Fotoapparat und Botanisierungstrommel

Pflanzen-Tagebücher

Von den alten Griechen sind illustrierte Pflanzenbücher bekannt. In der Renaissance begann man Pflanzen zu pressen und auf Papier zu kleben. In Bibliotheken liegen heute wertvolle Herbarien, in denen getrocknete Gewächse Jahrhunderte überdauert haben.

Schon immer haben sich Menschen für Pflanzen interessiert. Zuerst als Nahrungsquelle, dann als Forschungsobjekt. In Bibliotheken liegen noch heute wertvolle Herbarien, in denen getrocknete Gewächse mehrere Jahrhunderte überdauert haben.

Das wohl wertvollste Herbarium befindet sich heute in London. Der Schwede Carl von Linné hatte die Pflanzen in der Mitte des 18. Jahrhunderts nicht nur systematisch benannt, sondern viele auch als gepresste Belegexemplare gesichert.

Das Aufsuchen von Pflanzen an ihren natürlichen Standorten

"Botanisieren ist das Aufsuchen von Pflanzen an ihren natürlichen Standorten", heißt es in Meyers großem Konversationslexikon von 1905. Und genau darauf kam es im 18. und 19. Jahrhundert an: Zahlreiche Naturforscher nahmen die Strapazen weiter Schiffsreisen auf sich, um in fernen Ländern nach unbekannten Pflanzen zu suchen, sie zu pressen und dann an Museen in aller Welt weiterzugeben.

Wir stellen uns die Naturforscher vor 200 Jahren vor: Haben sie bei ihren Ausflügen auch eine "Botanisiertrommel" getragen? Dieses rätselhafte Wort habe ich selbst erst in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts kennengelernt: als Titel einer Sammlung von Balladen und Naturgedichten von H. C. Artmann. In seinen poetischen Fundstücken bahnt sich der Poet einen Weg durch Löwenzahn, Kerbel, Gamander. Er windet der Geliebten einen Kranz aus Butterblumen um das Haupt. Und er beobachtet aus dem Zugabteil Fingerkraut, Strandkamille und Rainfarn, die "im Flug am Damm vorbei flutschen".

Suchen und pressen

Doch zurück zur Botanisiertrommel: Dieses länglich-zylindrische Gefäß aus Holz oder Blech wurde lange Zeit zum Sammeln von Pflanzen verwendet. Man konnte es umhängen und die Studienobjekte vor dem Austrocknen schützen. Heute nimmt man dafür einfach einen Plastiksack. Er ist um einiges leichter und erfüllt denselben Zweck.

Doch wer sammelt heute noch Pflanzen? "Das systematische Suchen und Pressen wird hauptsächlich nur mehr für wissenschaftliche Zwecke unternommen", sagt der Botaniker Walter Till von der Universität Wien. Im Herbarium dieser Institution werden 1,4 Millionen Präparate verwahrt.

Im Schulunterricht, wo noch vor einigen Jahrzehnten sehr viel Wert darauf gelegt wurde, die heimischen Pflanzen zu kennen und sie nach ihren Erscheinungsmerkmalen bestimmen zu können, ist es nicht mehr üblich, Pflanzen an ihren Standorten aufzusuchen. So geht das Wissen um die heimische Flora immer mehr verloren.

Fotoapparat statt Botanisiertrommel

Außerdem muss heute ganz anders botanisiert werden, als in den vergangenen Jahrhunderten: Der Lebensraum vieler Pflanzen ist mittlerweile drastisch geschrumpft. Viele Gewächse stehen unter Schutz und dürfen nicht mehr gepflückt werden. Aber "Pflanzentagebücher" kann man auch anders anlegen: Der Fotoapparat kann die Botanisiertrommel ersetzen und vielgestaltige Eindrücke mitnehmen.

Man kann, ausgerüstet mit einem Bestimmungsbuch oder einem bebilderten Pflanzenführer, die bunte Vielfalt auf den Wiesen neu entdecken: die Namen der Pflanzen finden, sie ihrem Standort zuordnen und so größere Zusammenhänge erkennen. Das alles scheint unspektakulär.

Doch wie hat H. C. Artmann geschrieben? "Aus akazjen, azaleen, pappel­bäumen, safferan, auch aus weiden, blauen schlehen weht die neue zeit uns an".

Ich jedenfalls werde heuer von meinen Wanderungen Fundstücke mitnehmen. Ich werde Fotos machen, Rindenstücke, Früchte und Blätter aufheben. Ich werde die Namen der dazugehörenden Pflanzen suchen und dann auch hoffentlich den Gamander finden, jenen rätselhaften Lippenblütler, dessen Name schon H. C. Artmann fasziniert hat.

Hör-Tipp
Vom Leben der Natur, Dienstag, 14. April bis Freitag, 17. April 2009, 8:55 Uhr