Outward Bound - Zum Ablegen bereit

Lernen und Selbsterfahrung im Spiegel der Natur

Sie klettern am Seil oder raften durch Flüsse. Dabei geht es nicht um Abenteuer, sondern um Lernen in der Gruppe und Selbsterfahrung im Spiegel der Natur. Diese Lernerfahrungen zu inszenieren und zu reflektieren ist das Thema der Erlebnispädagogik.

Im Jahr 1762 erscheint Jean Jaques Rousseaus Bildungsroman "Emile". Darin empfiehlt er den Lehrern, dass sie ihren Schülern Lernerfahrungen über Handlungen und Erlebnisse vermitteln sollen. Ihm geht es um eine Hinwendung zum Individuum, das horchend auf die inneren Empfindungen sein spezifisches Menschsein ausbildet. Rousseau gilt heute als einer der wesentlichen Vordenker des handlungsorientierten Lernens.

In der Aufklärung stand im Unterreicht die Vernunft und die Wissensvermittlung im Vordergrund. Rousseau erweitert diesen Ansatz um Gefühle, Sinne, Erlebnisse und Erfahrungen. Seinem romantischen Erziehungsideal folgend ist jener Mensch am besten erzogen, der "Die Freuden und die Leiden des Lebens am Besten zu ertragen vermag".

Ein weiterer Ahnherr des Lernens von der Natur

Im Jahr 1854 erschien in den USA ein Buch eines Vordenkers, der neben Rousseau ebenfalls als Ahnherr des Lernens von der Natur gilt. Henry David Thoreaus "Walden oder das Leben in den Wäldern". Es ist das Tagebuch eines Experiments das Thoreau am 4.Juli 1845, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, beginnt. Er verlässt seine Heimatsstadt Concorde und lebt zweieinhalb Jahre in einer selbstgebauten Hütte am Walden-See. Seine Erfahrungen sind zeitlos erfrischend zu lesen, sowohl als eine Ars vivendi; eine Lebenskunst, als auch als eine "Kunst des Sterben" - eine ars moriendi.

Thoreau hinterfragt mit seinem Wildnis-Experiment das dominante technische Fortschrittsideal. Weiters will er zeigen, dass man von eigenem Anbau und vom Tauschhandel unabhängig und einfach leben kann. Thoreau, der naturverbundene Philosoph und gottsuchende Einsiedler ist ein Lehrer der Einfachheit: Als Begründer der Idee des zivilen Ungehorsams wird er zum großen Vorbild für die Unabhängigkeits- und Bürgerrechtsbewegungen Mahatma Gandhis und Martin Luther Kings. Seine Gedanken inspirieren die Ökologie- und die Friedensbewegung des 20.Jahrhunderts.

Die Erlebnispädagogik unserer Zeit

Die Moderne Erlebnispädagogik wird von Kurt Hahn begründet. Der 1886 in Berlin geborene Kurt Hahn war ein Deutscher Reformpädagoge jüdischen Glaubens. Zusammen mit Prinz Max von Baden gründete Hahn 1920 das Internat Schloss Salem. Als Reformlehrer versuchte er Bildung und Erziehung zu vereinen. Kurt Hahn bezeichnet sein Erziehungsmodell als "Erlebnistherapie". Ein Begriff, der erst verständlich wird, wenn man Hahns Gesellschaftsdiagnose kennt. Er sieht in der Gesellschaft seiner Zeit folgende Verfallserscheinungen:

  • Der Mangel an Menschlicher Anteilnahme
  • Der Mangel an Sorgsamkeit
  • Der Verfall der körperlichen Tauglichkeit
  • Der Mangel an Initiative und Spontaneität
Gegen diese vier konstatierten Dekadenzerscheinungen setzt Hahn vier Maßnahmen seiner "Erlebnistherapie entgegen:
  • Das körperliche Training
  • Die Expedition in herausfordernde Naturlandschaften
  • Das handwerkliche oder künstlerische Projekt
  • Und den Dienst am Nächsten
Kurt Hahn war davon überzeugt, dass die Erziehung versagt habe, wenn nicht jeder Jugendliche von einer persönlichen Passion für etwas ergriffen werde. Zu diesem leidenschaftlichen Einsatz wollte Hahn jungen Menschen helfen mithilfe einer inneren Talentsuche und des Angebots an sozialen Diensten.

Die sieben Salemer Gesetze

Mit den sieben Salemer Gesetzen für die Schule Schloss Salem, wurde Kurt Hahns Erlebnistherapie zu einem Pädagogischen Konzept:

  1. Gebt den Kindern Gelegenheit, sich selbst zu entdecken.
  2. Lasst die Kinder Triumpf und Niederlage erleben.
  3. Gebt den Kindern die Gelegenheit zur Selbsthingabe an die gemeinsame Aufgabe.
  4. Sorgt für Zeiten der Stille
  5. Übt die Phantasie
  6. Lasst Spiele eine wichtige, aber keine vorherrschende Rolle spielen.
  7. Erlöst die Söhne reicher und mächtiger Eltern von dem entnervenden Gefühl der Privilegiertheit.
1933 wurde Kurt Hahn von den Nationalsozialisten verhaftet. Auf Direkte Intervention des britischen Premierministers Ramsey Macdonald kam er wieder frei und emigrierte nach Großbritannien. 1934 gründete er in Gordonstoun die British Salem School und 1941 Outward Bound.

Outward bound geht auf ein Bild seines Freundes, des Reeders Lawrence Holt zurück und bezeichnet das im Hafen zum Ablegen bereite Schiff. In diesem Sinn verstand Hahn auch seine Pädagogik. Sie sollte "outward bound" eine Begleitung des Jugendlichen zum Erwachsenenwerden sein.

Die Outward Bound-Bewegung verbreitete sich nach dem Krieg von Großbritannien über die USA mit Schwesterorganisationen in 41 Ländern. Im deutschen Sprachraum ging diese Entwicklung weit zögerlicher vonstatten.

Klettern in Zweierseilschaften

Der Sozialpädagoge Jürgen Einwanger leitet die Sport-Seminare der Österreichischen Alpenvereinsjugend. Seine ersten Erlebnispädagogischen Erfahrungen sammelte er in der Projektarbeit mit behinderten Menschen in Irland. Im Rahmen eines EU-Projekts entwickelte er ein Suchtpräventionsprogramm für schwer vom Alkoholismus gefährdete Jugendliche. Im Mittelpunkt der erlebnispädagogischen Intervention stand das Klettern in Zweierseilschaften, aber es begann schon mit der Organisation des Lagerlebens.

Klettern als Suchtprävention wurde zu einem Erfolgsprojekt, das auch nachträglich wissenschaftlich evaluiert wurde. Jürgen Einwanger ist sehr kritisch gegenüber Sichtweisen, die die Erlebnispädagogik als ein finales Rettungskonzept für Jugendliche sehen, bei denen sonst nichts mehr funktioniert.

Das sei eine maßlose Überforderung und könne sie nicht leisten. Erfolge werden selten direkt erfahrbar, weil die Maßnahmen oft zu kurz sind und es wenig Feedback über den Alltag nach den Seminaren gibt. Aber wenn, dann ist das genugtuend.

Hör-Tipp
Radiokolleg, Donnerstag, 2. Juli, 22:15 Uhr