Ein Lokalaugenschein in Bosnien-Herzegowina

Das verminte Land

Noch immer gelten drei Prozent der Landfläche als vermint, fast 500 Zivilpersonen wurden seit Kriegsende durch Minen getötet. Der ehrgeizige Plan der Regierung, die Minenräumung bis zum Jahr 2019 abzuschließen, ist nun durch die Wirtschaftskrise gefährdet.

Kralopi, Bezirk Visoko, 20 Kilometer nordwestlich von Sarajewo. Sanfte Hügellandschaft, saftige Vegetation, zwitschernde Vögel. Doch die Idylle trügt. Denn hier verlief im Krieg eine der Frontlinien zwischen serbischen Truppen und bosnischer Armee. Mehr als 13 Jahre sind die Kampfhandlungen nun vorbei. Doch die gefährlichen Relikte des Kriegs sind noch immer da: Das Gebiet ist minenverseucht.

"Jeden Schritt, den wir getan haben, hatten wir Angst. Aber wir hatten keine andere Möglichkeit, unser Hof ist das einzige, was wir haben", erzählt der bosnische Bauer Himo Javrovac. Er wurde während des Kriegs von serbischen Soldaten vertrieben, ist aber gleich nach dem Abschluss des Dayton-Friedensabkommens im Dezember 1995 wieder auf seinen Hof zurückgekehrt und lebt hier seither mit seiner insgesamt neunköpfigen Familie. Seine Felder konnte er nur teilweise bestellen, wegen der Minen. Umso erleichterter ist er, dass das Gebiet jetzt entmint wird.

500 Menschen getötet

Insgesamt soll ein 90.000 Quadratmeter großes Gebiet von Minen gesäubert werden. Etwa 100 Meter vom Hof der Familie Jarovac entfernt ist die Räumung gerade in vollem Gange. Eine große Entminungsmaschine räumt das Gebiet am Bach auf, von ihr ist Abstand zu halten, da jederzeit eine Mine oder ein Blindgänger exlodieren kann.

Auch auf der anderen Seite des Hofs arbeiten mehrere Entminungsteams. Drei Panzerminen und neun Antipersonenminen haben sie schon gefunden - es werden nicht die einzigen bleiben. Die Arbeit ist schwer und gefährlich. "Aber ich freue mich jedes Mal, wenn ich eine Mine finde. Denn dann weiß ich, dass sie niemanden mehr verletzen kann", sagt ein 51-jähriger Entminungsspezialist. Insgesamt sind seit Kriegsende fast 500 Menschen durch Minen getötet und mehr als 1.600 verletzt worden.

Lebensgefährliche Arbeit

Die manuelle Entminung ist eine körperlich schwere, gleichförmige, langsame, teure und gefährliche Arbeit. Ein Minenräumer schafft pro Arbeitstag im Durchschnitt rund 50 Quadratmeter. Da man sich an die Gefahren gewöhnt und in der Folge oft leichtsinnig wird, passieren gerade beim Minenräumen immer wieder schlimme Unfälle. Suhad Zagrljatscha, der seit 13 Jahren in der Entminung tätig ist, hat schon sechs seiner Kollegen bei der Arbeit verloren, erzählt er.

Warum sich der 51-jährige Mann diese gefährliche Arbeit antut, ist einfach erklärt: "Das ist derzeit die einzige Möglichkeit, wie ich mir meine Existenz sichern kann. Die Firma, in der ich vor dem Krieg gearbeitet habe, existiert nicht mehr."

Eine Frage des Geldes

Bis zum Jahr 2019 soll Bosnien-Herzegowina minenfrei sein, das ist das Ziel der Regierung in Sarajewo. Doch dieses Ziel wackelt gewaltig. Denn die Minenräumung ist teuer, etwa 400 Millionen Euro wird sie aus heutiger Sicht insgesamt noch kosten.

Die bosnische Regierung hat selbst kaum Mittel, um die teure Säuberung von landwirtschaftlichen Flächen - vorwiegend Äckern und Wäldern - zu bezahlen. Man ist gänzlich von ausländischen Geldgebern abhängig, und auch diese stellen angesichts der Krise weniger Mittel zur Verfügung als früher.

Wird das aktuelle Tempo beibehalten, so warnte kürzlich ein Kantonsbeamter im besonders minenverseuchten Bezirk Tuzla, wird die Minenräumung nicht die geplanten zehn, sondern noch hundert Jahre dauern.

Österreich hilft

Eines der wichtigsten Geberländer bei der Entminung ist Österreich. Die ADA, die Agentur der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit, stellt heuer etwa eine Million Euro für die Entminung zur Verfügung. Außer der Entminung unterstützt Österreich auch eine Schmerz- und Therapieambulanz für Minenopfer. "Die Entminung ist aus vielen Gründen wichtig für das Land", sagt Gunther Zimmer, Leiter des ADA-Büros in Sarajewo: "Etwa 70 Prozent der Bevölkerung in Bosnien-Herzegowina leben von Land- und Holzwirtschaft und in Zukunft hoffentlich auch wieder vom Tourismus. Entminung bewirkt, dass Tourismusgebiete erschlossen werden und die Menschen wieder Landwirtschaft betreiben können."

In Kralopi im Bezirk Visoko werden nun schon bald wieder alle Felder bestellt werden können. Zum friedlichen Leben in dem idyllischen Ort fehlt dann nur noch, dass auch die serbischen Bewohner wieder zurückkehren. Dass sich die Serben und Serbinnen wieder auf ihre Höfe zurückwagen, dafür wird die Entminung allein vermutlich nicht ausreichen - hierfür wird auch eine echte Aussöhnung zwischen den beiden Landesteilen, der Republika Srpska und der bosnisch-kroatischen Föderation von Nöten sein.