Omas Geheimnisse auf dem Prüfstand

Kleines Lexikon der Küchenirrtümer

Ludger Fischer, Experte für Lebensmittelsicherheit in Brüssel und begeisterter Hobbykoch, hat Omas Küchenweisheiten geprüft, getestet und erforscht und seine verblüffenden Ergebnisse im "Kleinen Lexikon der Küchenirrtümer" zusammengestellt.

Der Mensch ist nicht nur, wie Ludwig Feuerbach behauptete, das, was er isst, sondern er ist auch so, wie er isst, und er ist so, wie er dieses Essen zubereitet.

Kochen ist eine lebensnotwendige Kulturtechnik. Es hat Jahrtausende gedauert, bis nahrhafte, ja sogar schmackhafte Speisen hergestellt werden konnten. Das Erreichen dieser Erfolge war ein beschwerlicher und für unzählige bedauernswerte Vorkoster sogar tödlicher Weg voller Irrtümer. Aus diesen hat man allerdings gelernt. Je nach individueller Prägung und Region wurde der Geschmack verfeinert und die Technik mündlich oder schriftlich überliefert.

Regeln und Vorschriften gehörten stets zum Kochen wie das Salz zur Suppe. Kochbücher sind also Lehrbücher. Doch wie die meisten Lehrbücher, so Ludger Fischer, spiegeln sie nicht den aktuellen Stand der Wissenschaft, sondern den traditionellen Hintergrund ihrer Autoren wider. Traditionen sollten aber immer hinterfragt und auf ihre Aktualität überprüft werden.

"Das hat man immer so gemacht" reicht mir einfach nicht. Möglicherweise hat man es ja immer falsch gemacht. In der Küche geht es noch immer eher um Tradition als um angewandte Chemie und Physik.

Mythen in den Köpfen

Kulturtechniken wie etwa das Fleischklopfen sind vielerorts aus guten Gründen in Vergessenheit geraten, weil sie aus einer Zeit stammen, in der andere Bedingungen für die Nahrungszubereitung galten oder in der einfach wesentlich weniger über die Prozesse bekannt war, die beim Kochen tatsächlich ablaufen. Bei den Recherchen zum vorliegenden Buch war Lebensmittelexperte Fischer immer wieder erstaunt, wie tief Mythen rund um die Zubereitung von Speisen in den Köpfen von Hausfrauen, Profiköchen, ja sogar Ernährungswissenschaftlern verankert sind.

Gebote wie "Reis im Salzstreuer verhindert das Festklumpen", "Knoblauch darf man nicht pressen" oder "Nudeln dürfen nur im Salzwasser gekocht werden" haben sich deshalb so lange gehalten, weil kaum einer sie je überprüft hat. Eier und ihre richtige Handhabung stellen sich dabei als besonders breites Feld von Irrtümern und gut gemeinten, aber sinnlosen Ratschlägen heraus.

Eier abschrecken oder nicht?

Neben der falschen Konsistenz ist das Platzen der Eier ein ungelöstes Problem. Tipps, wie das zu verhindern ist bzw. zum Umgang mit Eiern, die bereits geplatzt sind, und wie man ein Austreten des Eiklars verhindern kann, haben schon ganze Partyrunden in Kampfarenen verwandelt.

"Eier kochen nicht aus, wenn man Essig ins Wasser gibt" Diesen Ratschlag, den man immer wieder in Frauenzeitschriften finden kann, hat offenbar niemand je ausprobiert. Fischers Testergebnis: Eiklar und sogar Eigelb treten aus und lassen ein amorphes Gebilde zurück, das kaum jemand am Frühstückstisch schwimmen haben möchte.

Auch zum Thema Abschrecken sind bereits wahre Glaubenskriege gefochten worden. Nach aufwändigen Tests im Schweizer Bundesamt für Gesundheit stellt sich heraus, dass das Abschrecken mit der besseren Schälbarkeit von Eiern nichts zu tun hat. Als Mittel für eine bessere Haltbarkeit ist es sogar ungeeignet, weil durch den kalten Wasserschock Bakterien ins Innere des Eies gelangen können.

Das etwa in Schweden praktizierte Waschen von Eiern ist aus hygienischen Gründen ebenso überflüssig, wie das Kühlen. Einzig bei der Zubereitung des perfekten Frühstückseis gibt Fischer zu, keine Lösung gefunden zu haben.

Wie schneidet man Fleisch?

Auch die richtige Behandlung von Fleisch birgt zahlreiche Irrtümer. In vielen Kochbüchern liest man, es müsse quer zur Faser geschnitten werden, weil es sonst in der Pfanne schrumpft. Als Erklärung wird der angeblich große Verlust von Bratensaft, also Zellflüssigkeit, angegeben. Ludger Fischer widerspricht auch hier.

Geschnetzeltes oder auch Gulasch wären demnach automatisch saftarm, Pfanne oder Topf mit einer Lache an Zellflüssigkeit gefüllt und ein Anbraten damit unmöglich. Hackfleischmasse müsste eigentlich im Fleischwolf eine nahezu flüssige Konsistenz annehmen. Dass sie das nicht tut, liegt an der noch immer relativ geringen Zahl der Zellen, die selbst beim brutalstmöglichen Zerstückeln von Fleisch verletzt werden.

Selber experimentieren

Wer Fischers mit fundierten Fachkenntnissen gespicktes und mit feiner Ironie garniertes Lexikon liest, wird garantiert die eine oder andere Herd-Gepflogenheit überdenken. Und vielleicht auch aufatmen: Kaffee entzieht nämlich, wie so oft behauptet, dem Körper gar keine Flüssigkeit; Dosengemüse ist genauso gesund oder ungesund wie frisches; das Kochen von Gemüse zerstört nicht seine wertvollen Inhaltsstoffe; Hawaii-Toasts sind nicht krebserregend und auch Pilze darf man getrost aufwärmen.

Rohkost-Fanatiker werden vielleicht ein bisschen traurig sein, wenn sie lesen, dass zu viel ungekochtes Obst und Gemüse zu einer erhöhten Aufnahme von Pilzen und Bakterien führt. Wer es nicht glaubt, kann sich ja selbst auf Experimente einlassen. Dabei könnte man entdecken, dass Nudeln sogar schon bei 60 Grad al dente geraten; dass das Soufflé nicht zusammenfällt, wenn man die Backrohrtüre öffnet, dass man keinesfalls immer in die selbe Richtung rühren muss und dass Schnellkochtöpfe nicht explodieren.

Fischers Anleitungen gehören in jedes Kochbuch-Regal, um im Falle des Falles die liebe Oma widerlegen zu können, wenn sie die Sinnhaftigkeit einer Zubereitungsart mit dem Hinweis untermauert, dass man das aus gutem Grund "immer schon so gemacht hat".

Irrtümer machen klug - sobald sie als solche erkannt werden.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Ludger Fischer, "Kleines Lexikon der Küchenirrtümer", Eichborn Verlag