Mehr als nur ein Standpunkt
Gelbe Pfeile
An Hausfassaden und Straßenlampen kleben gelbe Pfeile. Kunststudenten haben die "verborgenen Seiten der Stadt" so sichtbar gemacht. "Guerilla map Innsbruck" hat sich damit in das weltweit vernetzte Reiseprojekt "yellow arrow" eingeschrieben.
8. April 2017, 21:58
Welche Vorstellungen und Erinnerungen stecken in Gassen, Straßen, öffentlichen Plätzen einer Stadt oder eines Landstrichs? Und wie wird die Bewegung durch den Raum, die Stadt - ohne Rückgriff auf Bildungskanon und klassischen Reiseführer - von diesen Vorstellungen gelenkt?
Folgen sie dem gelben Pfeil!
"Yellow Arrow" also "Gelber Pfeil" nennt sich eines von mehreren interessanten Kunstprojekten, die mit Stadterkundung, Reiseflow, lokalen Eigenheiten und Erinnerung jonglieren. In der Lower East Side in New York hat es 2004 als Straßenkunstprojekt, also konkret verortet, begonnen.
Eine Gruppe von Künstlern kreiste da um Themen wie experimentelle Kartographie, interaktive Medien und öffentliche Performanz. Jeder Platz, jeder Ort ist einzigartig, aufgeladen mit individuellen Erinnerungen, lautete die Philosophie des Projekts. Die Technologie dahinter: Mobiltelefonie, GPS, Google Maps.
An jeder Ecke
Das Kunstprojekt "Yellow Arrow", seit 2004 weltweit vernetzt, in über 450 Städten und 35 Ländern präsent, ist lustig. Teilnehmer, jeder kann das sein, platzieren einen Sticker mit einem knallgelben Pfeil auf einem Objekt, einer Parkbank, einem Hydranten oder einer Hausfassade. Dieses Objekt ist ihr Anknüpfungspunkt für eine persönliche Geschichte, ein markantes, witziges, ein wissenswertes Detail über den Ort. Sie hinterlegen ihren Kommentar inklusive Koordinaten im digitalen Archiv von "Yellow Arrow", einem Medienbüro mit Adresse in New York sowie im world wide web.
Zurück im physischen Raum, vor Ort: Neugierige Passanten finden auf dem (gelben) Pfeil-Sticker einen Code, den sie per SMS an eine Nummer schicken und bekommen als Antwort umdrehend ein SMS mit jenem an diesen spezifischen Ort geknüpften Kommentar. Der Inhalt, 160 Zeichen maximal, ist mal poetisch, mal skurril, mal nützlich.
Das ist verspielt, das ist eigenwillig, denn man könnte auch ein Schild anbringen, doch öffentlich und privat können sich durch Telekommunikationstechnologien relativ spontan verzahnen.
Die Schau-Mich-an-Generation
"Diese neuen globalen Technologien sind Technologien der Selbst-Darstellung. Typisch für die Web-2.0-Generation, die "schau-mich-an-Generation", mit MySpace und Facebook. Es geht um die Zurschaustellung des Privaten im Öffentlichen. Aber es geht auch darum, zu verstehen, wie Orte von Erinnerung besetzt sind und was das aus diesen Orten macht. Und genau das mit anderen zu teilen", sagt Germaine Halegoua. Die junge Kulturwissenschafterin von der University of Wisconsin-Madison spricht von einem "neuen Sinn für Örtlichkeit".
Wie versteht, wie erlebt man einen Ort? Was macht ihn besonders? Was nimmt man mit? Wo fährt man durch? Je emotioneller etwas erlebt wird, desto besser wird es erinnert. Da verblast das beste "Image". Und das begreifen auch Tourismus-Werber und Stadtmarketing. Man mag das bedauern.
Ortswechsel
Fahren wir nach Dublin. Das Kunstprojekt MurmurToronto erhebt Orte zur Besonderheit durch die Vernetzung mit mündlichen Erzählungen. Es ist in mehr als 15 Städten weltweit aktiviert. "Hear you are!" lautet der Slogan. Der Passant kann, wiederum via Handy, persönliche Anekdoten von Einwohnern vor Ort erhören.
Damit spannt sich eine "Landkarte des Alltäglichen und Intimen, des Flüchtigen und zugleich Epochalen" auf; private Duftmarken, wie eine bestellte Flaschenpost. Unmittelbar, physisch, im Hier und Jetzt.
Unsere kleine, global zum kulturellen Einerlei geschrumpfte Welt wird dank der vielen Miniatur-Geschichten wieder unendlich groß und wert entdeckt zu werden. Die Art wie hier Erinnerung archiviert wird und von den Teilnehmern in didaktischer Weise benutzt wird, indem der Passant von den Erinnerungen anderer Menschen in Echtzeit durch den Stadtraum navigiert wird, läutet die Demokratisierung des Sehenswerten ein. Es ist der mit Telekommunikationstechnologie gestützte Aufstand gegen den Kanon der Baedekers und Michelin-Sternchen.
Hör-Tipp
Digital.Leben, Montag bis Donnerstag, 16:55 Uhr
Links
Yellow Arrow
MurmurToronto