Von gestrandeten Hotelpianisten und improvisierenden GIs

Jazz in Bagdad

Bagdad gilt über sechs Jahre nach der Einnahme durch US-Truppen und dem Sturz Saddam Husseins noch immer als eine der gefährlichsten Städte der Welt. In erster Linie sind es US-Soldaten, die ihre Erfahrungen im brutalen Alltag musikalisch verarbeiten.

Jazz und Irak? Kein Zweifel, Bagdad ist die überraschendste Etappe der sommerlichen Städtereise: Gilt die irakische Kapitale auch über sechs Jahre nach der Einnahme durch US-Truppen und dem Sturz Saddam Husseins als eine der gefährlichsten Städte der Welt, in der sich kulturelles Leben nur unter schwierigsten Bedingungen entfalten kann.

Und doch: Es gab und gibt sie, die improvisierte Musik über und sogar in Bagdad. Um 1960 machten berühmte Jazzmusiker auf ihren vom US-State-Department gesponserten Tourneen in Bagdad Station, sie waren damals alle musikalische "Geheimwaffen" im Kalten Krieg.

Das Dave-Brubeck-Quartett kam 1958, das Duke Ellington Orchestra 1963. Als Letzterer in Bagdad eintraf, war dort gerade ein (weiterer) Militärputsch im Gange. Der Präsidentenpalast wurde von Flugzeugen bombardiert, so liest man in den Liner Notes zu Ellington Platte "Far East Suite", in der er 1966 die Reiseeindrücke verarbeitete. Später erinnerte sich Ellington an den Aufenthalt mit einem viel zitierten, von schwarzem Humor zeugenden Ausspruch: "Baghdad was swinging!"

Ein lebensmüder Pianist

Auch in den Jahren nach der US-Invasion war in Bagdad Jazz zu hören. Die Nachricht von Samir Peter machte die Runde, dem in den USA lebenden irakischen Pianisten, der nach einem Besuch in der alten Heimat aufgrund der Anschläge von 9/11 kein Visum für den Rückflug erhielt. In Bagdad gestrandet, hielt er sich als Musiklehrer und Pianist im Restaurant des Al-Hamra-Hotels über Wasser. Und erregte damit das Aufsehen der Medien: Die BBC drehte eine Dokumentation über Samir Peter, Christoph Reuter und Susanne Fischer porträtierten ihn in ihrem Buch "Café Bagdad" als "lebensmüden Pianisten". Warum, das schildert der heute in Jordanien lebende Samir Peter selbst:

"Was, bitte, ist hier erträglich? Die Schiiten wollen das Ganze in einen Gottesstaat verwandeln und halten Jazz für eine Sünde, die Sunniten wollen die Amerikaner umbringen und haben für Jazz auch nichts übrig - ja, und die Amerikaner würden gerne Jazz hören. Aber wenn ich für die spiele, bringen mich die anderen um. Was also ist hier erträglich?"

Musizierende GIs

Heute sind es US-Soldaten, die im Irak Jazz spielen – und ihre Erfahrungen im brutalen Alltag Bagdads mitunter musikalisch verarbeiten. Keyboarder Josh DiStefano etwa hat ein Jahr im Irak verbracht, vor allem als Musiker zur Unterhaltung der Kampftruppen. In Bagdad hat er auch eine Quartett-CD namens "Baghdad Blues" aufgenommen.

Der Opener trägt den Namen "Broke Palace Blues" und wurde durch eine regnerische Nacht inspiriert, die man vor allem damit zugebracht habe, das eigene Hab und Gut vor dem durch das undichte Dach rinnenden Regen in Sicherheit zu bringen. Interessanterweise handelte es sich bei seinem Schlafquartier um einen der (offenbar schwer beschädigten) Paläste Saddam Husseins.

Dunkle Musikcollagen

Weniger unbeschwert klingt die Musik, die Jazzpianist William A. Thompson aus New Orleans während seines Armeedienstes schuf. Es ist die Musik eines US-Soldaten, der nicht freiwillig in den Krieg gezogen ist. Thompson hatte sich als Reservist zur US-Army gemeldet, um sein Studium finanzieren zu können. Er hatte nicht mit dem Ernstfall gerechnet.

Eingezogen für den Irak-Krieg, nahm Thompson ein Keyboard und einen Laptop mit nach Bagdad und bastelte dort düstere, dunkle Collagen, in denen er seine Musik mit Musique-concrète-Samples - vom Radiosender bis zur Klimaanlage - ineinander montierte. Diese Musik, die er als Wativ später unter dem Namen "Baghdad Music Journal" auf CD veröffentlichte, habe ihm geholfen, in dieser von Tod, Zerstörung und der Hoffnung auf Frieden geprägten Welt zu überleben.

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Hör-Tipps
Bagdad, Sonntag, 2. August 2009, 16:30 Uhr

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Klingende Skylines: Wien, Sonntag, 30. August 2009, 16:30 Uhr

Buch-Tipp
Christoph Reuter/Susanne Fischer, "Café Bagdad. Der ungeheure Alltag im neuen Irak", Goldmann Verlag

CD-Tipps
Josh DiStefano, "Baghdad Blues", Eigenverlag

Wativ/William A. Thompson, "Baghdad Music Journal", High Mayhem

Amir ElSaffar, "Two Rivers", PI Recordings

Gilad Atzmon, "Refuge", Enja