Arbeitslos oder freigesetzt?
Erfindungen der Wirtschafts-Sprak
Macht es für einen einen Arbeiter einen Unterschied, ob er "gekündigt" oder "freigesetzt" wird? Wirtschafts-Sprak hat bereits Tausende von Neologismen, Euphemismen, Anglizismen, Abkürzungen und Akronyme für negativ besetzte Ausdrücke geschaffen.
8. April 2017, 21:58
Neulich erhielten so genannte "Mit-Arbeiter" eines in Wien ansässigen multinationalen Konzerns eine E-Mail, in der ihnen unter anderem Folgendes mitgeteilt wurde:
All 65 persons who are to be made redundant will be notified by end of April.
Nicht die Funktionen, wohlgemerkt, die Personen "redundant machen", überflüssig machen. Das ist natürlich amerikanische Schule.
In unseren Ohren klingt das unzivilisiert; "typisch amerikanisch", denken wir, wir denken vielleicht an amerikanische Filme: Ein Terminator stellt sich vor uns auf, sagt, "you are redundant" - und bläst uns die Birne weg.
Arbeit als Joch betrachtet
Nein, wir halten noch fest am fast schon altmodischen Begriff des "Freisetzens". Das ist eleganter. Es impliziert, dass der, der "freigesetzt" wird, zuvor "unfrei" war, und fügt sich so ein in unsere mitteleuropäisch-katholische Tradition, derzufolge das Leben im Allgemeinen und die Arbeit im Besonderen ein Joch sind, das der Mensch zu tragen hat. Ihn davon "freizusetzen" kann, mit etwas gutem Willen, als Akt der Nächstenliebe verstanden werden.
Den anglo-amerikanischen Puritanern dagegen gilt Arbeit als Gottesdienst. Und wer vom Gottesdienst freigesetzt wird, der ist tatsächlich redundant, überflüssig vor Gott, "dem wäre es" - um im Bild zu bleiben - "besser, dass ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäuft werde im Meer, da es am tiefsten ist."
Mit-Arbeiter über Nacht
1984 maturierte ich an der ehrwürdigen Handelsakademie zu Bregenz. Wirtschafts-Sprak - das einzige Neusprech, das heute normative Kraft besitzt -, Wirtschafts-Sprak steckte damals noch in den Kinderschuhen, aber es zeigte schon sein Potenzial. Da wurden nämlich, quasi über Nacht aus Arbeitern, Angestellten, Untergebenen, Untertanen, Hilfskräften, Tagelöhnern, Sklaven, Knechten, kurz: aus jeglicher Art von Arbeitern "Mit-Arbeiter". Ein kleiner, aber feiner chirurgischer Eingriff. Denn wie der Mitmensch zum Menschen, wie der Mitbruder zum Bruder, so steht der Mitarbeiter zum Arbeiter. Wir alle, heißt das, wir alle ziehen am selben Strang, vom Hausmeister (heute "Facility Manager") bis zum obersten Chef (heute "CEO"), alle - bis auf einen: den Papst; der ist, laut Eigendefinition, noch immer "einfacher Arbeiter (nicht Mit-Arbeiter) im Weingarten des Herrn".
Altes Wort in neuem Kontext
Seither hat Wirtschafts-Sprak Tausende von Neologismen, Euphemismen, Anglizismen, Abkürzungen und Akronymen geschaffen. Unmöglich sie aufzuzählen; aber auch unnötig, denn die Kraft von Wirtschafts-Sprak besteht nicht einfach in der puren Überflutung und Durchdringung unserer Alltagssprache. Ihre wahre Macht entfaltet sie vielmehr in wenigen, aber entscheidenden Augenblicken, dort nämlich, wo sie überlieferte, mit Bedeutung aufgeladene Begriffe herausgreift und in einen neuen, zunächst paradox wirkenden Zusammenhang stellt.
"1984" hatte sein "Wahrheits-Ministerium", kurz "Miniwahr" oder "Minitrue"; Wirtschafts-Sprak erfand zum Beispiel die "Firmen-Philosophie". Den Erfolg dieser ursprünglich vollkommen absurden Wortverbindung erkennen wir daran, dass wir uns dieser Absurdität heute gar nicht mehr bewusst sind. Das ist Kraft! Wenn einmal in unseren Köpfen steckt, dass Firmen, dass Konzerne eine "Philosophie" haben, dann wundert uns auch nicht mehr, dass sie eine "Mission" oder "mission" verfolgen, dass Konzerne "Visionen" haben - und keiner ist da und holt einen Arzt.
Auf das Tempo kommt es an
Auf ein paar solchen Grundpfeilern beruht der Erfolg von Wirtschafts-Sprak, der Rest ist Schnelligkeit. Kaum ist der vorletzte Mode-Begriff ins allgemeine Bewusstsein gesickert, kaum glaubten die Flinkesten in einem Unternehmen, sie hätten durch Verwendung des nun aber wirklich allerneuesten Codeworts ihre Kompetenz hinlänglich unter Beweis gestellt, da ist dieses Allerneueste auch schon wieder überholt.
So leben selbst die Anschmiegsamsten und Katzbuckelndsten innerhalb eines Konzerns in ständiger Unsicherheit, ob sie nicht doch, vielleicht, eine Minute, eine Sekunde zu spät waren.
Right-gesized
Kehren wir zu unseren ehemaligen Mit-Arbeitern zurück, die soeben redundant gemacht worden sind, weil "outgesourct" wurde, weil "restrukturiert" wurde, weil "konsolidiert" wurde und so weiter. Ihr Konzern ließ sie auch wissen, er benötige ein "right-sizing". Vor kurzer Zeit noch hätte er sich "down-gesized" bzw. "gesundgeschrumpft". Doch "Gesundschrumpfen", seien wir ehrlich, klingt einfach zu dämlich, à la "Liebling, ich habe meine Kinder geschrumpft!"; und ein findiger Kopf, vielleicht ein Firmenphilosoph, hat herausgefunden, dass die Richtung "down" in den meisten Kulturen negativ besetzt ist.
Also "right-sizing": Da, das verstehen wir, geht's ums Maßhalten, um Mäßigung, ums rechte, ums menschliche Maß. Beste humanistische Tradition, übergeschwappt nach Amerika, aufpoliert, nagelneu wieder zurückgekehrt - und: in diesem Moment womöglich schon wieder obsolet. Wer kann das wissen. Wir wissen nur, dass eines bleibt, eine tröstliche Wahrheit für die Ewigkeit, ausgedrückt in bestem Wirtschafts-Sprak: "Geht's der Wirtschaft gut, geht's uns allen gut."
Hör-Tipp
Diagonal, Samstag, 9. Mai 2009, 17:05 Uhr
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