Sexualität und Kunst

Komet am Musikhimmel

Gefeiert als der größte Opernkomponist nach Wagner und in einem Atemzug mit Richard Strauss genannt, erlebte der Komponist Franz Schreker das Schicksal vieler Zeitgenossen. Er musste tatenlos dem Aufführungsverbot seiner Stücke zusehen.

Am 21. März 2009 jährt sich zum 75. Mal der Todestag eines der meistgespielten Tonsetzers seiner Zeit: Franz Schreker. Gefeiert als der größte Opernkomponist nach Wagner und in einem Atemzug mit Richard Strauss genannt, erlebte Schreker das Schicksal vieler Zeitgenossen. Der allen Ämtern Enthobene musste am Ende eines vor Erfolgen nur so strotzenden Lebens tatenlos dem Aufführungsverbot seiner Stücke zusehen. Eine Rettung, wie er sie in seinen Opern immer wieder auf der Bühne geschehen ließ, blieb ihm im wirklichen Leben versagt.

Daran änderte sich auch nach dem Kriege nichts. Das Brandmal nationalsozialistischer Diffamierung genügte auch weiterhin, um Schrekers Werk in Vergessenheit zu halten. Erst über den Umweg einer Schreker-Renaissance in Amerika erfährt sein Schaffen nun auch in seiner alten europäischen Heimat so etwas wie einer Wiederbelebung.

Asket oder Erotiker?

Wer war dieser Mann mit den glühenden Augen hinter der Schubert-Brille und den zu Berge stehenden Haaren eigentlich? Am 23. März 1878 als Sohn des kaiserlichen Hoffotografen Ignaz Schreker und der steirischen Adeligen Eleonore von Clossmann in Monaco geboren, war Schrekers Jugend von weiten Reisen und vom frühen Tod des Vaters 1888 geprägt. Der musikalisch Hochbegabte studierte Komposition bei Robert Fuchs in Wien, verkehrte im Schönberg-Kreis mit Alexander Zemlinsky, Alban Berg und Anton Webern und reüssierte als Chorleiter des von ihm gegründeten Philharmonischen Chores.

Fulminanter Bühnenkomponist
Die Uraufführungen der Tanzpantomime nach Oscar Wilde "Der Geburtstag der Infantin" (1908) sowie der Oper "Der ferne Klang" (1912) rückten Schreker dann allerdings ins rechte Licht des fulminanten Bühnenkomponisten. Nach weiteren internationalen Erfolgen mit den Opern "Das Spielwerk und die Prinzessin" (1913) "Die Gezeichneten" (1918) und "Der Schatzgräber" (1920) wurde er 1920 zum Direktor der Berliner Musikhochschule (unter anderem als Lehrer von Ernst Krenek) berufen, eine Stellung, die er 1932 auf politischen Druck wieder zurücklegen musste.

Zu einer geplanten Emigration in die USA kam es nicht mehr. Schreker starb am 21. März 1934 an einem Herzanfall.

Hundenarr und Automobilliebhaber

Privat galt Franz Schreker als Hundenarr und Automobilliebhaber (Horch 450 Cabriolet). Mit seiner Frau Maria (1892-1979), die als Sängerin eine kongeniale Interpretin seiner oft zwiespältig angelegten Frauenfiguren war, hatte Schreker eine Tochter und einen Sohn.

Angewandte Psychoanalyse auf der Bühne

Künstlerisch gesehen war Schreker ein mustergültiges Kind seiner Zeit. Seismographisch vereinigte er die geistigen Strömungen im Wien der Jahrhundertwende (Freud, Weininger, Sacher-Masoch) mit der musikalischen Sprache am Übergang von der Romantik zur Moderne. Sein Grundthema war das aus seiner Sicht desaströse Verhältnis von Sexualität und Kunst.

Ein untrüglicher Bühneninstinkt erlaubte Schreker, die von der Psychoanalyse als krankhaft beschriebenen Ausprägungen völliger Triebsublimierung beziehungsweise restloser Auslieferung daran als Figuren in seelischen Dramen auf die Bühne zu stellen. Dafür bevorzugte er fantastische, historisierende, häufig auch italianisierende Sujets und schöpfte den Anstoß zum grundsätzlichen Bühnenkonflikt nahezu immer aus einer von mehreren Männern begehrten dämonischen Frauengestalt (Grete, Prinzessin, Carlotta, Els).

Triebanfachend und kathartisch

Die Musik im Sinne einer unsichtbaren Bühnenfigur spiegelt diesen Antagonismus zwischen "dionysisch" und "apollinisch" exakt wieder: als dämonische "triebanfachende" Musik der Sinne einerseits, die den Menschen vom guten Leben und sich selbst entfremdet, und als reine, erlösende Musik andererseits, die aufgrund ihrer kathartischen Wirkung die wahren Gefühlen zu offenbaren vermag.

Sei es in der Figur des Komponisten Fritz, der seiner Liebe um des "fernen Klang" willens entsagt, oder im musik-magischen "Spielwerk", im reinen Gesang des "Schatzgräbers", im heiligenden Orgelklang der "Singenden Teufels" - immer tritt die Musik als virtueller "deus ex machina" auf, indem sie das auf die Spitze getriebene katastrophale Bühnengeschehen wie durch Zauberkraft zu entwirren vermag. Was für ein ungemein geschickter Kunstgriff, den der Librettist Schreker sich selber auf den Leib geschrieben hat!

Klang als Kompositionsgrundlage

Schreker orientierte sich zunächst an der von Johannes Brahms geprägten Tradition seines Lehrers Robert Fuchs, entwickelte jedoch unter dem Einfluss von Wagner und Strauss rasch eine hochartifizielle Musiksprache des "dissonanzreichen Wohlklangs" (Rudolf Stephan), die in ihrer Farbigkeit, Klangsinnlichkeit und flächigornamentalen Wirkung typisch für die Kunstauffassung des Fin-de-siécle war.

Zunehmend fand Schreker vom rauschhaften Orchesterklang seiner laszivsehnsüchtigen Cellokantilenen, den Wellen seiner Harfenglissandi, von den flirrenden Geigentönen, den dunklen Farben des Harmoniums und der Attacke der mitunter brutal dreinfahrenden Blechbläser zu mehr reduzierten, vereinfachten Klangbildern. Allerdings verwendete Schreker simple Melodik, diatonische und modale Harmonik in seinen späten Opern bereits wie jemand, der auf etwas zurückblickt, das verloren ist.

Verglichen mit dem Umfang seiner zehn Opern fällt das rein instrumentale Schaffen geringer aus. Schreker suchte aber auch dort, etwa in Liedern oder Musiken zu imaginären Dramen, die Anbindung an das Wort und die Gesetze des Theaters.

Reinstallierungstendenzen

Seit 1986 kümmert sich die von Haidy Schreker-Bures, der Tochter des Komponisten und Musikwissenschaftlers Christopher Hailey, gegründete Franz Schreker Foundation um seinen Nachlass, sowie um die wissenschaftliche Aufarbeitung und Verbreitung seines Werkes.

Diesbezüglich ist noch ein Detail am Rande erwähnenswert: Im Vorstand der Schreker Foundation wirkt auch Peter Ruzicka, der während seiner Zeit als Intendant der Salzburger Festspiele ein Hauptaugenmerk gerade auf das Schaffen Franz Schrekers gerichtet hat (Oper "Die Gezeichneten", 2005).

Hör-Tipp
Apropos Oper, Dienstag, 31. März 2009, 15:06 Uhr

Buch-Tipps
Theodor W. Adorno, "Franz Schreker", in: Quasi una Fantasia (=Musikalische Schriften, Bd. 2), Suhrkamp

Ulrike Kienzle, "Das Trauma hinter dem Traum. Franz Schrekers Oper 'Der ferne Klang' und die Wiener Moderne", Edition Argus

Siegfried Mauser, "Das expressionistische Musiktheater der Wiener Schule", (=Schriftenreihe der Hochschule für Musik, München, Bd. 3), Gustav Bosse Verlag

Gösta Neuwirth, "Franz Schreker", Bergland Verlag

Otto Kolleritsch (Hrsg.), "Franz Schreker: Am Beginn der Neuen Musik" (=Studien zur Wertungsforschung, Bd. 11), Universal Edition

Haidy Schreker-Bures, Hans Heinz Stuckenschmidt, Werner Oehlmann: "Franz Schreker" (=Österreichische Komponisten des XX. Jahrhunderts XVII), Österreichischer Bundesverlag

Rudolf Stephan, Elmar Budde: "Franz-Schreker-Symposion" (=Schriftenreihe der Hochschule der Künste Berlin, Bd. 1)

Link
Schreker Foundation