Ein DDR-Stück in fünf Akten
Die Wahrheit ist ein Prozess
In Filmen spielte er meist Verbrecher. Als "Bühnenrowdy" machte er Schlagzeilen und nützte seine kurzfristige Berühmtheit, um sich zu seiner früheren Stasi-Tätigkeit zu bekennen. Zwanzig Jahre nach dem Mauerfall erzählt Thomas Lawinky seine Geschichte.
8. April 2017, 21:58
Gibt es ein Recht auf Vergessen? Diese Frage stellte der Spiegel letzten Herbst angesichts einer Häufung von Gerichtsverfahren, in denen ehemalige Mitarbeiter der DDR Staatssicherheit diejenigen verklagten, die ihre Namen genannt hatten. Zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer zeichnet sich, die Aufarbeitung der SED Diktatur betreffend, eine Wende ab. Viele derer, die aus Systemtreue ihre Nachbarn, Kollegen, Freunde und Familien bespitzelten, sind heute der Meinung, es wäre unrecht, sie für ihre vergangenen Taten zu belangen und zur Verantwortung zu ziehen. Und, als hätte die Aufarbeitung ein Ablaufdatum, wird ihnen, unter Berufung auf den Schutz der Persönlichkeit, immer öfter Recht zugesprochen.
Der Schauspieler Thomas Lawinky hat sich im März 2006 aus freien Stücken zu seiner Stasi-Vergangenheit bekannt. Seit langem schon habe er dieses Bedürfnis gehabt, erzählt Lawinky. Und sich vorgestellt wie er, etwa bei einer Preisverleihung in der Filmbranche die Gelegenheit dazu erhalten würde, "mal tabula rasa zu machen".
Die Spiralblockaffäre
Die Gelegenheit kam anders als gedacht, in Form eines Theaterskandals. Bei einer Premiere von Eugène Ionescos "Das Große Massakerspiel" am Schauspiel Frankfurt stieg Lawinky von der Bühne in den Zuschauerraum und entriss Gerhard Stadelmaier, dem Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, seinen Notizblock, um daraus vorzulesen. Dieser sah die Freiheit der Presse bedroht, stellte eine Klage in Aussicht und erwirkte die umgehende Entlassung des "Bühnenrowdies" aus dem Ensemble.
Als "Spiralblockaffäre" beschäftigte der Vorfall die deutschen Medien einige Wochen lang. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung nützte Thomas Lawinky seine kurzfristige Berühmtheit und legte das offen, was er in Freundes- und Theaterkreisen schon seit vielen Jahren "jedem erzählt hatte, der es hören wollte" - dass er als "Inoffizieller Mitarbeiter" mit Decknamen "Beckett" der Staatssicherheit Informationen zugetragen hatte.
Reine Selbstdarstellung?
Sein Outing wurde widersprüchlich aufgenommen, sagt Armin Petras, der Intendant des Maxim Gorki Theaters in Berlin, der Lawinkys Lebensgeschichte 2007 in dem Stück "Mala Zementbaum" verarbeitet hat. "Viele dachten, und denken immer noch, dass er ein Selbstdarsteller ist, der seine Stasi Vergangenheit ins Spiel brachte, um auf der höchsten Welle des Interesses noch ein Stück weiter zu schwimmen. Ich glaube, dass da ein Teil davon richtig ist, dass es aber auch eine zweite Wahrheit gibt, nämlich die, dass er durch die Unterstützung, die er während der Spiralblockaffäre von vielen Seiten erfahren hat, sehr aufgewühlt war und erst in diesem Augenblick in der Lage dazu war, das auch zu sagen.”
Lawinky selbst findet es rückblickend bedenklich, dass sein Outing in der öffentlichen Wahrnehmung "längst nicht soviel Gewicht habe wie der lapidare Skandal mit dem Spiralblock”. Zwanzig Jahre nach dem Mauerfall rollt er in den "Hörbildern” noch einmal seine Lebensgeschichte auf - den sonderbaren Weg, der ihn aus einer Siedlung am Stadtrand von Magdeburg ins "Durchgangsheim für Schwererziehbare" in Bad Freienwalde führte; von der ostdeutschen Punk- und Skinheadszene in die Nationale Volksarmee; von der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam Babelsberg an die Sets von "Tatort" und "Polizeiruf"; und zuletzt vom Wiener Burgtheater nach Leipzig, wo er unter seinem "Leib- und Magenregisseur" Sebastian Hartmann am Centraltheater spielt.
Die Wahrheit neu ansehen
Wieviel Lawinky von seinen Verstrickungen in die Zersetzungsmechanismen des DDR-Regimes zugibt, bleibt ungewiss. Als Grundwehrdiener, so erzählt er, habe er einen Kameraden an die Stasi verraten hat, der daraufhin drei Monate in Neubrandenburg einsaß. Manches andere wolle er noch nicht sagen. Er deutet jedoch an, dass der Weg den er eingeschlagen hätte, hätte die DDR weiter bestanden, ihm Sorge bereitet.
Die Wahrheit müsse man immer wieder von neuem ansehen und umdrehen, meint Armin Petras - sie ist ein Prozess, der niemals abgeschlossen wird. Ein Recht auf Vergessen kann es schon deshalb nicht geben.
Hör-Tipp
Hörbilder, Samstag, 6. Juni 2009, 9:05 Uhr
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- Wendejahr 1989