Kommentare zur Krise
Wirtschaftsweblogs
Kaum ein Zeitungsartikel, kaum eine Sendung, kaum eine Unterhaltung, in der die Wirtschaftskrise nicht zur Sprache kommt. Die Krise ist immer und überall. Sogar im Internet. Wer andernorts nicht genügend Gehör findet, der bloggt, heißt es.
8. April 2017, 21:58
Die Marktliberalen dieser Welt sind größtenteils verstummt, heißt es. Aber das ist nicht wahr. Ich habe ihn ganz leicht gefunden, den Neoliberalismus in Österreich.
"Wir schreiben das Jahr 2009 anno domini. Ganz Gallien ist jetzt von den Keynesianern besetzt. Nur ein kleines Dorf am Rande der von ihnen besetzten Gebiete leistet tapferen Widerstand gegen zu viel Staat, zu viel Regulierung und zu wenig Markt: OrtnerOnline", ist auf der Website des Journalisten Christian Ortner zu lesen.
Ortner Online
Christian Ortner schreibt sich die Finger wund, mit der Absicht, den österreichischen Staat vor unsinnigen Entscheidungen retten zu müssen. Dieser Mann meint es ernst. Bitter ernst. So ernst, dass er seinen Weblog "OrtnerOnline" als "Zentralorgan des Neoliberalismus" bezeichnet. Dort schreiben Georg Vetter, Rechtsanwalt in Wien, Patrick Minar, Gesellschafter einer Consulting Firma, Franz Schellhorn, Ressortleiter "Economist” der Tageszeitung "Die Presse” und last but not least Christian Ortner, ehemaliger Chefredakteur und Herausgeber der "WirtschaftsWoche” und des Magazins "Format".
Heute schreibt Ortner einmal wöchentlich für die Tageszeitungen "Die Presse" und die "Wiener Zeitung”, sowie gelegentlich für das "Wall Street Journal Europe" und hat daher Zeit. Viel Zeit. Und was tut er mit seiner Zeit? Er bloggt. Und bloggt. Und bloggt. Über Stiftungen etwa. Die dürfe man keinesfalls stärker besteuern, denn so vergäbe man sich die Chance, in den nächsten Jahren viele Wohlhabende in Österreich zu versammeln. Das passiere wie von selbst, wenn man die Reichen endlich in Ruhe ließe. Aber in Ruhe lassen ist eigentlich zu wenig. Man solle sie sogar entlasten, denn damit locke man sie ins Land, so Christian Ortner.
"Ohne Worte"
"Die Sache hat bloß einen kitzkleinen Haken. Jeder Politiker, der so etwas vorschlüge, würde bestenfalls mit nassen Fetzen aus dem Land geprügelt werden. Angesichts der verbreiteten "eat-the-rich"-Stimmung würde dergleichen nicht einmal dann politisch denkbar sein, wenn damit das Budgetdefizit zum Verschwinden gebracht werden könnte", schreibt Christian Ortner.
Ich habe auf dem Weblog vom Zentralorgan des Neoliberalismus einen lustigen Eintrag gefunden. Am 6. April. Christian Ortner titelt: "Ohne Worte" und zitiert darunter die Homepage der Meinl Bank AG: "Unsere Philosophie - Menschen vertrauen uns etwas sehr Wertvolles an: Ihr Kapital. Wir sind uns dessen bewusst. Entsprechend sorgsam gehen wir damit um."
Weblogs von Ökonomen und Ökonominnen
Ich empfehle, wovor Christian Ortner warnt. Nämlich Weblogs von Ökonomen und Ökonominnen, von Sozialwissenschaftlern und Sozialwissenschaftlerinnen, die einen alternativen Blick auf die Geschehnisse zulassen. Als erstes sei der Weblog von BEIGEWUM erwähnt. BEIGEWUM steht für Beirat für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen. Dort liest man Differenziertes über die Vermögenssteuer, über Konjunkturpakete oder Österreichs mögliche Pleite. Unter dem Pseudonym "Milchmädchens Rache" wird Prölls Kampfansage an die Krise analysiert:
Finanzminister Pröll hielt seine erste Budgetrede. Sie war eine Kampfansage. Eine Kampfansage an die Krise, wie er es bezeichnete? Wohl kaum. Die Konjunkturpakete, die die Regierung bis jetzt beschlossen hat werden laut Österreichischer Nationalbank eine Wachstumswirkung von 0,8 prozent des BIP heuer, und 1,4 Prozent des BIP nächstes Jahr entfalten. Es ist also nicht alles eine Konjunkturmaßnahme, auch wenn sie so bezeichnet wird. Aber das wäre einen eigenen Blog wert.
Der Pinguin
Auf der Homepage unseres jugendlichen Schwestersenders FM4 gibt – ebenfalls unter einem Pseudonym - "der Pinguin" Hinweise zur geistigen Selbstverteidigung in Wirtschaftsfragen. Der Pinguin erklärt etwa, dass die herbeigeredete und herbeigeschriebene Inflation eigentlich gar keine Gefahr darstellt:
Nur wenn neues Geld auf eine voll ausgelastete Wirtschaft trifft, dann kommt es zu Inflation. Weil eine Ausweitung des Angebots an Waren und Dienstleistungen zumindest kurzfristig nicht möglich ist, steigen einfach die Preise und Löhne. Wenn sich das aufschaukelt, also Preiserhöhungen Forderungen nach weiteren Lohnerhöhungen nach sich ziehen und umgekehrt, kann eine Inflationsspirale entstehen. In so einer Situation sind wir aber nicht. Im Gegenteil.
Kurt Bayers Weblog
Sehr erbaulich ist Kurt Bayers Weblog zur Krise. Kurt Bayer ist Executive Director in der EBRD, der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und kommentiert - manchmal auf Englisch, manchmal auf Deutsch das Weltgeschehen. Oft aber - darauf sei hingewiesen - auf recht hohem Niveau. Und meist konzentriert er sich auf arme Länder:
Den Entwicklungsländern entgehen durch Steueroasen, Verrechnungspreispraktiken, Scheinfirmentätigkeit Hunderte Millionen an jährlichen Steuereinnahmen. Entgegen den G-20-Ländern haben sie nicht die Möglichkeit, dagegen anzukämpfen. Die Lücken in der globalen Aufsicht der Finanzmärkte zu schließen ist eine wichtige Aufgabe für eine künftige Wirtschaftsordnung.
In englischer Sprache und sehr anspruchsvoll ist auch voxEU. Da schreiben Star-Ökonomen wie Tony Atkinson, Daron Acemoglu, Philippe Aghion, Willem Buiter - und wir sind erst bei B. Selbst Dani Rodrik und Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman sind hier zu lesen, obwohl sie beide eigene Weblogs befüllen.
Christian Ortner ersucht um folgende Richtigstellung: Er hat niemanden vor anderen Weblogs gewarnt.
Hör-Tipp
Digital.Leben, Montag bis Donnerstag, 16:55 Uhr
Links
Ortner Online
BEIGEWUM
FM4 - Pinguin
Kurt Bayer's Commentary
VoxEU