Arm und Reich in Paris

Ein feiner Herr und ein armer Hund

Um die Kluft zwischen Schwarz und Weiß, Arm und Reich, geht es im Roman des niederländischen Autors Adriaan van Dis. In "Ein feiner Herr und ein armer Hund" kommt ein Pariser Flaneur bei einem Spaziergang an einem brennenden Asylantenheim vorbei.

Um die Kluft zwischen Schwarz und Weiß, Arm und Reich, geht es im neuen Roman des niederländischen Autors Adriaan van Dis - und darum, dass diese Kluft überbrückt werden kann. "Ein feiner Herr und ein armer Hund", heißt das Buch, in dem der wohlhabende Pariser Flaneur Mulder bei einem Spaziergang an einem brennenden Asylantenheim vorbeikommt.

Als plötzlich ein Hund aus einem Fenster des Gebäudes springt und auf Mulder zuläuft, ist dieser zunächst verwirrt, aber der Hund hat ihn zu seinem neuen Herrn erwählt und führt ihn von da an in genau jene Ecken und Winkel von Paris, die Mulder bislang bestenfalls vom Hörensagen kannte. Mit dem Hund gelangt er in die Elendsviertel der Stadt, er macht die Bekanntschaft von Bettlern, von illegalen Einwanderern, von Obdachlosen, von den Ausgestoßenen der Gesellschaft.

Das andere Paris

Adriaan van Dis hat selbst Bekanntschaft mit jenem anderen Paris gemacht: Auf ärztlichen Rat sollte er viel spazieren gehen - und diese Spaziergänge waren gleichzeitig Recherchen für seinen Roman.

"Da war ich auch zum Beispiel in La Groneuve", erzählt er. "Ich habe ein Gebäude gesehen, wo es 2.000 Familien gibt, die dort wohnen, das ist alles wirklich schmutzig, die Straßen werden nicht geputzt, die Polizei kommt da nicht, es gibt Jugendbanden. Und ich wohne hier in einer Straße, die jeden Tag geputzt wird. Auch sonntags. Von Senegalesen, Rieseprinzen, von zwei Meter zehn. Und da wird niemals die Straße geputzt. Die Leute leben wirklich Leuchtjahre entfernt von Paris, aber es ist nur zehn Minuten mit der Métro. Und diese Verneinung hat mich neugierig gemacht und ich bin jedes Mal wieder da gegangen."

Parallele zu Dantes "Göttlicher Komödie"

Auch Mulder wird nach dem ersten Schreck zusehends neugierig. Geführt von dem Hund nähert er sich den Menschen an, die er zuvor nicht einmal wahrgenommen hat, er begrüßt sie, unterhält sich mit ihnen und erkennt nach und nach, dass es auf der dunklen Seite der Pariser Gesellschaft dieselben Hoffnungen, Ängste und Träume gibt wie in seinen Kreisen.

Der Hund ist dabei sein Führer und sein Gewissen und nicht von ungefähr zieht Adriaan van Dis eine kleine Parallele zu Dantes "Göttlicher Komödie" - denn die hatte er gerade gelesen, als er mit seinem Roman begann: "Ich dachte, ich brauche einen Vergilius. Jemand, der mir die Hölle schaut. Warum nicht ein Hund? Ein Hund öffnet alle Seiten der Gesellschaft. Er hat eine gute Nase und er bricht durch, die Leute unten und die Leute oben, Parfum und Kaka, das ist alles gut für die Nase eines Hundes. So habe ich mir einen Hund genommen, und der Hund, das ist eigentlich auch die journalistische Seite von dem Schriftsteller van Dis. Der Schriftsteller ist natürlich ein netter Mensch, aber der Hund ist neugierig, sucht Sensationen und macht Pipi, wenn er etwas gesehen hat und geht weiter. So öffnet der Hund Paris."

Europa bekommt eine andere Farbe

Ein Roman mit einer klaren Botschaft also, möchte man meinen - aber literarische Botschaften lehnt van Dis rundweg ab: "Ich hasse Literatur mit einer Botschaft. Aber Literatur kann etwas schauen. Das ist es, was ich eigentlich wollte. Europa ändert sich. Europa bekommt eine andere Farbe, ein Mischmasch von Leuten, es ist unglaublich. 80.000 Leute arbeiten hier illegal im Restaurant und Hotel und wir wissen es nicht. Wenn sie morgen weggehen, wird Paris einstürzen. Und ich möchte sie ein bisschen sichtbar machen. Aber nicht politisch korrekt. Ich sage nicht, dass das alles nette und anständige Leute sind, überhaupt nicht. Ich wollte nur wissen, dass sie da sind und dass ich in dieser Zeit lebe, dass meine Zeit sich ändert. Und diese Änderung, das Dekor, habe ich benutzt. Ohne Botschaft."

Durch enge Gassen

Und so lässt van Dis seinen Protagonisten durch enge, schmutzige Pariser Gassen streifen, wo er lernt, sein Herz zu öffnen, aufmerksam zu sein, zuzuhören und sich um andere Menschen zu kümmern. Er lauscht den Geschichten der Einwanderer, er besucht mit dem Hund ein kleines Mädchen im Krankenhaus, das bei dem Brand schwerste Verletzungen erlitten hat, und er begegnet einer Putzfrau aus Sri Lanka, in die er sich zu seinem eigenen Erstaunen verliebt.

Irgendwie ist der Roman auch eine ungewöhnliche Liebeserklärung an Paris - jene Stadt, die für Adriaan van Dis ein ständiger Quell der Inspiration ist: "Wenn ich ankomme am Gare du Nord habe ich immer Lust, anzufangen zu schreiben. Und ich schreibe sehr gut hier. Die Stadt redet, die Mauern reden, alles ist voller Energie und voller Geschichte und man braucht nur herumzulaufen und die Geschichten kommen im Kopf und vom Kopf auf Papier."

Surreale Momente

Die Geschichte vom feinen Herrn und vom armen Hund ist auch van Dis' Auseinandersetzung mit der Globalisierung, mit dem Zusammenwachsen der Welt und den daraus resultierenden Ängsten. Dabei behandelt der Autor sein Thema sehr behutsam. Sein eigenwilliger, lyrisch dahingleitender Stil und die sehr bildhafte Sprache verleihen dem Roman stellenweise etwas fast Surreales. Und auch wenn Adriaan van Dis mit seiner Literatur keine Botschaft transportieren will, so möchte er doch den Blick schärfen und den Leser dazu animieren, die Welt um sich herum einmal mit anderen Augen zu betrachten.

"Sehe herum und vielleicht tue etwas. Aber etwas Kleines. Sag mal 'Guten Tag'", empfiehlt der Autor. "Ein kleines Etwas. Und das ändert das Leben. Das hat jedenfalls mein Leben geändert. Ich habe zum Beispiel entdeckt, dass viele Leute wirklich hier im Schatten leben. Und ein kleines Gespräch hilft. Ich habe das getan und mein Leben hat es geändert."

Hör-Tipp
Ex libris, Sonntag, 21. Juni 2009, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Adriaan van Dis, "Ein feiner Herr und ein armer Hund", Hanser Verlag