Schmerzloser Schlaf
Die Entwicklung der Narkose
Den ersten Hinweis auf eine "Anästhesie" verdanken wir der Bibel. Um Eva zu erschaffen, legte Gott einen tiefen Schlaf über Adam. Die ersten schriftlichen Hinweise auf schlaffördernde und schmerzlindernde Substanzen findet man in der antiken Medizin.
8. April 2017, 21:58
Und da ließ Gott der Herr einen Tiefschlaf auf den Menschen fallen, so dass er einschlief, nahm ihm eine seiner Rippen und verschloss deren Stelle mit Fleisch." (Genesis, II, 21)
Nicht nur in der Bibel auch in schriftlichen Zeugnissen der antiken Medizin finden sich Hinweise auf schlaffördernde und schmerzlindernde Substanzen. Auf einer babylonischen Tonscherbe, die aus dem Jahr 2250 vor Christus datiert, findet sich ein Mittel gegen Zahnschmerzen, dass sich aus Bilsenkraut und Gummimasse zusammensetzt. Auch andere Substanzen fanden Verwendung, darunter Hanf, Mandragora und Schirling.
Schlafschwämme
Im Mittelalter entwickelten Heilkundige in Klöstern sogenannte "Schlafschwämme". Diese Schwämme waren wahrscheinlich mit Opium getränkt, wurden danach getrocknet, und, vor ihrer Verwendung, wieder befeuchtet und dem Patienten auf Mund und Nase gedrückt. Die Patienten atmeten die Dämpfe ein und fielen in einen tiefen Schlaf.
Für die Allgemeinheit durchgesetzt haben sich diese Substanzen allerdings bis weit ins 19. Jahrhundert allerdings nicht. Entweder wurde ganz ohne Betäubung operiert, dann war vor allem Schnelligkeit gefragt, oder es wurde den Patienten sehr viel Alkohol eingeflößt, um Bewusstlosigkeit zu erzeugen. Auch das Würgen von Patienten war eine mögliche Praxis, die Betroffenen wurden so lange am Hals gewürgt, bis sie ohnmächtig wurden.
Lachgas zur Erheiterung
1845 schließlich schlug die Geburtsstunde der Narkose. Der amerikanische Zahnarzt Howard Wells aus Hartford/Connecticut besuchte kurz vor Weihnachten die Vorführung einer Gauklertruppe, die sich und ihr Publikum damit unterhielten, Freiwillige aus eben diesem Publikum Lachgas einatmen zu lassen.
Lachgas hat eine ausgesprochen erheiternde Wirkung. Einer der "Probanden" aus dem Publikum verletzte sich unter Lachgas-Einfluss heftig am Bein, schien aber nichts davon zu spüren.
Gescheiterter Versuch
Howard Wells beobachtete dies und hatte eine Erkenntnis. Schon am nächsten Tag ließ er sich von einem Kollegen mit Lachgas betäuben, der ihm darauf hin schmerzlos einen Weisheitszahn ziehen konnte.
Nach einer Reihe von Selbstversuchen stellte Howard Wells sich der Kollegenschaft an der Harvard University - mit durchaus schlechtem Erfolg: Sein Vortrag wurde mit mäßiger Begeisterung aufgenommen und die Demonstration der Lachgasnarkose an einem Patienten wurde zum Fiasko: Der Patient schrie nämlich auf, als er das Gas einatmete - ein Vorgang, der sich später noch oft wiederholen und keinen Einfluss auf die nachfolgende Betäubung haben sollte - aber Wells Erfolg war damit in weite Ferne gerückt. Das Leben des Zahnarztes endete letztlich tragisch, er beging 1848 Selbstmord.
Vater der Narkose
So kam es, dass letztlich ein Schüler von Howard Wells, der Zahnarzt William Morton als "Vater" der Narkose galt. Er verwendete allerdings kein Lachgas, sondern setzte als erster Schwefeläther zur Betäubung ein.
Am 30. September 1846 zog er einem Patienten, den er zuvor erfolgreich mit Äther betäubt hatte, schmerzlos einen Backenzahn. Die Nachricht von dieser Möglichkeit der schmerzfreien Operation verbreitete sich in rasender Eile. Schon zwei Wochen später zeigte Morton die neue Methode am Massachusetts General Hospital in Boston vor mehr als 2000 geladenen Gästen vor.
Am 19. Dezember 1846 schließlich führten die Ärzte Boott und Robinson die erste Äthernarkose auf europäischen Boden, in London, durch.
Schillernde Persönlichkeit
Ein österreichischer Forscher spielte in der Verbreitung, der Verbesserung und der Weiterentwicklung der Narkose eine herausragende Rolle. Der Name dieses Forschers lautete Karl Eduard Hammerschmidt.
Der Jurist und Zeitungsherausgeber war eine schillernde Person in der Zeit des Vormärz in der Habsburgermonarchie. Es ist nicht überliefert, ob Hammerschmidt auch Arzt war. Es deutet allerdings einiges darauf hin, dass er an der chirurgischen Akademie Josephinum in Wien Medizin studierte. Ob er das Studium abgeschlossen hat, ist unbekannt.
1.000 Versuche
Hammerschmidt hörte von der neuen Methode der schmerzfreien Operation und war begeistert. Nach zahlreichen Selbstversuchen mit Äther, testete er das Verfahren gemeinsam mit dem damals berühmten Wiener Zahnarzt Josef Engelhardt Weiger an mehr als 1.000 Patienten.
Zudem erstellte er ein Narkoseprotokoll, das auch für die statistische Erfassung geeignet war, und das 50 Jahre später in den USA zum Standard werden sollte. Die genaue Protokollierung jeder einzelnen Narkose war damals die einzige Möglichkeit, möglichst viel über unterschiedliche Narkosereaktionen zu erfahren.
Gründer des Roten Halbmonds
Die Revolution von 1848 führte dazu, dass der Regimegegner Hammerschmidt die Habsburger Monarchie verlassen musste und in die Türkei flüchtete, wo er viele Jahre lang als Arzt und Universitätslehrer tätig war. Er war an der Gründung des Roten Halbmonds beteiligt und starb 1874 hochgeehrt und geachtet.
Erster Anästhesist
Die Narkose hatte in der Zwischenzeit weitere rasante Fortschritte gemacht. So wurde nicht nur Chloroform vermehrt eingesetzt, es wurden auch Gasgemische aus Chloroform und Äther untersucht, die eine bessere Verträglichkeit und längere Narkosen ermöglichten.
Ebenfalls 1847 war mit dem Londoner Arzt Dr. John Snow der erste Arzt ausschließlich als Anästhesist tätig. 1851 wurde das erste Anästhesie-Lehrbuch von Dr. J. Flagg, einem amerikanischen Narkosearzt, veröffentlicht. 1898 wandte der deutsche Arzt August Bier erstmals eine Spinalanästhesie durch. Es sollte allerdings noch bis 1954 dauern, bis das Berufsbild des Anästhesisten anerkannt war.
Sichere Methode
Heute kommt bei einer Narkose eine Kombination verschiedenster Medikamente zum Einsatz. Dazu gehören Schlaf- und schmerzdämpfende Medikamente, Muskelrelaxantien und reflexdämpfende Mittel.
Die Überwachung des Patienten unter Allgemeinanästhesie ermöglicht eine sichere Anwendung der Narkose. Die Gefahr von narkosebedingten Komplikationen liegt bei 1:20.000.
Hör-Tipp
Radiodoktor - Gesundheitsmagazin, Montag, 30. März 2009, 14:05 Uhr