Fast wie im Leben

Lockruf der Nacht

Edward Bunker, gestorben 2005, hatte schon eine ausführliche kriminelle Vergangenheit hinter sich als er zu schreiben anfing. Krimis, wen wundert's. Druckfrisch ist nun Bunkers erster Krimi, zu seinen Lebzeiten nie veröffentlicht, erschienen.

Bekannt aus Knast, Film und Fernsehen - das wäre eine saloppe Beschreibung des US-amerikanischen Krimi-Autors Edward Bunker. Geboren 1933 in Hollywood, gestorben 2005 im kalifornischen Burbank, hatte Bunker schon in sehr jungen Jahren seine Erfahrungen mit dem Gesetz gemacht: Diebstähle und Betrügereien, Bandenkriminalität und Drogenhandel bringen ihn in Besserungsanstalten und Jugendgefängnisse, bis er im Alter von 18 zu zehn Jahren San Quentin verurteilt wird, die Anstalt für die ganz schweren Jungs, damals wie heute.

In San Quentin - so berichten es seine Biografen und auch Bunker selbst - beginnt er sich für die Literatur zu interessieren. Von einer sogenannten "Läuterung" kann allerdings keine Rede sein. Vorzeitig auf Bewährung entlassen, rutscht Bunker immer tiefer in die kriminelle Szene von Los Angeles ab: Schutzgelderpressungen, Raubüberfälle. Wieder San Quentin, diesmal 14 Jahre, von denen er sieben absitzt. In dieser Zeit schreibt er die ersten Romane und Kurzgeschichten, die allerdings niemand verlegen will. Entlassung, neuerliche Verhaftung und so weiter.

Schriftsteller, Drehbuchautor und Hollywood-Schauspieler

1973, da wird Edward Bunker gerade vierzig, erscheint tatsächlich sein erster Roman in einem amerikanischen Verlag: "No beast so fierce", zu Deutsch "Wilder als ein Tier". Eine durchaus autobiografisch geprägte Unterweltgeschichte, die von James Ellroy, dem späteren Meister der kalifornischen Blutopern in Buchform, zu einem "Meisterwerk des Roman noir", also des Hard-boiled-Krimi-Genres, geadelt wird.

Der Erfolg dieses Debüts beschleunigt Bunkers vorzeitige Entlassung aus dem Zuchthaus Marion in Illinois. Da ist er 42 Jahre alt, und es ist sein letzter Aufenthalt hinter Gittern gewesen. Was folgt ist eine Karriere als Kriminalschriftsteller, Drehbuchautor und Hollywood-Schauspieler. Letzteres dann, wenn es um die möglichst authentische Besetzung einer Ganovenrolle geht. So war Edward Bunker auch in Quentin Tarantinos erstem Film "Reservoir Dogs" zu sehen.

Inside San Quentin

Zurück zur Literatur: Bunkers veröffentlichtes Werk ist kein allzu umfangreiches. Es besteht aus fünf Romanen und zwei autobiografischen Büchern. Hervorzuheben ist "The Animal factory", deutscher Titel: "Ort der Verdammnis", eine durchwegs schockierende Innenansicht des Zuchthauses San Quentin. Gewalt, auch sexueller Art, Bandenkämpfe und Rassismus im Hochsicherheitsgefängnis. "Ort der Verdammnis - ein Rowohlt-Taschenbuch - ist inzwischen leider vergriffen, also nur noch über die Antiquariate erhältlich.

Druckfrisch hingegen ist "Lockruf der Nacht", erschienen in der Münchner Verlagsbuchhandlung Liebeskind, die sich seit mehreren Jahren für herausragende internationale Kriminalliteratur stark macht. "Lockruf der Nacht" soll Edward Bunkers erster Roman gewesen sein, der zu Lebzeiten des Autors aber nie erschienen ist.

Der große Treffer

Im Original heißt das Buch "Stark", benannt nach seiner Hauptfigur, einem Kleinkriminellen aus Oceanview im Süden von San Francisco. Die Geschichte spielt Anfang der 1960er Jahre, und das "Setting" - wenn man es so nennen will - entspricht eins zu eins den klassischen Gesetzen des Hard-boiled-Genres.

Ernie Stark ist - so steht's gleich zu Beginn des Romans - "ein mieser kleiner Gauner, der davon träumte, mit dem nächsten Ding den großen Treffer zu landen". Stark hat aber noch andere Probleme am Hals: die Polizei hat ihm gerade zwei Karrieremöglichkeiten angeboten: entweder eine Tätigkeit als Spitzel in der lokalen Unterwelt und Drogenszene oder einige Jahre Knast.

Raffiniert und blutig

Um den Spitzeljob zu machen, müsste er seinen Kumpel Momo verpfeifen, einen hawaiischen Drogendealer größeren Formats. Nur der hat einen taubstummen Bodyguard zur Seite, der als der kälteste und brutalste von Oceanview und Umgebung gilt.

Dann wäre da auch noch Dorie, Momos Freundin, eine wahre "femme fatale", wie sie eben in einen Krimi dieser Art gehört. Und alle drei zusammen - Dorie, Momo und Stark - hängen an der Nadel, was die Sache auch nicht einfacher macht. Aber Ernie Stark, dieser "miese, kleine Gauner" hat auch seine hellen Momente und gelegentlich sogar weiterreichende Ideen. Er treibt die kriminelle Spirale in diesem Unterweltkammerstück munter voran, schnappt sich Dorie - wie er meint - und steigt selbst ins große Drogengeschäft zwischen Mexiko und den USA ein.

Das ist die Geschichte, die in diesem Roman erzählt wird, das Ende soll selbstverständlich nicht verraten werden. Nur so viel: Es ist raffiniert und blutig in einem.

"Letzte" Wahrheiten

"Lockruf der Nacht" ist ein wirklich guter Krimi, spannend und knapp geschrieben, atmosphärisch außerordentlich dicht, und die sogenannten "letzten Wahrheiten", die sich darin finden, treffen auf Unter- und Oberwelt gleichermaßen zu: "Die Welt", sagt Stark zu Dorie, "die Welt ist voller Schmerz, Baby, voller Verletzungen. Es ist ein Dschungel mit Löwen, Füchsen und Schlangen."Ja, so einfach kann es gelegentlich sein.

Hör-Tipp
Ex libris, Sonntag, 5. Juli 2009, 18:15 Uhr

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Buch-Tipp
Edward Bunker, "Lockruf der Nacht", aus dem Amerikanischen übersetzt von Jürgen Bürger, Verlag Liebeskind

Link
Liebeskind - Lockruf der Nacht