Möbel-Musik wurde belächelt, um den Komponisten nicht ernst nehmen zu müssen. Dabei zielen seine "Vexations - Schikanen" auf nichts Schlimmeres ab als auf die "absolute Bewegungslosigkeit".

Außenraum gegen Innenraum

Es ist auch anders denkbar: Musiker und Musikerinnen tragen Klänge über die Bühne, lassen sie von einem Instrument zum anderen wandern oder spielen Außenraum und Innenraum gegeneinander aus. Sie treten in Dialog mit den Architekten und bildenden Kunstschaffenden, die diese Räume erdacht und erbaut haben. Klang-Spieler erzeugen nicht nur in ihrer komponierten Bewegung eine sichtbare Choreographie, sie erzeugen "Spielräume", also akustische Gegebenheiten, die sich je nach dem Standpunkt der Spielenden und der Hörenden verändern.

Einige im Musikbetrieb arbeiten daran, Raum und Musik in unhierarchischer Weise zu verbinden. Es braucht Architekten und Architektinnen, die gemeinsam mit Musikschaffenden Räume, Konstellationen und Materialien erproben.

Peter Paul Kainrath, Intendant der Klangspuren Schwaz, hat Pläne, Interessierte aus Musik und Architektur zusammenzubringen; die Architekturpublizistin und Kuratorin Charlotte Pöchhacker erarbeitete für die Architektur Biennale 2009 ihr "sense of architecture", ein Musik-Architektur-Projekt, ausgehend von Gedanken und Kompositionen Luigi Nonos und Yannis Xenakis'.

Otto M. Zykans "Raumspiel"

Raum-Klang-Projekte brauchen Zeit und besondere Betreuung. Matthias Loibner hat für sein EU-Vorhaben "Time Projekt" vier Musikkapellen aus vier Himmelsrichtungen Europas unter freiem Himmel rund um das Publikum positioniert; die immer dichter werdende Abfolge in immer kürzer werdenden Strecken lässt die Distanz zwischen den Herkunftsregionen der Musiker zusammenschmelzen; das Publikum ist umringt von ineinander fließenden Musikwirklichkeiten; ein Raum entsteht.

Kompositionen, die die räumliche Gegebenheit durch ihre Aufführenden erfassen lassen, greifen über den Rahmen der Konzertsaal-Musik hinaus, daher auch über den "geschützten", "unpolitischen" klassischen Aufführungsraum, sie vermitteln in ihrer Komposition gesellschaftspolitische Aussagen.

Die Aufführenden in Otto M. Zykans "Raumspiel" sind in ihrer sozialen Position formiert und verhalten sich dieser gemäß. Die Zellen der Partitur und die räumlichen Zellen sind Zeit- und Raumeinheiten, die Exekution ergibt sich aus den Typen sozialen Lebens: zwei Einzelgänger/innen, ein Paar, ein Quartett, ein Ensemble spielen mit. Die Bewegung ist gewonnen aus den Bewegungen im sozialen Raum: Verharren, Vor- und Zurückgehen, zügiges und zögerliches Gehen, den Raum ganz oder halb durchqueren. Situationen von menschlichen Begegnungen sind Ausgangspunkt von Kompositionen wie Zykans "Hutszene". Zykan: "Man muss außerordentlich auf der Hut sein, denn gut sein heißt unten bleiben."

Das Konzert des Ensembles die reihe im neuen Konzertsaal im Stiftshof zu Ossiach war der Vorabend zu einem Symposium der Kuratorinnen Sylvie Aigner und Ulli Sturm. Der Ort Ossiach, historisch geprägt von Friedrich Gulda und seinem weiten und modernen Kunstbegriff, soll wieder besonders belegt werden; die Kuratorinnen streben eine künstlerisch-wissenschaftliche Fortsetzung des Diskurses rund um bildende Kunst und Musikkunst an.

Hör-Tipp
Zeit-Ton, Freitag, 27. November 2009, 23:05 Uhr

Links
dis-positiv - Silvie Aigner
Klangspuren Schwaz
Wikipedia - Time Project