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Brief an das Publikum

Der junge deutsche Dirigent und Pianist Cornelius Meister wird neuer künstlerischer Leiter des RSO Wien. Mit 1. September 2010 übernimmt er das Dirigentenpult von Bertrand de Billy. Schon jetzt begrüßt er sein zukünftiges Publikum mit einem Brief.

Mit großer Freude erwarte ich den September 2010. Was ich zusammen mit den Musikerinnen und Musikern des RSO Wien erreichen möchte, ist mir bereits recht deutlich. Zugleich bin ich aber neugierig auf alles Unerwartete, das ich in den nächsten Monaten kennenlernen werde.

Wien fühle ich mich seit langem verbunden, da meine Großmutter väterlicherseits gebürtige Wienerin war. 1897 geboren, wurde sie 98 Jahre alt. Mit 90 flog sie noch allein nach Amerika (mit Umsteigen!), um ihre Tochter in Atlanta zu besuchen. Diese Abenteuerlust, gepaart mit einem unerschütterlichen Spaß am Leben, habe ich immer bewundert. Ich hoffe, ich habe von meiner Oma Ada das Eine oder Andere geerbt.

Jede Metropole hat eine eigene Tradition

Wenn ich als Chefdirigent in eine neue Stadt komme, ist es mir zunächst einmal wichtig, einen engen Kontakt zu den hier lebenden Menschen zu bekommen. Jede Metropole hat eine eigene Tradition; Konzertprogramme und Interpretationen, die an einem Ort der Welt gut funktionieren, können an einem anderen deplatziert sein.

Bei meinem Debüt an der New National Opera Tokyo vor zwei Jahren habe ich "Fidelio" dirigiert. Natürlich klang dieser "Fidelio" ganz anders als mit einem mitteleuropäischen Orchester. Mit dem Indianapolis Symphony Orchestra habe ich neulich Bartóks Konzert für Orchester aufgeführt - mit einem anderen klanglichen Ergebnis als zuvor mit einem deutschen Orchester.

Wagners Ring, den ich in der kommenden Saison in Riga aufführe, wird ebenso wie die Uraufführungen mit dem Orchestre de l'Opéra national de Paris den Klang der jeweiligen Kultur in sich tragen. Der Dirigent prägt den Gestaltungswillen eines Orchesters, aber die Orchestermitglieder prägen ebenso in hohem Maße den Dirigenten. Wir alle sind keine Maschinen, und wie in einem gut eingespielten Kammermusik-Ensemble, so ist es auch beim großen Symphonie-Orchester für mich das höchste Glück, wenn eine solche Übereinstimmung erzielt wird, dass jeder zu jedem Zeitpunkt auf jeden anderen hört, auf ihn eingeht, auf ihn reagiert. Ich glaube fest daran, dass der Hör-Sinn mehr als alle anderen Sinne dazu geeignet ist, Emotionen hervorzurufen.

Künstlerisches Niveau und Flexibilität

Die Neugier der Musikerinnen und Musiker des RSO Wien auf Unbekanntes, Zeitgenössisches, Neues hat mich von Anfang an inspiriert. Es gibt kaum ein anderes Orchester, das in den letzten Jahren eine vergleichbar große Zahl von Werken aufgeführt und aufgenommen hat. Es ist beeindruckend, in welcher Schnelligkeit sich jeder und jede der hervorragenden Musikerinnen und Musiker auf den Stil eines neuen Komponisten einstellt. Das erfordert gleichzeitig höchstes künstlerisches Niveau und Flexibilität: Dafür steht das RSO Wien.

Bereits jetzt - anderthalb Jahre vor meinem ersten Konzert - bereite ich gemeinsam mit der RSO-Managerin Christiane Goller eine spannende Spielsaison 2010/2011 vor. Sicherlich werden Sie mich in den nächsten Monaten oft als Zuhörer in den RSO-Konzerten im Konzerthaus, im Musikverein, im Theater an der Wien oder bei den Salzburger Festspielen treffen. Ich würde mich freuen, wenn sich dabei die Gelegenheit zum persönlichen Gespräch mit Ihnen ergibt.

Das RSO Wien im März

"Frenetischen Jubel" für den "Gruß aus Wien" (Kurier) gab es am Ende des Japan-Gastspiels des RSO Wien unter der Leitung von Bertrand de Billy im Februar 2007 - und aufgrund des großen Erfolges postwendend die Einladung zu einer Folgetournee 2009: Diesmal - von 26. Februar bis 16. März 2009 - reist das ORF-Orchester gemeinsam mit Dmitrij Kitajenko, dem Grandseigneur unter den russischen Dirigenten, und je einem russischen und wienerischen Programm. Als Solist mit dabei: der junge deutsche Pianist Herbert Schuch, Gewinner des Internationalen Beethoven-Klavierwettbewerbs 2005.

Eine Woche nach der Rückkehr aus Tokio, am 24. März 2009 im RadioKulturhaus, erklärt Wilhelm Sinkovicz Wissenswertes zur "Rhapsodie espagnole". Ihr spezifisches, bis heute überaus beliebtes Kolorit verdankt die spanische Kunstmusik auch einem wichtigen Impuls durch den französischen Impressionismus. Insbesondere Maurice Ravel, der sich als Baske Spanien besonders verbunden fühlte, besaß eine faszinierende Imaginationskraft für iberische Klangfarben. "Die Rhapsodie espagnole", schrieb Manuel de Falla, "überraschte mich durch ihren spanischen Charakter. Wie aber sollte ich mir diesen so subtil authentischen Hispanismus erklären? Ich fand rasch die Lösung des Rätsels: Ravels Spanien war ein idealisiertes Spanien, wie er es durch seine Mutter kennengelernt hatte."

Der März klingt am 26. März 2009 mit einer Uraufführung aus: Thomas Larchers Violinkonzert mit Isabelle Faust und Bertrand de Billy im Musikverein. Mit seinen zwischen neuer Tonalität und experimentellen Aktionen changierenden Werken hat sich der Tiroler Pianist auch als Komponist international bestens positioniert. Isabelle Faust, die Widmungsträgerin seines Violinkonzerts, ist wie Larcher an historischen Verbindungslinien interessiert. Mit Ravels "Tzigane" schlägt sie den Bogen zu einem modernen "all'ungarese", das indirekt auch Henri Dutilleux inspirierte: Sein dem Mäzen und Dirigenten Paul Sacher zugeeignetes, suggestives Orchesterstück "Mystère de l'instant" greift Elemente von Béla Bartoks Musik für Saiteninstrumente auf, die 1936 ebenfalls im Auftrag Sachers entstanden war.

Links
RSO Wien
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Wikipedia - Cornelius Meister