Hugo von Hofmannsthal in Bad Fusch

Der Fliegenpalast

Hätte die Hofmannsthal-Forschung dessen Tage in Bad Fusch bereits ausführlich dokumentiert, so hätte Walter Kappacher seinen Roman einer Irritation und Schaffenskrise nicht schreiben können. So ist Kappacher eine große literarische Leistung gelungen.

Er hatte sich schon öfter beschwert, dass die Qualität der Bleistifte seit dem Krieg nicht mehr die gleiche war.

So lautet einer der ebenso hintergründigen wie genial-einfachen Sätze in Walter Kappachers neuem Roman "Der Fliegenpalast". Mit dem Krieg ist der Erste Weltkrieg gemeint, und "er" ist Hugo von Hofmannsthal, gelegentlich abgekürzt mit der Initiale H. Diese Abkürzung hat ihre Berechtigung, denn Herr von Hofmannsthal ist ja inkognito unterwegs, der Portier des Grand Hotel hat Diskretion versprochen.

Zwei Wochen in Bad Fusch

Das Grand Hotel existiert heute nicht mehr, es stand im einstmals bekannten Salzburger Kurort Bad Fusch, dessen Quellen zwar nach wie vor existieren, aber der Kurort hat sich quasi in Höhenluft aufgelöst. Hier hat Hugo von Hofmannsthal Anfang August 1924 knapp zwei Wochen verbracht, in der Hoffnung, wieder schreiben zu können.

Hätte sich diese Hoffnung erfüllt oder hätte die Hofmannsthal-Forschung die Tage in Bad Fusch bereits ausführlich dokumentiert, so hätte Walter Kappacher seinen Roman einer Verstörung, einer Irritation und Schaffenskrise nicht schreiben können.

Konfrontation mit der eigenen Jugend

Der Roman füllt diese Leerstelle mit seiner Fiktion aus und zeigt einen Hofmannsthal, der die Gründung der Salzburger Festspiele ebenso hinter sich hat wie seine großen Werke wie "Der Schwierige" und "Der Rosenkavalier". Und der im Jahr seines 50. Geburtstages vor allem in der Vergangenheit lebt.

Bad Fusch bedeutet für ihn die Konfrontation mit seiner frühesten Jugend, als die dichterischen Inspirationen wie von selbst flossen und sich vor allem in seiner erfolgreichen Lyrik Bahn brachen. Jetzt bringt er von seinen Spaziergängen Steine mit, und wenn er sie am Tisch des Hotelzimmers liegen sieht, denkt er: "Eigentlich sollte er ja schon lange wissen, dass die schönsten Muster auf den feuchten Steinen vergingen, sobald diese trocken waren."

Der Schreibfluss, die Freundschaften, die alten Hoffnungen, ja selbst die Landschaftseindrücke - alles scheint zu vertrocknen. Hinter seiner noblen Ruhe ist Hofmannsthal hochgradig irritierbar und verletzlich; reale Begegnungen werden ihm sofort zu literarischen Szenen, und gleichzeitig zergrübelt er jeden seiner Einfälle. Zwischen seinen Fragmenten, die die Zahl der abgeschlossenen Werke übersteigt, ist er wie paralysiert.

Bruchstücke und Reminiszenzen

Von der ständig virulenten Spannung zwischen äußerer Ereignislosigkeit und innerer Unruhe lebt auch Kappachers Roman. Und von der strikten Konzentration auf die Tage in Bad Fusch, die gleichzeitig zu einem Lebenspanorama werden, weil Hofmannsthal sein Leben in vielen Bruchstücken und Reminiszenzen Revue passieren lässt.

"Der Fliegenpalast" atmet die Leichtigkeit eines Sommerstücks und sein Detailreichtum sackt nie in Gelehrsamkeit ab. Gelungen ist das nicht zuletzt dadurch, dass Walter Kappacher mit dem Werk Hofmannsthals seit Jahrzehnten eng vertraut ist: "Eigentlich war es überhaupt keine Recherche", so Kappacher. Er habe seine Werke gelesen und das habe man "halt irgendwann im Kopf. Ich hab mein Unterbewusstsein jeden Tag gebeten, etwas herauszurücken."

Fiktive Innensicht

Kappachers Roman tastet sich wie eine Sonde in Leben und Werk Hugo von Hofmannsthals vor. Und ihm gelingt dabei, was sehr oft schiefgeht: eine fiktive Innensicht, die nie peinlich ist. Höhepunkte sind dabei die Briefe, die Hofmannsthal im Roman schreibt und die sich an der Grenze von biografischen Fakten und Fiktion bewegen. "Die Briefe sind von mir erfunden", so Kappacher, nur die Briefanfänge habe er manchmal übernommen, "um den Ton zu gewinnen".

Mann muss weder Hofmannsthal-Kenner noch gar -Liebhaber sein, um in den Bann dieses Tons hineingezogen zu werden. Im Gespräch mit Walter Kappacher wird mir klar, dass er seine Romanfigur Hofmannsthal positiver sieht als ich: Kappacher streicht die Zeitdiagnose heraus, jenen Hofmannsthal, der den Lärm und die verlorenen Umgangsformen kritisiert, eine kulturlose Massengesellschaft herauskommen sieht und ein feiner Sensorium hat für die Brutalität der neuen Zeit.

Mich hingegen irritiert mehr der Hofmannsthal, der keinen Blick hat für die Brutalität der alten Zeit: Es ist ja nicht ausgemacht, was ihn mehr irritieren würde: das Fehlen des "Prager Tagblatts" oder der "Czernowitzer Morgenzeitung" in den Wiener Kaffeehäusern, oder die Vorstellung, er müsste seinen Nachttopf einmal selber ausleeren; doch diese Vorstellung kommt ihm zu seinem eigenen Glück gar nicht in den Sinn.

Probleme mit Abstand betrachtet

Der Roman legt ihm subtilere Probleme ins Bewusstsein:

H. erinnerte sich, wie freundlich sein Vater sich Bedienten gegenüber stets verhalten hatte, und wie er, der Sohn, dies hier in den Bergen übertrieben gefunden und dann später doch übernommen hatte.

Inflation und unmittelbare Lebensprobleme betrachtet Hofmannsthal aus sicherem Abstand und fürchtet vor allem um seine Salzburger Festspiele.

Lebensmittelmangel, Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit machten den Einheimischen schwer zu schaffen, sie konnten kein Verständnis aufbringen für Festspiele.

Hofmannsthal selbst träumt eher von einem eigenen Automobil und sinniert, ob er sich auch einen Chauffeur leisten könnte.

Die Petitesse eines Sommerstücks

Die große literarische Leistung von Kappacher ist, dass er seine Figur in vielen Facetten überzeugend zeigt und zur Sprache bringt, aber nie eine Diagnose oder gar eine Wertung abgibt. Damit lässt er nicht nur ganz unterschiedliche Sichtweisen auf seine Romanfigur Hofmannsthal zu, sondern zieht einen beim Lesen ungeachtet aller Distanz unweigerlich in seine Innensicht des Schriftstellers, der einmal in einer Kirche ein Kerze anzündet und nicht weiß, was er sich wünschen könnte.

"Und was könnte ich denn noch hoffen?" ist eine seiner letzten Fragen im Buch. Das, was er wirklich bräuchte, ein "Another Go", wie er es bei Henry James formuliert findet, wird ihm nicht gewährt sein. Der Schmerz dieser Resignation, die Fremdheit in der eigenen Zeit und die große Irritierbarkeit - das alles kann man sich bei der Lektüre dieses Romans nicht mehr vom Leib halten - zumindest wenn man ein Mann und etwa im selben Alter ist wie Kappachers Hugo von Hofmannsthal.

Nur ganz selten irritiert ein Detail: Sollte Hofmannsthal tatsächlich über das Bilderverbot des Islams nachgedacht haben?

Genial ist der letzte Satz des Romans: "Es ist nichts." Damit korrigiert nicht nur Hofmannsthal eine falsche Wahrnehmung, auch der Roman nimmt sich noch einmal zurück in die Petitesse eines Sommerstücks. Und erweist gerade in dieser scheinbaren Leichtigkeit seine poetische Kraft.

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Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Walter Kappacher, "Der Fliegenpalast", Residenz Verlag

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Residenz Verlag - Der Fliegenpalast