Jasbar reloadet Dowland

Seaven Teares

Die Zeitachse von Musik ist bei der Klanginstallation von Helmut Jasbar nicht wie üblich einer Entwicklung verschrieben, sondern verwandelt sich in einen steten Fluss, um die Aufmerksamkeit des Hörers nicht auf eine Entwicklung zu lenken.

Eines der ersten digitalen Gemälde der bildenden Künstlerin Dorothee Golz mit dem Titel "Turmhutfrau", diese berührende Computercollage eines Menschen, der wie die ägyptische Sphinx ein Mischwesen ist, ihr Körper von heute, ihr Gesicht - nein, ihr Antlitz - aus der Renaissance, berührt mich auf eigenartige Weise. Die Turmhutfrau blickt stolz und selbstbewusst am Betrachter vorbei, in ihre eigene Zukunft. Die junge Frau wird sich ihr stellen, egal, was das Schicksal für sie bereithalten wird.

Die Erkenntnis, dass dieser in die Zukunft gerichtete Blick schon lange vor dem Beginn meiner eigenen Existenz zu seiner Bestimmung gefunden hat, löste in meinem Bewusstsein eine verwirrende Schleife aus - vielleicht vergleichbar mit einem Zen-Koan - und inspirierte mich zu dieser Arbeit über John Dowland und seine Zeit.

Akustische Folie

Natürlich würde es für einen Gitarristen naheliegend sein, irgendwie die Lautensolos zu bearbeiten, aber das Naheliegende hat mich schon immer gelangweilt. Musikalische Ausgangsmaterialien sind vielmehr Dowlands "Lachrimae or Seaven Teares" aus dem Jahre 1604, die sieben Variationen für Gambenconsort über das Thema der "Lachrimae Pavane", die der Renaissance-Meister später zum Lied "Flow My Tears" umgearbeitet hat.

Diese Gambenensembles wurden zur akustischen Folie für eine Arbeit, mit der ich auch mir selbst als Komponist ein neues Terrain erarbeiten konnte: die elektronische Bearbeitung von Audiosignalen und deren Abbildung im Surround-Verfahren.

Darstellung auf fünf Kanälen

Zur Zeit der Entstehung von "Dowland:Reloaded" las ich aufmerksam die Bücher des wunderbaren amerikanischen Autors Richard Powers, insbesondere "Galatea 2.2" von 1995 und "Plowing the Dark" aus dem Jahr 2000, die sich ausführlich mit virtuellen Realitäten beschäftigen.

Der Computer und die Darstellung einer Komposition auf fünf Kanälen anstelle von nur zwei machten mir bewusst, dass es auf der akustischen Ebene - die unser Wesen wesentlich tiefer ergreift als die optische - längst schon möglich geworden ist, eine virtuelle Landschaft herzustellen. Es ist eine Landschaft, in der "Dowland" nur in Spuren existiert, in einem visuell unbeschreibbaren Raum, oszillierend zwischen den Zeiten, in der im Halbschlaf gesungene Verse aus einem Lied von Dowland, flüchtige Lautenakkorde und splitterndes Eis (in dieser Welt ist immer Winter) eine wage Ahnung, eine Erinnerung beschwören. John Dowland, der große Melancholiker, würde heuer seinen 446. Geburtstag begehen.

Hör-Tipp
Kunstradio - Radiokunst, Sonntag, 22. März 2009, 23:03 Uhr

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Helmut Jasbar
Dorothee Golz
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