Die Komponistin Louise Bertin
Wunderkind oder Protektionskind?
Hat Hector Berlioz mit-komponiert oder ist der im Paris der 1830er Jahre "skandalöse" Fall wirklich eingetreten: dass eine Frau eine Oper schreibt, ganz allein, ohne männliche Mit-"Hilfe"? Louise Bertins "La Esmeralda", umstritten 1836 und heute.
8. April 2017, 21:58
Ausschnitt aus "La Esmeralda"
Ein Protektionskind, das nie ordentlich komponieren lernen wollte, mit dem Vater als Zeitungsherausgeber (des "Journal des debats") an den Schalthebeln der öffentlichen Meinung und mit einflussreichen Freunden überall, auch in der Opéra. Das ist die eine Möglichkeit, den Fall zu sehen: Alle haben mitgespielt, mussten mitspielen, lobten.
Von Franz Liszt, der von der Oper des Jungtalents den Klavierauszug anfertigte - dieses eine Mal und nie wieder - bis zu Hector Berlioz, der die Einstudierung übernahm, auch bei ihm ein einmaliger Fall. Wahrscheinlich, so wurde gemunkelt, hat ohnehin Berlioz, der regelmäßig im "Journal" schrieb, die Hälfte des Stücks komponiert, ohne es zugeben zu dürfen.
Die Opern-komponierende Frau: ein Ärgernis!
Die andere Sichtweise: Da ist eine von ihren Zeitgenossen logischerweise und planmäßig unterdrückte Künstlerpersönlichkeit, deren Name aus der französischen Musikgeschichte chauvinistisch getilgt wurde, nach inszeniertem Skandal, weil auch ihre Freunde unangenehm ihre Finger in die Wunden der Zeit legten. Und eher hat Berlioz von ihr profitiert als umgekehrt.
Nur: Wer wollte das anerkennen, denn die Künstlerpersönlichkeit, noch dazu mit körperlichem Handycap, war - eine Frau. Zwei Sichtweisen, 1836 und - unglaublich! - auch noch 2008, als die Oper "Esmeralda" von Louise Bertin beim Musikfestival von Montpellier 172 Jahre nach ihrer Pariser Uraufführung an der Académie Royale de Musique erstmals wieder komplett gespielt wurde.
Dass sich immer noch Musikwissenschaftler finden, die den Gedanken nicht aushalten, eine Frau könnte - wie hier - eine Oper selbst zustande bringen, ohne dass ihr ein männliches Genie - wie Berlioz - auf die Beine hilft... Nicht anders als Alexandre Dumas, der bei der Premiere von Louise Bertins "La Esmeralda" an der Opéra beim eingängigsten Stück des Abends losplärrte: "Ist von Berlioz, ist von Berlioz!" (Berlioz hat x-mal dementiert, erfolglos.)
Victor Hugo als Opern-Librettist
Dieses Drumherum macht ein Stück zusätzlich spannend, das nicht bloß nach Vorlage von Victor Hugo entstanden ist, dem umstrittenen, angefeindeten, von der Zensur drangsalierten Victor Hugo, sondern nach dem einzigen Libretto, zu dem er selbst sich je herabgelassen hat, auf Basis des Romans "Notre Dame de Paris" rund um den Glöckner von Notre Dame und die Zigeunerin Esmeralda.
Victor Hugo mit seinen unangenehm-aufklärerischen, Obrigkeit-entlarvenden Stoffen, Inspirationsquelle für Librettisten und Komponisten der Zeit, auch über "Rigoletto" und "Ernani" hinaus: für Louise Bertin, die sich bei der Zusammenarbeit vieles erstreiten musste, hartnäckig, selbstbewusst, wurde er selbst zum Text-Handwerker - und hat die Oper als Genre vielleicht für dümmer genommen als es sein müsste.
Alles dreht sich ums Sopran-Tenor-Liebespaar Esmeralda-Phoebus, das von den Gesangskoryphäen der Ära interpretiert wurde, der Bassist ist der Brunnenvergifter, Quasimodo spielt so gut wie keine Rolle, außer wenn er - mit hellem Tenor - im letzten von vier Akten "den" Melodie-Hit der Oper vortragen darf, der ohne Bezug zur Handlung dasteht. Im Schlussbild: Hand aufs Herz, Blick zum Himmel.
Louise Bertins Wagemut und Scheitern
Es war ein Wagnis für eine Komponistin im Paris der 1830er Jahre, den Kreis häuslichen Musizierens verlassen und eine öffentliche Laufbahn anzustreben. Louise Bertin hat es riskiert. 1805 geboren, von Geburt an an den Beinen gelähmt, vielfältig kunstinteressiert, ungestüm, eigensinnig, leidenschaftlich, von den Eltern gefördert, studiert sie wie Berlioz bei Anton Reicha, wenngleich ungeduldig und am Theoretischen wenig interessiert.
Eine erste Oper von ihr wird im Familienkreis gespielt - wie bei den Mendelssohns in Berlin! -, danach taucht sie ein ins Pariser Künstlermilieu. Die Opéra comique führt "Le coup-garou" der 22-Jährigen auf, das Théatre Italien die opera semiseria "Fausto" - nach Goethe.
Verstümmelte Aufführungen
Die Erfolge halten sich in Grenzen - weil für die Männerwelt der Zeit eine Frau nicht komponieren zu können hatte? Nach der Premiere von "La Esmeralda", deren Musik individuellen Ton besitzt, nicht Meyerbeer imitiert, nicht Adam oder Auber, pfeifen es die Spatzen von den Dächern: Schiebung! Louises Bruder Armand hatte Verbindungen zur Regierung, Privilegien...
In der siebenten Aufführung, ohnehin nur mehr verstümmelt gespielt, wird die Oper endgültig niedergepfiffen. Louise Bertin komponiert zwar weiter, aber bis zu ihrem Lebensende 1877 nie mehr eine Oper. Kammermusik, Klavierstücke, Romanzen ... endlich: "Frauenmusik".
Hör-Tipp
Louise Bertin, "La Esmeralda", Samstag, 28. März 2009, 19:30 Uhr