Zum 70. Geburtstag des Vinzidorfpfarrers Wolfgang Pucher

Geht nicht, gibt’s nicht

Er ist da für Obdachlose, Bettler und Drogenkranke. Anonyme Helfer schenken ihm Sparbücher mit großen Beträgen für seine Schützlinge, andere schicken in Plastik eingeschweißte Fäkalien. Der Grazer Armenpriester Wolfgang Pucher lässt kaum jemanden kalt.

Der Armenpfarrer über Zivilcourage

Der Tag beginnt früh für Wolfgang Pucher. Bereits um 6:00 Uhr ist das Pfarrhaus von St. Vinzenz in Graz-Eggenberg hell erleuchtet. Schon beim Frühstück ist er der, als den ihn alle kennen: der Priester, der sich für die Armen, für die Obdachlosen, für die Randgruppen unserer Gesellschaft einsetzt. Er teilt seinen Morgenkaffee mit einem Obdachlosen, den er auf dem Grazer Hauptbahnhof aufgelesen hat, im Keller des Pfarrhauses schlafen ein Drogenabhängiger und ein Pärchen, das den Tag mit einer Dose Bier beginnt.

Wer auch immer die Menschen sind, die bei Wolfgang Pucher Unterschlupf finden, der Pfarrer begegnet ihnen auf Augenhöhe: "Ich sage immer, es gibt die schöne und die hässliche Armut. Ich bin niemandem etwas zu neidig, aber zu Weihnachten, bei Licht ins Dunkel, da kriegt man alles, was man will. Bloß: deswegen kann ich ja diese Menschen bei mir nicht verrecken lassen."

Gäste statt Klienten

Wolfgang Pucher kommt am 31.März 1939 auf die Welt. Seine Kindheit verbringt er in ärmlichen Verhältnissen in Zerlach in der Oststeiermark. Schon seit früher Jugend an will er Priester werden. 1949 tritt Wolfgang Pucher in das Bischöfliche Seminar in Graz ein, wo bald eine seiner Schwächen offenkundig wird: sein schlechtes Gedächtnis: "Mein Maturazeugnis hat nur zwei Noten: Einser und Vierer. Alles was mit Logik zu tun hat - Mathematik, Physik - da habe ich eine Eins. Bei den Lerngegenständen überall einen Vierer. Und ich bin sogar zweimal durchgefallen. In der dritten Klasse zum Beispiel in sieben Fächern mit Nicht genügend."

1963 empfängt Wolfgang Pucher die Priesterweihe und tritt den Lazaristen bei. Das ist jener katholische Männerorden, den der heilige Vinzenz von Paul im 17. Jahrhundert gegründet hat, um den Armen der damaligen Zeit zu helfen. Nach einigen Jahren als Kaplan in Graz übersiedelt Wolfgang Pucher nach Istanbul. Dort arbeitet er vier Jahre lang als Erzieher im St. Georgs Kolleg, einer deutschsprachigen Schule, die von den Lazaristen betrieben wird. 1973 kommt Wolfgang Pucher zurück nach Graz und wird Pfarrer der Gemeinde St. Vinzenz. "In der Vinzenzgemeinschaft engagieren sich viele Leute, die nicht praktizierende Christen sind", erzählt er, "auch solche, die aus der Kirche ausgetreten sind. Und ich freue mich immer wieder, wie liebevoll sie mit unseren Gästen - wir haben keine Klienten! - umgehen."

Gelungene Sozialarbeit trotz Widerstand

Wolfgang Puchers Gäste leben zum Beispiel im berühmten Vinzidorf im Grazer Bezirk Leonhard. Hinter einer Mauer, durch die stark befahrene Riesstraße vom Gelände des Landeskrankenhauses getrennt, stehen die berühmten Wohncontainer, die derzeit für 30 Männer Heimat sind, erzählt Pucher: "Unsere Gäste sind alle über 40, mehr oder weniger alkoholabhängig und allein nicht mehr lebensfähig. Sie brauchen dauerhafte Unterstützung und es bringt auch nichts, sie in die zehnte, elfte Therapie zu zwingen. Bei uns sollen sie einfach so wie sie sind, auch mit ihrer Sucht, alt werden können."

Jetzt nach 15 Jahren steht das Vinzidorf außer Streit. Es ist sogar ein österreichweit viel beachtetes Beispiel für gelungene Sozialarbeit. In den Anfangstagen war aber alles ganz anders. Da wurde heftig gegen das Vinzidorf polemisiert. Doch das ist Wolfgang Pucher gewöhnt. Seit seinem Engagement für die Menschen einer Delogiertensiedlung in seiner Pfarre sorgt der streitbare Priester regelmäßig für Aufregung. "Fanpost" las sich dann schon auch einmal so:

"Wir Bewohner von Eggenberg sind der Ansicht, dass Sie ein ordentliches Arschloch sind. Wir hoffen, dass sie bald abgelöst werden. Es ist eine Frechheit, was Sie sich überhaupt erlauben. Wir glauben, Sie sind nicht ganz dicht in ihrem Kopf. Verschwinden Sie bald freiwillig, denn sonst passiert etwas."

Wolfgang Pucher, dem Freunde ein Rückgrat aus Stahl bescheinigen, kann so etwas nicht erschüttern. Im Gegenteil, wer seinen Schützlingen ans Zeug flicken will, muss mit dem heiligen Zorn des Pfarrers rechnen.

Vinzitel, Vinzimarkt und Vinzipasta

Die Vinziwerke umfassen mittlerweile 25 verschiedene Einrichtungen in der Steiermark, aber auch in anderen Bundesländern. Vinzi ist zur Marke geworden. Täglich werden rund 900 Menschen betreut, bekommen einen Platz zum Schlafen oder etwas zu Essen. Der Vinzibus versorgt jeden Abend Bedürftige an drei Plätzen der Landeshauptstadt mit Wurstbroten und Tee, das Vinzitel bietet "ein kurzes zu Hause" auf Hotelniveau, im Haus Rosalie finden Frauen Unterschlupf, die sonst kein Dach mehr über den Kopf haben und im Vinzimarkt können Menschen mit sehr geringem Einkommen Lebensmittel weit unter dem Normalpreis einkaufen.

Viel Unterstützung hat Wolfgang Pucher vom ehemaligen Grazer SPÖ-Bürgermeister Alfred Stingl erfahren. Mit dem regierenden Stadtoberhaupt, Siegfried Nagl von der ÖVP, hat der Pfarrer schon so manchen Kampf ausgefochten. Vor allem wegen der bettelnden Roma in der Grazer Innenstadt. Die meisten von ihnen kommen aus dem kleinen Dorf Hostice in der Slowakei.

Von den rund 1.000 Einwohnern haben nur die wenigsten einen geregelten Job. Um zumindest einigen Frauen aus Hostice ein menschenwürdiges Einkommen zu verschaffen, hat die Vinzenzgemeinschaft das Projekt Vinzipasta ins Leben gerufen. Die Frauen erzeugen von Hand Nudeln, die dann in ausgewählten Lebensmittelmärkten in der Steiermark verkauft werden. Die Nachfrage ist derzeit so groß, dass Ondrej Berki, der Roma-Bürgermeister von Hostice schon daran denkt, die Produktion auszuweiten.

Heilsames Gottvertrauen

Wer im Vinzi-Team des Wolfgang Pucher mitarbeiten möchte, muss belastbar sein, muss ein dickes Fell haben. Nicht nur ob des vielfältigen menschlichen Leides, mit dem man zu tun hat, sondern auch wegen der Anforderungen, die Wolfgang Pucher stellt. Er selbst ist rund um die Uhr per Handy erreichbar, seine Mitarbeiter beklagen manchmal, dass "der Pfarrer keine Uhr kennt".

Für seinen langjährigen, selbstlosen Einsatz im Dienste der Menschlichkeit hat Wolfgang Pucher, der Rebell der Nächstenliebe, heuer beinahe den höchsten Preis bezahlen müssen. Eine schwere Lungenentzündung hat ihn wochenlang ans Krankenbett gefesselt. Sogar die geplante große Feier zum 70er musste verschoben werden. Mittlerweile ist Pfarrer Pucher aber wieder auf dem Weg der Besserung.

Das Erfolgsgeheimnis des Wolfgang Pucher ist eigentlich keines. Seine Umgebung fasziniert er mit seinem Charisma, er selbst zieht seine Kraft aus dem bedingungslosen Vertrauen an seinen Gott: "Jedes Gebet endet bei mir schon lange mit dem Satz: Vater, nicht mein Wille geschehe, sondern der Deine. Aber bitte tu etwas! Ich lass ihm keine Ruh‘. Einmal gelingt es besser, einmal weniger. Es gibt überhaupt nichts, das gelingen muss. Schon das Gottvertrauen allein ist heilsam."

Hör-Tipp
Geht nicht, gibt's nicht, Montag, 1. Juni 2009, 10:30 Uhr

Link
Vinzenzgemeinschaft Graz