Geschichte, Motivation und soziokulturelle Aspekte

Reise als Ritual

Die Erforschung des Tourismus' wurde und wird zum Teil auch heute noch von der Kultur- und Sozialanthropologie stiefmütterlich behandelt. Erst seit den 1980er Jahren weckt das Thema Tourismus mehr und mehr das Interesse der völkerkundlichen Zunft.

Tourismus ist kein einheitliches Phänomen, sondern ein komplexes Gefüge von Handlungen und Konzepten - bestimmt durch eine Reihe von interkulturellen Prozessen : Darunter fallen die Interaktionen zwischen Touristen und Einheimischen, die auf verschiedenen Ebenen stattfinden.

Diese sind stark durch die Konstruktion von Fremd- und Selbstbildern, die Vermarktung von Kultur und Konsumgütern, und die Inszenierungen von lokalen Identitäten geprägt.

Reise als Initiations- oder Übergangsritual

Erst seit den 1980er Jahren weckt das Thema Tourismus mehr und mehr das Interesse der völkerkundlichen Zunft. Ein Konzept dieser wissenschaftlichen Beschäftigung mit einer der global größten Wirtschaftsbranchen ist klassisch ethnologisch.

Die touristische Reise wird als Ritual betrachtet. Die Skireisen in den Semesterferien, die große Auslandsreise über Silvester, die Tagesreisen an Wochenenden oder der Umstand, dass kirchliche Feiertage Reisetermine werden können als kalendarische Riten gelesen werden. Reisen werden zum Maß der Zeit. Man denke an Aussagen wie "das Jahr, als wir in Rom waren".

Tourismus wird da durchaus als neue Weltreligion gedeutet: Sightseeing statt Kirchenbesuch, Souvenirs fungieren als Reliquien. Dem gewöhnlichen profanen Alltag steht die außergewöhnliche und daher heilige Reise gegenüber.

Tourismus als neue Weltreligion

Viele Anlässe der Reisen sind mit Initiations- oder Übergangsritualen vergleichbar: z.B. die erste Interrail-Zugreise, die die Ablösung von den Eltern zeigt oder der Schulabgang, markiert durch die Maturareise. In Zeiten, in denen die Kirche die Funktion als Organisator von Übergangsriten verloren hat, verreisen viele Menschen nach dem Tod des Partners.

Imaginäre Geografie

Ein, wenn man so will, klassisches Konzept der Tourismusforschung ist jenes der Imaginären Geografie. Im Rahmen der Konstruktion touristischer Räume verschränken sich innere Vorstellungen und äußere Welt miteinander.

Wesentlich für diesen Prozess sind kollektive Phantasien: Einerseits werden Phantasiebilder im Raum lokalisiert bzw. auf bestimmte Orte projiziert, andererseits regen reale Landschaften oder Kulturen die Vorstellungskraft an und dienen als ihr Material. So entsteht nicht nur eine "moderne imaginäre Geographie" in den Köpfen der Touristen und Touristinnen - ihre Wünsche und Träume prägen auch die spezifische Gestaltung des touristischen Raums.

Bildercollage

Die touristische Wahrnehmung ist auf eine spezifische Weise selektiv: Sie wählt bestimmte Aspekte des bereisten Ortes aus, diese bilden Bausteine für Erlebnisse, die nach den Bedürfnissen und Vorstellungen der Reisenden konstruiert werden.

So kommt es zu einer spezifischen Collage bzw. Montage von Inhaltselementen: Dabei stellen sowohl Naturgegebenheiten als auch die Einheimischen, ihre Lebenswelt und ihre Kultur bedeutende Elemente dar.

Hier werden von der Tourismusforschung bestimmte allgemeine Tendenzen aufgezeigt. "Natur wird in ihren `paradiesischen´ Aspekten wahrgenommen, die Einheimischen als unberührt von der neuzeitlichen Zivilisation gesehen, moderne Züge der Reiseländer systematisch ignoriert", schreibt Christoph Henning in seinem Buch "Reiselust. Touristen, Tourismus und Urlaubskultur":

Tourismus als Motor der Entwicklung?

Nach Jahren der Diskussion, ob Tourismus für die Gesamtentwicklung der bereisten Länder förderlich sei oder eben nicht, setzte sich Mitte der 1980er Jahre eine pragmatische Bewertung des Dritte -Welt -Tourismus durch.

Dieser habe, so die Synthese einstiger Extrempositionen, wie jede andere Wirtschaftstätigkeit positive wie negative Auswirkungen. Eines stehe jedoch fest: Je ärmer ein Land ist, desto weniger kann Tourismus einen positiven Beitrag zur Entwicklung leisten. Denn wer von der Zahnbürste bis zum Malt Whiskey alles (teuer) importieren muss, ist seine touristisch verdienten Devisen gleich wieder los.

Hör-Tipp
Dimensionen, Donnerstag, 28. Mai 2009, 19:05 Uhr