Emotionen und Vorurteile

Die Anderen

Integrationsunwilligkeit, Parallelgesellschaft, Kopftuch und Ehrenmord lauten einige Schlagworte in der Debatte um kulturelle und religiöse Diversität in Österreich. Die Türkei und der Islam werden dabei schnell zur Bedrohung stilisiert. Dem war nicht immer so.

"16583: Die Türken vor Wien. Heute: Die Türken vor Brüssel." So untertitelte die auflagenstärkste Tageszeitung Österreichs eine dort abgedruckte Karikatur. Die erste Hälfte des Bildes zeigt das brennende Wien und seine umkämpften Stadtmauern. Fahnen mit österreichischem Wappen werden auf der einen Seite der Mauer geschwenkt, Fahnen mit Halbmond und Sternenkreuz auf der anderen. Türkische Säbel richten sich drohend gegen den Stephansdom in Hintergrund.

Die zweite Hälfte der Karikatur zeigt eine bis zum Horizont reichende und vom türkischen Ministerpräsident Erdogan angeführte Menschenschlange - darunter viele Kinder und Alte, die ebenfalls türkische Fahnen hoch halten. Sie stehen dem ratlosen Eu-Kommissionspräsidenten Barroso gegenüber, der einen Akt in den Händen hält. Darauf zu lesen sind die Stichworte Zypern, Armenien, Genozid und Kurden.

"Die Türken vor Wien - Die Türken vor Brüssel", Medieninhalte wie dieser und der politische Diskurs der vergangenen Jahre zeigen: Die Türkei und der Islam sind durch den möglichen EU-Beitritt der Landes und die Migration seiner Bürger und Bürgerinnen in die Länder der Europäischen Union seit einigen Jahren verstärkt in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt.

Diskurs hat sich stark verändert

"In diesem Zusammenhang werden - anders als in den 1960er und 1970er Jahren, die den Beginn der türkischen Arbeitsmigration nach Österreich und Deutschland markieren - heute vor allem Religions- und Geschlechterfragen diskutiert", sagt die Politikwissenschaftlerin Stephanie Mayer vom Demokratiezentrum in Wien.

Sie untersuchte gemeinsam mit Elisabeth Röhrlich historisch und kulturell geformte Türkenbilder im Kontext vergangener und tagesaktueller politischer Debatten. Analysiert wurden visuelle Darstellungen von Türken und Türkinnen in den österreichischen Printmedien, wie auch der politische Diskurs der 1960er und 1970er Jahre über sogenannte türkische "Gastarbeiter".

Arbeitsmarkt-Fragen

Kulturelle und geschlechtsspezifische Fragen werden kaum angesprochen, türkische Gastarbeiter und Gastarbeiterinnen werden als ungebildet und rückständig beschrieben - als zweite Wahl, die österreichische Arbeitskräfte keinesfalls vollständig ersetzen wird können. Der soziale Status der Gastarbeiter als neue Unterschicht wird als gegeben akzeptiert und die Gründe dafür nicht hinterfragt." Thematisiert werden vor allem Fragen, die den Arbeitsalltag der Migranten und Migratinnen betreffen.

Religion, Geschlecht und Integration

Ganz anders die derzeit laufenden Diskussionen: Türkische Migranten und Migrantinnen werden unweigerlich mit dem Islam assoziiert. Integrationsunwilligkeit, Parallelgesellschaft, Patriarchat, Kopftuch, Zwangsheirat und Ehrenmord lauten einige immer wiederkehrende Schlagworte in der Debatte. Und: Integration wird vermehrt als Bringschuld der Migranten und Migrantinnen dargestellt, die sich an die Mehrheitsgesellschaft anzupassen haben, dass der Staat, wie auch seine öffentlichen Einrichtungen und Strukturen für eine gelungene Integration zumindest mitverantwortlich sind, ist in der breiten gesellschaftlichen Debatte in den Hintergrund gerückt.

"Ganz anders war das noch in den 1960er und 1970er Jahren", analysiert Stephanie Mayer. Die Gründe für den inhaltlichen Wandel der Integrationsdebatte sieht die Politikwissenschaftlerin in den sich stark geränderten wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen. "In den 1960er und 1970er Jahren gab es in Österreich Vollbeschäftigung - nicht Arbeitslosigkeit, sondern Arbeitskräftemangel war das Problem. Das heißt: Man war auf den Zustrom von Arbeitskräften aus dem Ausland angewiesen", so Mayer.

Emotionalisierung und mangelnde Differenzierung

Eine Emotionalisierung der Debatte - vor allem durch politische Parteien des rechten Randes - ist bereits in den 1970er Jahren erkennbar, doch in den darauf folgenden Jahrzehnten verschärften sich die Diskussionen um Migration, Integration und den möglichen EU-Beitritt der Türkei zusehends.

"Das verdeutlicht zum Beispiel der aktuelle Mediendiskurs", sagen die Mayer und Röhrlich, die im Rahmen ihres Forschungsprojektes auch die bildhafte Darstellung von Türken und Türkinnen analysiert haben. Sie untersuchten Fotografien und Karikaturen, die in der Kronen Zeitung, der Kleinen Zeitung und in der Nachrichtenillustrierten News erschienen sind. Dabei zeigte sich: Es wird nur ein kleines Repertoire von Bildern verwendet, in denen immer wieder dieselben Marker und Symbole eingesetzt werden: Beispielsweise wütende Menschenmassen, die türkische Fahne, das Minarett oder das Kopftuch.

"Den protestierenden und oft aggressiv wirkenden Menschenmassen werden kontrastierend einzelne Ausnahme-Türken und Ausnahme-Türkinnen gegenübergestellt, die als europakonform präsentiert werden. In der Bildunterschrift wird explizit auf deren Verfolgung im oder deren Bruch mit ihrem Heimatland hingewiesen. "So etwa im Fall des Schriftstellers Orhan Pamuk oder der Archäologin Muazzez Ilmiye Cig", sagt Stephanie Mayer.

Solche bildhaften Darstellungen und die mangelnde Differenzierung der Darstellungsweisen, so Stephanie Mayer und Elisabeth Röhrlich würden stark emotionalisieren und den Gegensatz zwischen EU-Europa und der Türkei überbetonen oder, in einigen Fällen, erst konstruieren.

Hör-Tipp
Dimensionen, Donnerstag, 23. April 2009, 19:05 Uhr