Unverblümte Literatur

Würze des Lebens

Indien kann man getrost als "Mutterland des Sex" betrachten, von wegen Kamasutra und so. Und doch haben es die anderen beiden Großen in Sachen Literatur und Sex längst überholt: In China und Japan freut man sich an und giftet sich über Sex in Boox.

18 Jahrhunderte nachdem das wichtigste und älteste Lehrbuch in Sachen Erotik, das Kamasutra, geschrieben wurde, macht Indien punkto Sex in Boox nicht unbedingt eine gute Figur. Im Jahr 2003 wurde ausgerechnet ein Inder mit dem jährlich von der Literary Review verliehenen Bad Sex Award ausgezeichnet: der Journalist, Verleger und Autor Aniruddha Bahal.

Anders als Tom Wolfe oder John Updike, die sich in dieser Angelegenheit nach dem alt-österreichischen "Net amal ignorieren” verhielten, fühlte sich Aniruddha Bahal sogar geehrt und war wahrscheinlich wirklich der erste Autor, der sich über diese Auszeichnung freute. Es bringe ein wenig Rebellion in die doch sehr prüde indische Literaturszene, soll er gesagt haben, um sich gleich anschließend dann doch ein wenig verärgert zu zeigen, um seinerseits die Veranstalter nicht vor den Kopf zu stoßen.

Entzweier des "Literarischen Quartetts"

Japan hat Indien bezüglich Sex in Boox längst überrundet. Haruki Murakami war einer der ersten Männer, der seine Bücher erfolgreich mit Sex würzte. Bezüglich der Qualität dieser eindeutigen Stellen waren sich vor langer Zeit, im Sommer 2000, Siegrid Löffler und Marcel Reich-Ranicki höchst und lautstark uneins. Was dem Absatz der Bücher von Haruki Murakami in Deutschland sicher nicht geschadet hat.

Das erste freizügige Buch einer japanischen Frau ist mittlerweile 1.000 Jahre alt und gilt als Klassiker der japanischen Literatur: Das Kopfkissenbuch der Sei Shonagon.

"Skandalöse" Sprache

Zum Status als Klassiker hat es die junge Itomi Kanehara noch weit. Den Bestseller-Status und den Kult-Status hat sie schon erreicht, vor allem bei den Jungen, die sich in ihren Büchern mit all ihren Kommunikationsschwierigkeiten, Beziehungsproblemen und Bindungsängsten wiederfinden. Und in den sinnlosen Besäufnissen, den exzessiven Tanzereien, den Sex-and-Drugs-Partys, den elendiglich langen Nachmittagen vor den One-Armed Bandits. "Skandal" skandiert die honorige japanische Gesellschaft ob der freimütigen - oder doch pornografischen? - Sprache der Barbie-gesichtigen Itomi Kanehara. Und weil Tokio so dunkle Seiten gar nicht haben kann!

Dabei gibt es eine wirklich harte Seite der japanischen Gegenwart, auch im Buch - nach dem Motto: Sex alleine reicht nicht, da muss schon noch eine gewaltige Portion Hass und Gewalt dazukommen. Akira Kuroda führt ihre Leser in die schmuddeligsten Winkel der japanischen Hauptstadt zu vier Halbwüchsigen, die sich mit Gewaltphantasien, Skateboarden und Brutalopornos die Zeit vertreiben. Offenbar hat auch sie einen Nerv der japanischen Gesellschaft getroffen: Sie wurde für "Made in Japan" mit dem renommierten Bugei-Preis ausgezeichnet.

Dank Zensur zum Kultbuch

Dagegen wirken die chinesischen "Sex-in"-Books beinahe harmlos. Qiu Xiaolong drapiert einen Krimi rund um eine im Geheimen sexbesessene Heldin der Arbeit. Yan Lianke umgibt die liebestolle Generalsgattin in seinem Roman "Dem Volke dienen" mit handfester Satire, was zur Folge hatte, dass er zielgenau in die Mitte der Zensoren-Visiere rückte und seine Bücher immer wieder verboten wurden.

Ganz ähnlich ergeht es Wei Hui, die als "dekadente, zügellose Sklavin des Westens" und als "Body Writer" verunglimpft wurde - "Body Writer" bedeutet, dass sie beim Schreiben das Hirn ausschaltet. Wahrscheinlich aber waren die Offiziellen nur deshalb so sauer, weil sie "Shanghai Baby" erst entdeckten, als es schon ein halbes Jahr auf dem Markt war - und bereits in 130.000 Exemplaren verbreitet.

Dann schlug der Apparat mit aller Wucht zu: Der Roman wurde verboten, 40.000 Exemplare verbrannt und der Verlag geschlossen. Wei Hui wurde öffentlich getadelt, ihr Name aus den chinesischen Suchmaschinen getilgt. Der Geheimdienst hörte ihr Telefon ab und las ihre E-Mails. Bis man auf die Idee kam, dass "Shanghai Baby” zur Werbung für das neue, ehrgeizige China geworden ist, dass dieser Roman Touristen anlockt, die die Schauplätze von Cocos Treiben sehen wollen. "Vor allem Japaner", grinst Wei Hui, "besuchen die Toilette, in der die Protagonisten meines Buches Sex hatten. Diese Toilette ist eine Sehenswürdigkeit!"

Ein Denkmal für Shanghai

Shanghai hat es in sich, denn dort lebt die zweite international bekannte Skandalnudel der chinesischen Literatur: Mian Mian. Auch sie setzt der jugendlichen Szene der quirligen Hafenstadt ein Denkmal, auch sie "kann nur schreiben, was ich kenne", auch in ihren Büchern tut "man" bei weitem mehr als die Genossen-Hirne ertragen können.

Auch ihre Bücher wurden verboten. Die ersten. "Panda Sex", 2004 entstanden, wurde von der Zensur wohlwollend aufgenommen. Na so was! Haben die dazugelernt? Oder kommt Mian Mian in die Jahre? Immerhin wird sie heuer neun-und-dreißig!

Mehr zu Wei Hui in oe1.ORF.at und zu Miam Mian in oe1.ORF.at

Hör-Tipp
Terra incognita, Donnerstag, 16. April 2009, 11:40 Uhr

Buch-Tipps
Sandhya Mulchandani, "Kamasutra", Collection Rolf Heyne

Haruki Murakami, "Gefährliche Geliebte", Btb

Itomi Kanehara, "Obsession", Ullstein

Akira Kuroda, "Made in Japan", Jbook/Maas Verlag

Qiu Xiaolong, "Tod einer roten Heldin", Zsolnay

Yan Lianke, "Dem Volke dienen", Ullstein

Wei Hui, "Shanghai Baby", Ullstein

Mian Mian, "Deine Nacht, mein Tag", Kiepenheuer & Witsch

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Links
Bad Sex Awards
asiaone - Hitomi Kanehara