Nur ein Spiel? - Teil 1
Mobbing und Gewalt unter Jugendlichen
Laut Kriminalstatistik 2008 hat die Zahl der angezeigten Kinder und Jugendlichen im Alter von zehn bis 14 Jahren um 30 Prozent zugenommen. Auch die Anzeigen gegen 14- bis 18-Jährige haben zugenommen. Sind junge Menschen gewalttätiger geworden?
8. April 2017, 21:58
Laut Kriminalstatistik 2008 hat die Zahl der angezeigten Kinder und Jugendlichen um 30 Prozent zugenommen. In der Altersgruppe von 14 bis 18 Jahren stiegen die Anzeigen um 9,4 Prozent.
Diese Zahlen vermitteln ein falsches Bild, erklärt der Wiener Kinder- und Jugendanwalt Anton Schmid. Denn in dieser Statistik scheinen die angezeigten Fälle auf. Über die tatsächlichen Verurteilungen gibt es kein statistisches Material. Von der Diskussion, die Rechtsfähigkeit der Jugendlichen von derzeit 14 auf zwölf Jahre herabzusetzen, hält Anton Schmid nichts. Denn Jugendliche müssen laut Schmid lernen wo ihre Grenzen sind. "Und das können sie nur, wenn wie diese auch einmal übertreten."
Jugendliche wollen sich behaupten lernen. Sie suchen nach Orientierung. Grenzübertretungen gehören zu ihrem Entwicklungsprozess. Diese müssen geahndet werden, doch sollen sie nicht die Zukunft der jungen Menschen verbauen.
Gewaltprävention sensibilisiert
Schwere Straftaten, die von Jugendlichen begangen werden, sind Einzelfälle. Dem gegenüber stehen viele leichte Delikte, die zur Anzeige gebracht werden. Noch vor zehn Jahren wären Raufereien im Schulhof oder der Diebstahl eines Geldbörsels nicht bei der Polizei gemeldet worden, sagt der Präventionsbeamte Rudolf Herbst von der Polizeiinspektion Tannengasse im 15. Wiener Gemeindebezirk. Er glaubt, dass letztlich auch die Präventionsarbeit der Polizei die Öffentlichkeit für das Thema "Gewalt" sensibilisiert hat. Was sich jedoch verändert habe, sei die Art wie Gewalt ausgeübt würde. "Wenn zugeschlagen wird, dann heftig".
Die Gründe für die Gewaltbereitschaft sind vielfältig. Familiäre Konflikte und Gewalt in der Familie sind hier ein zentrales Thema. Auch die Jugendarbeitslosigkeit löst Aggression aus. Denn Konflikte entstehen dort, wo Kinder ohne Perspektiven aufwachsen, wenn die Eltern für die Kinder nicht mehr verfügbar sind oder mangelnde Schulbildung verhindert, dass die Kinder einen Platz in der Gesellschaft finden. Gewaltbereitschaft entsteht auch dann, wenn fehlende Sprachkenntnis die Kommunikation verhindert.
Es sind aber nicht nur Jugendliche aus sozialen Randgruppen, die mit Problemen zu kämpfen haben. Viele Kinder und Jugendliche werden alleine gelassen. Materiell gut versorgt, sind sie in ein Regelwerk von schulischen Pflichten und Freizeitaktivitäten eingespannt. Es fehlt der Kontakt zu den Erwachsenen. Doch erst in der Beziehung zu den Eltern oder auch mit älteren Geschwistern lernen die Kinder, ihre Fähigkeiten zu erproben.
Verantwortung von Eltern und Lehrern
In der Auseinandersetzung mit Eltern und Lehrern wird ein Rechts- und Unrechtsempfinden gebildet, sagt der Aggressionsforscher Mario Gollwitzer von der Universität Koblenz - Landau.
Im Lehrplan der Schulen wird dem sozialen Lernen wenig Platz eingeräumt. Der Lernstoff ist umfangreich, externe Evaluierungen sowie das Diktat des Arbeitsmarktes schaffen für Lehrer und Schüler Fakten, die wenig Spielraum für die Entwicklung sozialer Kompetenzen zulassen. Doch ist die Schule oft der einzige Ort, wo soziale Spielregeln geübt werden können.
Um Lehrer und Schüler beim sozialen Lernen zu unterstützen, wurden unterschiedliche Trainingsprogramme eingerichtet. Das Wiener Soziale Kompetenztraining WiSK ist eines davon. Auch Präventionsbeamte der Polizei besuchen regelmäßig die Klassenzimmer.
In diesen Informationsstunden diskutieren die Jugendlichen mit den Polizisten Fragen des gesetzlichen Jugendschutzes. Mit welchem Alter darf ein Jugendlicher Alkohol und Zigaretten konsumieren? Wie lange darf er oder sie sich ohne Aufsicht auf der Straße sein? Welche Veranstaltungen und Lokale sind erlaubt - und welche verboten? Es sind grundsätzliche Spielregeln, die hier erklärt werden. Und: welche Konsequenzen es hat, wenn diese Regeln übertreten werden.
Weitsichtige Maßnahmen sind gefragt
100 Beamte stehen derzeit in Wien zur Verfügung, um mit den Kindern und Jugendlichen zu arbeiten. Jeder Polizist betreut im Schnitt 300 Schüler pro Jahr. Doch es sind nicht nur Unwissenheit oder Leichtsinn, die junge Menschen dazu bringt, Gesetze zu übertreten, sagt Michael Sonvilla von der Abteilung für Jugendgewaltprävention des Landeskriminalamtes Wien. Den Jugendlichen würden oft die Ansprechpartner fehlen. Sie würden einfach zu oft alleine gelassen.
Die aktuelle Wirtschaftskrise beeinträchtigt das soziale Klima. Der Konkurrenzkampf um die raren Arbeitsplätze macht auch vor den Jugendlichen nicht halt. Und der Druck auf die Familien steigt. Nur weitsichtige politische Maßnahmen können helfen, ein gewaltfreies Miteinander zu gewährleisten.
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Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 30. März bis Donnerstag, 2. April 2009, 9:05 Uhr
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