Auch Immunzellen erinnern sich
Das menschliche Immunsystem
Das Immunsystem ist neben dem Gehirn das wohl komplexeste System des menschlichen Organismus: Wie das Gehirn können auch die Immunzellen erkennen, unterscheiden und sich erinnern. Wie es funktioniert, ist noch nicht bis ins letzte Detail bekannt.
8. April 2017, 21:58
Das menschliche Immunsystem ist ein äußerst komplexes "Räderwerk". Wenn es in den Körper eingedrungene Krankheitserreger abwehrt, abgestorbene Zelle entsorgt, entartete Zellen (Krebszellen) erkennt und abtötet, harmlose oder körpereigene Strukturen hingegen unangetastet lässt, dann sind daran unterschiedliche Zelltypen (Leukozyten, weiße Blutkörperchen), Antikörper und Botenstoffe - ohne die im Immunsystem "gar nichts geht" - beteiligt.
Und die Immunologie ist noch weit davon entfernt, die hinter den einzelnen - mitunter äußerst diffizil ablaufenden - Immunreaktionen stehenden Prozesse und Mechanismen im Detail zu verstehen. So werden etwa immer neue Zellpopulationen entdeckt, die bei näherer Betrachtung Prozesse und Mechanismen, die man sich vordem ganz anders erklärt hatte, in ganz neuem Licht erscheinen lassen.
Viele Mutationen identifiziert
Ein Beispiel sind die sogenannten TH-17-Zellen, die vor etwa zwei Jahren erstmals beschrieben wurden und die lange Zeit nur vermutete Zusammenhänge zwischen Infektionen und Autoimmunerkrankungen erhärten. Und es gibt kaum einen weiteren Bereich der Medizin, in dem in der jüngeren Vergangenheit so viele Mutationen (Genveränderungen) identifiziert wurden wie in der Immunologie; wobei Mutationen entweder zu überschießenden Reaktionen (Autoimmunreaktionen) oder zu Immunschwäche führen können.
Geschwächt wird das Immunsystem auch durch virale Infektionen, ein bekanntes Beispiel dafür ist die Maserninfektion. Während die meisten der viral bedingten Immunschwächungen vorübergehend sind, hat uns das HI-Virus vor Augen geführt, dass Viren das Immunsystem auch sehr nachhaltig beziehungsweise irreversibel lahmlegen können.
Allergie und Krebs
Die durch die Auswertung epidemiologischer Daten gewonnene Beobachtung, dass Menschen, die an einer Allergie leiden, ein geringeres Risiko haben, an Krebs zu erkranken, ist nicht ganz neu. Um beweisen zu können, dass es sich dabei nicht nur um eine Korrelation, sondern um ein kausal zusammenhängendes Phänomen handelt, mussten Fakten auf den Tisch kommen.
Ein neuer Forschungszweig innerhalb der Immunologie / Pathophysiologie - die sogenannte Allergoonkologie - liefert nun zunehmend Daten, die die Zusammenhänge zwischen Allergie und Krebs verständlicher machen. Das Bindeglied sind bestimmte Antikörper - die sogenannten IGE -(Immunglobuline der Klasse E), die bei an Allergie leidenden Menschen im Blut erhöht nachzuweisen sind.
Über die physiologische Bedeutung dieser Antikörper wusste man lange Zeit nur soviel, dass sie für die Abwehr von Parasiten (Würmern) wichtig sind. Da man in der westlichen Welt heute kaum noch Wurminfektionen sieht, meinte man, dass die "arbeitslos" gewordenen IGEs ihre überschüssige Energie in allergischen Reaktionen entladen. Dann beobachtete man anderseits, dass bei Krebspatientinnen und Krebspatienten diese IGEs erniedrigt sind.
Niedriger IGE-Spiegel, höheres Krebsrisiko?
Darauf haben einige Gruppen von Wissenschaftlern begonnen zu untersuchen - so die Pathophysiologin Erika Jensen-Jarolim von der Medizinischen Universität Wien -, ob die erniedrigten IGE-Spiegel möglicherweise das Krebsrisiko erhöhen und ob andererseits eine Erhöhung der IGE-Konzentration das Immunsystem im Kampf gegen den Krebs unterstützen könnte.
Untersuchungen deuten tatsächlich darauf hin, dass diese Antikörper die Potenz zur Tumorabwehr haben. Es gibt auch Befunde, dass bei Krebspatientinnen und -patienten zu Beginn ihrer Erkrankung die IGE-Produktion hinaufgefahren wird, was den Schluss nahelegt, dass es sich dabei um einen Versuch des Immunsystems handelt, mit der Entartung der Zellen doch noch fertig zu werden.
Praktische Umsetzung
Diese Forschungsergebnisse beginnt man auch bereits praktisch umzusetzen. Man versucht durch eine Anregung der Antikörperbildung eine immunologische Reaktion gegen Tumorzellen in die Wege zu leiten.
Andererseits ist es nach Erika Jensen-Jarolim auch möglich, diese Antikörper molekularbiologisch herzustellen und Krebspatienten zu injizieren. Das sind zwei Ansätze, die bereits in Erprobung sind. Jedenfalls erhärtet sich durch diese Forschungsergebnisse auch die Vermutung, dass eine Allergie in einem gewissen Maße vor Krebs schützen kann.
Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 23. Februar bis Donnerstag, 26. Februar 2009, 9:05 Uhr