Bewusst und unbewusst Gehörtes
Der Soundtrack des Lebens
Musik begleitet uns durchs Leben. Oft beginnt der Tag mit einem Song im Radio und geht mit dem Soundtrack einer Fernsehserie zu Ende. Kaum wahrgenommene Töne bleiben ebenso im Gedächtnis hängen wie gezielt Gehörtes und bilden den akustischen Lebenslauf.
8. April 2017, 21:58
"Die Musik. Sie ist die Kunst, die zur Seele spricht, und vor der die Ratio versagt. Sie hat keinen Gegenstand, sondern ist Subjekt und Objekt in einem; ihre Botschaft liegt im Medium", Wolfgang Hildesheimer, Schriftsteller und Maler
"Siehe die Nacht hat silberne Saiten/In die träumenden Saaten gespannt!/Weiche verzitternde Klänge gleiten/Über das selig atmende Land/ Fernhin in schimmernde Weiten ..." Stefan Zweig, Nocturno
Musik begleitet uns durch das Leben und gibt Struktur: Taufe, Maturafeier, Hochzeit und Begräbnis sind ohne Musik undenkbar. Auch im Alltag sind wir von Melodien umgeben: Oft beginnt der Tag mit der Signation einer Nachrichtensendung und geht mit der Kennmelodie einer Fernsehserie zu Ende. Dazwischen düdeln die Handys. Bewusst kaum wahrgenommene Töne schreiben sich in das Gedächtnis ebenso ein wie gezielt Gehörtes - und formen einen akustischen Lebenslauf: den Soundtrack des Lebens.
Erinnern sie sich an die Klänge ihrer Vergangenheit
Versuchen Sie sich an Klänge zu erinnern, die Sie sofort mit Ihrer Vergangenheit in Verbindung bringen. Schönes, Romantisches wird ebenso auftauchen wie Trauriges, Bedrückendes. Zum Beispiel so: Es ist Abend, das Kind im Bett. Die Mutter übt wie eine Besessene die Fantasie in d-moll KV 397 von Wolfgang Amadeus Mozart. Die Türglocke ertönt. Es ist der Vater, der nicht aufsperren kann, da der Schlüssel innen steckt. Das kleine Mädchen darf die Türe nicht öffnen. Immer wieder schlägt die Mutter eine Folge von eingestrichenen Es an. Dazu die Klingel. Das zwischen Klavier und Wohnungstür auf dem Boden liegende weinende Kind ist bis heute ungetröstet, tränenfreies Anhören der Mozart-Fantasie daher unmöglich.
Musik aktiviert Gefühle
Musik wirkt direkt auf unser emotionales Gedächtnis und aktiviert die Erinnerung. Oft reichen ein paar Töne: Wir erkennen das Stück und wissen, wie es weitergeht - und nicht nur das: Die Gefühle von damals kommen unwillkürlich zurück. Vor allem das, was wir als Jugendliche hörten - und wir definierten uns ja auch durch die Verehrung einer bestimmten Band oder eines Musikstils - prägt uns ein Leben lang. In der Adoleszenz funktioniert das rationale Gehirn nur sehr eingeschränkt, erreichen kann man die Jugendlichen über die Emotion - Musik ist sozusagen die Straßenbahn dorthin.
Nicht zu vergessen die starke Emotionalisierung bei Konzerten: Musikveranstaltungen dienen als Interpretationsräume und zur Identifikation mit Familie und Freunden, können aber auch für ganze Generationen und über Generationen hinaus identitätsstiftend wirken, besonders wenn Orte und handelnde Personen Kultstatus erlangen - egal, ob es sich um die "Combo" bei der Hochzeit, das gemeinsam erlebte Punkkonzert, kleine feine Auftritte im Jazzkeller oder Megaevents mit Tina, Bono und Mick handelt.
Wenn man selbst nicht anwesend war, reichen oft die Bilder, Töne und Geschichten aus den Medien um eine "Erinnerung" zu kreieren. So entsteht die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, auch Jahre und meilenweit vom eigentlichen Austragungsort entfernt.
Ohrwürmer, die manchmal auch peinlich sind
Im "Soundtrack des Lebens" sammeln sich Ohrwürmer, die uns später oft sogar peinlich sind: Ein Musikmanager aus Wien erinnert sich beispielsweise jedes Mal beim Erklingen des Songs "Candle in the Wind" von Elton John, wie er am 31. August 1997 aus dem Autoradio vom tragisch-mysteriösen Unfall Lady Di‘s erfahren hat.
Musik und den ausgelösten Emotionen und Erinnerungen durch Musik stehen wir, jenseits von Geschmack und Prägung, machtlos gegenüber. Egal, ob krachendes, grammelndes Kofferradio, Schallplatte, Musikkassette, HIFI-Qualität, CD oder iPod - technische Gerätschaften und Hörgewohnheiten verändern sich im Laufe eines Lebens, die Funktion des Musikhörens bleibt aber unverändert. Musik verbindet, schafft Identität und vertreibt die Einsamkeit. Der Soundtrack des Lebens gibt uns das Gefühl, an etwas Großem teilzuhaben und nicht alleine zu sein.
Wie klingt Ihr Soundtrack des Lebens?
Welche Lieder, welcher Soundtrack, welche Kennmelodie begleiten Sie durch ihr Leben? Posten Sie hier den Soundtrack ihrers Lebens. Ausgewählte Beispiele werden auch Eingang in das Radiokolleg finden.
Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 16. November bis Donnerstag, 19. November 2009, 9:45 Uhr