Die Hexen 33 Jahre danach
Die Witwen von Eastwick
In seinem letzten Roman ist John Updike nach Eastwick zurückgekehrt, zu den Hexen, die das Wilde des Daseins ungeniert auslebten. An Updikes expliziten Schilderungen hat sich nichts geändert, ansonsten dominiert in diesem Roman die Vergänglichkeit.
8. April 2017, 21:58
Wollten Sie immer schon wissen, wie's weiter geht? Was passiert, wenn die Romane zu Ende sind? Dann sind Sie bei John Updike richtig. Der Amerikaner, der im Jänner dieses Jahres 76-jährig verstorben ist, gilt als Spezialist dafür, sich über die Jahre immer wieder derselben Orte, derselben Personen, derselben Geschichten anzunehmen, sie Jahre und Jahrzehnte später weiter zu erzählen.
Das Dunkle und das Orgiastische
Zuletzt ist John Updike vor seinem Tod nach Eastwick zurückgekehrt, zu den Hexen in der fiktiven Ostküstenstadt in New England, die das Wilde, das Dunkle, das Orgiastische des Daseins nicht nur verkörperten, sondern auch ungeniert auslebten.
Mit dem Roman "Die Hexen von Eastwick", erschienen 1985, wollte Updike, wie er einmal sagte, "die Dinge zwischen mir und meinen feministischen Gegnerinnen ein für alle mal klarmachen". Explizit behandelte der Schriftsteller darin seine These, dass der Mensch von Natur aus nicht das liebe, freundliche und friedfertige Wesen ist, zu dem der französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau ihn hatte erklären wollen. Und: dass das für Frauen, entgegen manchen feministischen Theorien, nicht weniger gilt als für Männer. Den drei Hexen kam man besser nicht in die Quere. Das konnte leicht fatal enden.
Gutbürgerliches Leben
Und nun: "Die Witwen von Eastwick". Exakt 33 Jahre sind vergangen. Am Ende des Vorgänger-Romans verließen die Hexen nach zahlreichen Missetaten und unter Zurücklassung beträchtlicher Verwirrungen, vor allem sexueller, Eastwick fluchtartig. Sie verehelichten sich mit einigermaßen anständigen Männern und frönten, auch geografisch getrennt, ihren halbwegs geordneten Existenzen.
Alexandra, die Älteste, heiratete einen gewissen Jim Farlander, einen Künstler und Bildhauer, der sich auf nachgemachte indianische Navajo-Keramik spezialisiert hatte. Jane, die zweite, lachte sich einen etwas unbeholfenen, aber finanziell bestsituierten Ostküsten-Sprössling aus alter Familie an. Sukie schließlich gab einem Computer-Spezialisten das Ja-Wort, dessen Wohlstand sich parallel zum Computer-Boom der 1980er und 1990er Jahre stark vermehrte. Man darf sie also alle drei als wohl situiert bezeichnen, als kurz nacheinander die drei Ehemänner versterben.
Zurück nach Eastwick
Nach zahlreichen Ferngesprächen und E-Mails beschließen sie vorerst, einander wieder zu treffen. Sie absolvieren gemeinsam zwei Reisen nach Ägypten und China. Nach dieser Vorbereitung, bei der man sich trotz mancher Ärgernisse ganz gut versteht, kommt es endlich zum Entschluss: noch einmal einen Sommer am Ort der Unruhe, in Eastwick zu verbringen.
Die Nachricht, das verdammenswerte Trio halte sich wieder in der Stadt auf, sickerte von Ohr zu Ohr, wie Regenwasser durch die Gänge einer Ameisenkolonie. (...) Als Gina dann Anfang Juli auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums auf Alexandra stieß, erkannten die beiden einander sofort. "Hab schon gehört, dass Sie wieder in Eastwick sind", räumte Gina Marino ein und ließ ein Schnauben folgen. "Nur versuchsweise", versicherte Alexandra ihrer alten Rivalin. Sie genoss diese Begegnung, die ihr Joe Marino in Erinnerung rief. Die Massigkeit seines Körpers, das Fell auf seinem Rücken, seinen schweißnassen Bauch, die erregende Stärke seiner Hände. Sie hatte auch die männliche Einfalt geliebt, mit der er heimlich, wie er glaubte, in ihrem kleinen gelben Haus ein und aus gegangen war. Leidenschaftlich hatte er sie seine "weiße Kuh", "mia vacca bianca", genannt, wenn er sie von hinten nahm.
Pralles Leben, gepaart mit Todesvisionen
Der bekannte amerikanische Kritiker und Schriftstellerkollege David Foster Wallace bezeichnete John Updike einmal böse als "just a penis with a thesaurus" - als einen "Penis mit einem Wörterbuch". Das ist eindeutig eine unstatthafte Reduktion - allerdings ist Updike seinem Prinzip, sich kein Blatt vor den Mund zu nehmen, auch im Alter treu geblieben. An seinen expliziten Schilderungen, zumal auch sexueller Geschehnisse, hat sich auch bei den "Witwen" nichts geändert. Ansonsten dominiert in diesem Roman, den der Amerikaner im Alter von 75 Jahren, vier Monate vor seinem Tod herausbrachte, die Vergänglichkeit.
Und auch dieser stellt sich der Amerikaner ohne Vorbehalte, ohne Pietät, ohne Wehleidigkeit und ohne Rücksichten. So wechseln hier die Szenen des prallen Lebens mit manchen Schreckensbildern und Todesvisionen. Updike ist darin der ebenso genaue wie erbarmungslose Beobachter der Menschen und ihrer Schwächen, der er immer war.
Punkte-Höchstzahl
Dass John Updike fraglos einer der genialsten Stilisten und wendigsten Erzähler des 20. Jahrhunderts war, ist oft genug, auch von seinen schärfsten Kritikern, gesagt worden. Das trifft auch auf seinen neuen, letzten Roman zu. Updikes Werke sind flüssig zu lesen, auch wenn sie die über 400 Seiten der "Witwen von Eastwick" umfassen. Darin gibt es kein Stocken, kein Stolpern, keinen Moment, in dem der schnelle Rhythmus der Erzählung durcheinander geraten würde.
Resümee: Wie lautet doch die mögliche Punkte-Höchstzahl bei diesen unsäglichen (ominösen, wunderbaren) Fernseh-Tanzwettbewerben? Zehn? Also: Zehn von zehn Punkten für das Hexentrio von John Updike für diesen wunderbar leichten Tanz durch Leben und Tod.
Mehr zu John Updike in oe1.ORF.at
Hör-Tipp
Ex libris, Sonntag, 12. April 2009, 18:15 Uhr
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Buch-Tipp
John Updike, "Die Witwen von Eastwick", aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Angela Praesent, Rowohlt Verlag
Link
Rowohlt - Die Witwen von Eastwick