Musik lernen mit Handicap
Musik machen mit besonderen Bedürfnissen
Beate Hennenberg, Assistenzprofessorin an der Abteilung Musikpädagogik der Universität für Musik in Wien, will Studierende sensibel machen für ein verdrängtes Thema: Musiklehren, ein Instrument unterrichten für Kinder mit Handicap, mit Behinderungen.
8. April 2017, 21:58
Es gibt verschiedene Bereiche, wo Menschen beeinträchtigt sein können. Es gibt Menschen mit sichtbaren Krankheiten oder Behinderungen und Menschen mit nicht sichtbaren Störungen, das sind kognitive Störungen, Teilleistungsstörungen. Es gibt Menschen, die auch körperliche Behinderungen haben - die gehören zur Gesellschaft genauso dazu.
Beate Hennenberg bereitet angehende Instrumentalpädagoginnen und -Pädagogen vor, dass an einer Musikschule jeder und jede willkommen ist und auf die und ihm oder ihr entsprechende Art und Weise unterrichtet werden soll.
Positives Feedback der Studierenden
Wenn es schon schwierig ist, Kinder mit einem besonderen Bedürfnis zu unterrichten, was gewinnt eine oder einer, wenn sie Kinder mit besonderen Bedürfnissen in ihren Unterricht integriert? Beate Hennenberg berichtet von Feedbacks ihrer Studierenden:
"Ich bin sehr erstaunt und stark davon berührt, mit wie viel Geduld und Liebe die Leute, die mit Menschen mit Behinderung arbeiten, aufbringen und zu verschenken haben. Ich fühle meinen Horizont durch die Lehrveranstaltung stark erweitert. Ich kann mir durchaus vorstellen, einen Unterricht mit Menschen mit Behinderung zu gestalten. Auf jeden Fall habe ich, denke ich, keine Scheu davor, eine derartige Herausforderung anzunehmen und ich bin sicher, selbst daran viel wachsen zu können."
Die angehenden Instrumentallehrenden sind sehr reflektiert aufgrund der vielen Hospitationen, die sie wahrnehmen konnten und haben einen ganz neuen Zugang auch für Schüler und Schülerinnen, die eben jetzt kein Handicap haben.
Die Hürde als Vorteil
Kann es, wie im Falle des einarmigen Pianisten Paul Wittgenstein, sogar ein Vorteil sein, eine Störung, eine Behinderung zu haben? Hennenberg beobachtet eine offene, positive Einstellung zur Musik, die auch auf den Hörer oder die Hörerin überspringt: "Es gibt in Kärnten das No Problem Orchestra. Das ist vor mehr als zehn Jahren gegründet worden und hat sich durch eine gewisse Zeit der Nichtbekanntheit durchbringen müssen, es ist jetzt aber sehr bekannt und wird überall hin eingeladen. Es gibt den Tanz- und Kulturverein Ich bin OK, es gibt auch ein Gehörlosentheater, es gibt den Josef Labor-Chor für Blinde und sehende Menschen, es gibt auch eine integrative Rockband an einer Volkshochschule. Also es gibt so punktuelle Einzelheiten. Es gibt auch einmal im Monat eine integrative Disco, veranstaltet vom Magistrat der Stadt Wien."
Aber doch sind das sporadische Facetten, wo auch die Studierenden hospitieren konnten. "Aber es ist noch nicht genug, es könnte natürlich noch mehr sein."
Schwellenangst
Was ist die Vision einer Musikwelt für Behinderte und Nichtbehinderte? "Am besten offene Türen", sagte Hennenberg. "Dass man nicht als Elternteil Klinken putzen muss. Das Wort Musikschule ist schon ein bisschen mit einer Schwelle behaftet. Und da braucht es eben noch wirklich Menschen, die das notwendige Handwerkszeug und Rüstzeug mitbringen, dass man diese Schwelle gut überschreiten lernt."
Wie steht Österreich im Vergleich zu anderen Ländern da? "Es gibt zum Beispiel in England das Connect-Projekt, da wird drauf gesehen, dass die dort Ausgebildeten mit Menschen in ganz verschiedenen Ausbildungsstadien gleichzeitig arbeiten. Dass eben Menschen, die erst sehr basale Kenntnisse haben, genauso in die Gruppe, ins Musizieren, integriert werden wie Menschen, die schon sehr virtuos konzertant unterwegs sind", erzählt Hennenberg.
Ein Thema, das uns betrifft
Wir reden ja nicht von einer kleine Gruppe. Es gibt in Österreich ungefähr 630.000 Menschen mit Beeinträchtigungen, also Personen, die einer EU-Schätzung zu Folge eine starke Beeinträchtigung haben. Unter den Menschen im erwerbsfähigen Alter sind 17 Prozent körperlich beeinträchtigt.
Das ist eine ziemlich hohe Zahl. Es wäre also schade, wenn wir ein Fünftel der Menschheit beziehungsweise der österreichischen Bevölkerung für die Musik verlieren würden, findet Beate Hennenberg: "Wir wünschen uns, dass die dabei sind, mit ihren Ideen, mit ihrer Kreativität."
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Hör-Tipp
Apropos Musik, jeden 1. Sonntag im Monat, 15:06 Uhr
Link
Musikuni Wien
No Problem Orchestra
Ich bin OK
Josef Labor-Chor