Fall: Melissa Fatoumata Touré
Medien - Weltwahrnehmung
Ob eine fiktive Geschichte in einen real scheinenden Kontext eingebettet wurde, das ist in Zeiten des Internet schwer zu überprüfen. Geschehen ist es bei 80+1, einem Kunstprojekt des Ars Electronica Centers. Das Projekt "WIA-WIA" ist reine Fiktion.
8. April 2017, 21:58
Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien, so lautet der oft zitierte erste Satz von Niklas Luhmann in seinem Buch über die Medien. Hinter dieser Aussage steht die Annahme, dass unser Wissen über die Medien vermittelt wird.
Durch die kommunikationstechnologischen Möglichkeiten können Informationen aus aller Welt eingeholt werden, aber eines der größten Probleme im Umgang mit Informationen aus dem Internet ist deren Überprüfbarkeit.
Der konkrete Fall
Die Künstlerin Melissa Fatoumata Touré hat das Projekt "WIA - WIA - Water in Afrika - Water in Austria" für 80+1 vorgeschlagen.
In Kouloninko in Mali soll an einem öffentlichen Handbrunnen ein Sensor angebracht werden, der die Wassermenge misst, die von Menschen hochgepumpt wird. Der tägliche Wasserverbrauch wird über das Internet ins Linzer Basislager geschickt, wo eine Toilette installiert ist. Dieses WC bekommt nun die gleiche Wassermenge, die die Menschen in Mali verbrauchten. Wenn nun die Linzer für die Toilette mehr Wasser wollen als in Mail verwendet wird, müssen sie dafür bezahlen. Das eingenommene Geld wird in ein Brunnenbauprojekt investiert. Soweit das Projekt.
Interview mit Melissa Fatoumata Touré
Im Ö1-Interview erzählte Melissa Fatoumata Touré, dass sich in unmittelbarer Nähe zum Handbrunnen das Internet Cafe ihres Onkels befinden würde. Dazu gibt es auch ein Foto im Netz: im Vordergrund sieht man Menschen, die mit Behältern Wasser holen, im Hintergrund die Fassade des Cafes "Cyber Palace", das ihr Onkel betreibt.
Fakten und Fiktion
Soweit die "Fakten". Da gibt es eine Person, die die Geschichte erzählt, da gibt es einen Ort in Afrika, der wie so viele Orte von akutem Wassermangel betroffen ist, und da gibt es ein Projekt, das den Umgang mit Wasser in Mali und in Österreich thematisiert.
Wir glauben über die Medien, das heißt durch das Interview mit Melissa Fatoumata Touré zu wissen, wie Koulouninko aussieht, auch wenn wir nie dort waren. Die Zusammenhänge erscheinen logisch und wurden in der Ö1 Sendung von vom Projekt unabhängigen Experten untermauert, die in Mali Forschungsprojekte durchgeführt hatten.
Die Zusammenhänge scheinen verständlich und verstehbar. Die Geschichte hat einen Anfang und ein Ende und ein gewaltiges Problem: Das Projekt gibt es in dieser Form nicht. Die dargestellten Fakten stimmen nicht, eine fiktive Geschichte wurde in einen real scheinenden Kontext eingebettet.
Immer noch ein Kunstprojekt
Gerfried Stocker, künstlerischer Leiter der Ars Electronica, der mit seinen Kollegen bei einer Videokonferenz den Verdacht geschöpft hat, dass der Hintergrund nicht real ist, sieht die Herausforderung durch dieses Projekt nun darin, dass das Projekt im Sinne der Ausschreibung als eine virtuelle Reise eigentlich doch den Anforderungen entspricht. Denn es wird ein Kunstprojekt umgesetzt, das einen realen Bezugspunkt hat, indem Geld für Brunnenprojekte in Mali gesammelt wird. Außerdem sei niemand geschädigt worden.
In dem Ö1-Interview beschreibt oder imaginiert die Künstlerin - nennen wir sie weiterhin Melissa Fatoumata Touré - die Situation vor dem Brunnen und erzeugt damit eine fiktive Welt, indem sie erzählt, wie die Menschen über Wassertoiletten in Europa staunen.
Fakten vs. Fiktion
In der journalistischen Berichterstattung geht es aber darum, dass sich die Rezipienten und Rezipientinnen darauf verlassen können müssen, dass die Fakten, die berichtet werden, richtig sind. Wenn sich "Fakten" als falsch herausstellen, müssen sie berichtigt werden. Dies ist hiermit geschehen.
Kunstprojekte haben einen anderen Anspruch als journalistische Berichterstattung.
"80+1 - Eine Weltreise" ist ein Projekt für
Linz 2009 Kulturhauptstadt Europas.
Mit freundlicher Unterstützung der voestalpine AG.
Mehr zu Linz 2009 in oe1.ORF.at
Hör-Tipps
Digital.Leben, bis 6. September 2009, Montag bis Donnerstag, 16:55 Uhr, "80+1 - Eine Weltreise", Berichte über das Projekt von "Linz 2009 Kulturhauptstadt Europas". Die einzelnen Beiträge sind auch über den Ö1 Podcast erhältlich.
Mehr dazu unter Ö1 Podcast
Die Sendungsinhalte zum Projekt "80+1" sind auch mobil unter der Festnetznummer 050 304-2009 abrufbar (Gebühren gemäß den Tarifen Ihres Telefonanbieters).
Veranstaltungs-Tipp
Die Präsentation des Projekts der Hauptschule 17 und der Gesamtschule Lampedusa findet am Mittwoch, 8. Juli und Donnerstag, 9. Juli 2009 um 10:00 Uhr am Linzer Hauptplatz statt.
Tipp
Zum Abschluss von 80+1 und dem gleichzeitigen Beginn der Ars electronica ist Radio Österreich 1 mit dem "Mobilen Ö1 Atelier" als Kommunikationsplattform auf dem Linzer Hauplatz präsent und widmet sich in Zusammenarbeit mit dem Festival dem Kernthema "Human Nature". Parallel dazu ist das Ö1 Kulturjournal live vor Ort und sendet von 31. August bis 4. September 2009 erstmals aus dem obersten Stock des neuen Ars Electronica Center (AEC).
Links
80 + 1