Was bleibt dem Menschen allein vorbehalten?

Wie einzigartig ist der Mensch?

Menschen sind nicht die einzigen Lebewesen mit Persönlichkeit, Gefühlen, Empathie, einem komplizierten Kommunikationssystem, regional unterschiedlicher Kultur und einem Begriff von Moral. Was bleibt also dem Menschen allein vorbehalten?

Wenn man sich das Grundverhalten von Säugetieren ansieht, dann benehmen wir uns ziemlich ähnlich, erklärt die biologische Anthropologin Helen Fisher. Es noch nicht so lange her, da hätte sie mit der Behauptung, ein Hund demonstriere Liebe, ihren Ruf als seriöse Wissenschaftlerin ernsthaft aufs Spiel gesetzt. Doch die Zeiten haben sich geändert.

Dankbarkeit bei Walen, Euphorie bei Schimpansen, Pessimismus bei Staren. Die Fülle von Studien ist kaum mehr zu überblicken. Freilich haben Ergebnisse aus der Neurophysiologie wesentlich dazu beigetragen, dass dieses Forschungsgebiet zunehmend ernst genommen wird. Analysen haben etwa ergeben, dass bei depressiven Rhesus-Äffinnen der Serotoninhaushalt im Gehirn auf ähnliche Weise gestört ist wie bei Frauen. Wenn Ratten spielen beziehungsweise wissen, dass ein Spiel bevorsteht, steigen, wiederum wie beim Menschen, die Dopaminwerte.

Wie sind die Gefühle in den Menschen gekommen?

Es sei töricht, Tieren Gefühle abzusprechen, meint Marc Bekoff, Verhaltensbiologe an der Universität von Colorado. Denn wie wären sie in den Menschen gekommen?

"Evolutionsgeschichtlich haben sich Emotionen aus verschiedenen Gründen entwickelt. Sie sind zu allererst eine Art soziales Bindemittel, das Tieren hilft, Beziehungen aufzubauen und zu erhalten. Außerdem regeln Emotionen soziale Interaktionen. Das gilt für uns ebenso wie für Tiere. Weiters motivieren sie Tiere, etwa zu tun. Die Wurzel des Wortes 'Emotion' ist 'movere', also etwas bewegen."

Empfinden Tiere auch komplexe Emotionen?

Stress, Freude, Zorn. Diese Emotionen lassen sich vergleichsweise einfach in der Körperchemie nachweisen. In Erwartung, dass sie einen Artgenossen zum Spielen treffen, steigt bei Ratten das sogenannte Glückshormon Dopamin. Im Kot von Tieren kann man die Abbauprodukte des Stresshormons Cortisol nachweisen. US-amerikanische Wissenschaftler haben bei Pavianweibchen, die in ihrer Gruppe eine enge Verbündete verloren haben, deutlich erhöhte Werte festgestellt. Die Tiere stehen also unter Stress.

Fraglich ist freilich, ob Tiere Trauer empfinden. Alle komplexen Emotionen wie auch Eifersucht, Schuldgefühl oder Loyalität lassen sich physiologisch schwer nachweisen. Forscher sind zumindest derzeit überwiegend auf Beobachtungen angewiesen.

Beispiel: Mitgefühl

Mitgefühl mit anderen Wesen setzt voraus, dass sich ein Ich-Bewusstsein entwickelt hat. Als Gradmesser für zumindest minimales Ich-Bewusstsein gilt der sogenannte Spiegeltest. Menschenaffen, Elefanten und Delfine erkennen ihr eigenes Spiegelbild.

Diana Reiss, Professorin für Psychologie und Tierkognition an der Columbia Universität in New York, war an den Versuchen mit Delfinen und mit Elefanten beteiligt.

"Es ist auffallend, dass bestimmte Dinge bei diesen Arten zusammenkommen: Zeichen von Mitgefühl, ein komplexes Sozialleben und die Fähigkeit, das eigene Spiegelbild zu erkennen, was als Gradmesser für Bewusstsein gilt. Dazu werden viele Überlegungen angestellt. Kinder erkennen ihr Spiegelbild im Alter zwischen 18 und 24 Monaten. Gleichzeitig beginnen sie damit, sich in andere hineinversetzen zu können. Sie sorgen sich oft um andere. Die Frage ist: Besteht zwischen diesen verschiedenen Fähigkeiten ein Zusammenhang?"

Um mehr darüber zu erfahren, müsste man sowohl die anatomische Gehirnstruktur als auch Gehirnvorgänge von Mensch und Tieren vergleichen. Doch das ist nicht so einfach, denn kein Imaging-Scanner ist derzeit groß genug, um einen Elefanten aufzunehmen. Bei Delfinen hat man erfolgreich tragbare Scan-Geräte verwendet, doch die Bildqualität kommt an stationäre Kernspintomographen nicht heran. Die Neurophysiologie wird freilich nicht ersetzen, was aus Verhaltensexperimenten abzulesen ist.

Emotionen und Persönlichkeiten dienen dem Überleben

Egal, ob es sich um den Vorstand eines Unternehmens oder um Gorillas in Ruanda handelt, Tiergruppen mit verschiedenen Persönlichkeiten müssen evolutionsgeschichtlich besser überlebt haben, meint Helen Fisher:

"Eine Schimpansengruppe braucht Tiere, die neugierig auf den Hügel hinaufgehen um zu schauen, ob es im nächsten Tal interessante Früchte gibt. Sie brauchen aber auch Unternehmer, also Schimpansen, die etwa einen großen Fluss nicht überqueren wollen, weil es zu gefährlich ist und alle ertrinken könnten. Also bleiben sie lieber, wo sie sind. Dann gibt es welche, die sich gut orientieren können und bei der Jagd geschickt sind. Andere wiederum sorgen für den Gruppenzusammenhalt. Nicht nur Schimpansen, sondern viele andere Tiere leben in Gruppen. Evolutionsgeschichtlich haben sich bevorzugt Gruppen herausgebildet, die aus Individuen mit verschiedenen Fähigkeiten bestehen. Ich bin überzeugt, dass verschiedene Persönlichkeiten deshalb entstanden sind, damit die Gruppe als übergeordneter Organismus besser funktioniert."

Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 13. Juli bis Donnerstag, 16. Juli 2009, 9:05 Uhr