Wahnsinn und Wissenschaft
Durch die Wand
Ob parapsychologische Spione oder LSD-Experimente des CIA, Verschwörungstheorien haben immer Saison. Jon Ronson hat die angeblichen und tatsächlichen absurden Experimente der US-Armee gesammelt und ein unterhaltsames Buch daraus gemacht.
8. April 2017, 21:58
Im englischen Original heißt das Buch "The Men Who Stare at Goats" - Die Männer, die die Ziegen anstarren. Und damit ist man gleich mitten in der Geschichte. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert experimentierte die amerikanische Armee mehr und mehr mit den Möglichkeiten parapsychologischer Kriegsführung. Für ein solches Experiment wurden fast hundert Ziegen in Fort Bragg in einem verlotterten Spitalsgebäude eingesperrt. Die Stimmbänder wurden ihnen durchschnitten - damit niemand das Meckern hören konnte. Und dann begann ein gewisser Guy Savelli, eine bestimmte Ziege anzustarren.
"Ich wollte einen Weg finden, diese Ziege umzulegen. Wir haben dieses Bild des Erzengels Michael mit dem Schwert. Also dachte ich an dieses. Ich dachte daran, wie der Erzengel Michael mit seinem Schwert..."
Guy führte vor, wie der Erzengel gewaltsam sein Schwert in die Ziege sticht.
"... durch die Ziege sticht..."
Guy klatschte seine Hände zusammen.
"... und sie zu Boden fällt. Und dann nach fünfzehn Minuten sagte ich zu Lenny, er solle nachschauen. Lenny von der Sondereinheit verschwand im Raum mit der Ziege. Er kam zurück und verkündete, erstaunt und ernsthaft: "Die Ziege liegt am Boden."
Menschen, die durch bloße Willenskraft den Herzschlag von Ziegen unterbinden können, ein hochrangiger Generalmajor der amerikanischen Armee, der unbedingt durch Wände gehen möchte, Uri Geller, der seltsame Andeutungen macht, er wäre ein parapsychologischer Spion gewesen, Jon Ronson hat in seinem Buch äußerst seltsames Material zusammengetragen.
Der mysteriöse Tod des Frank Olson
Immer an der Grenzen zwischen Wahnsinn und Wissenschaft, zwischen Normalität und Verschwörungstheorie wandernd, versucht Ronson zu zeigen, in welche Bereiche sich die amerikanischen Geheimdienste vorwagten. MK Ultra zum Beispiel. Das war der Codename für ein umfangreiches, geheimes Forschungsprogramm der CIA über Möglichkeiten der Bewusstseinskontrolle. Es wurde von 1953 bis in die 1970er Jahre hinein durchgeführt.
Ahnungslosen Testpersonen wurde LSD verabreicht, weil man wissen wollte, wie sie darauf reagieren. Ziel des Projekts war es, ein perfektes Wahrheitsserum für die Verwendung im Verhör von Sowjet-Spionen im Kalten Krieg zu entwickeln, sowie die Möglichkeiten der Gedankenkontrolle zu erforschen. Angeblich eröffnete das CIA sogar ein MK Ultra Bordell in New York, wo die Getränke der Kunden mit LSD versetzt wurden.
Einer, der maßgeblich an dem Programm mitarbeitete war Frank Olson. Der starb 1953 durch einen Sturz durch die Glasscheibe eines geschlossenen Fensters im 10. Stock eines New Yorker Hotels. Lange Zeit glaubte man, es wäre ein Unfall gewesen, dann wurde eingeräumt, er hätte LSD bekommen und deshalb geglaubt, er könne fliegen. Sein Sohn Eric Olson aber ist davon überzeugt, dass der CIA seinen Vater beseitigt habe, weil er moralische Skrupel bekam. Olsons Witwe erhielt 1975 750.000 US-Dollar von der US Regierung ausbezahlt und eine persönliche Entschuldigung des Präsidenten, sowie eine Reihe von Dokumenten, die die Selbstmordversion unter Drogeneinfluss stützten. Ob nun Unfall oder Mord, die Wahrheit wird man wohl nie erfahren. Informanten, die etwas andeuten, dann aber verstummen, Dokumente, die zerstört wurden. Nichts ist greifbar, alles möglich.
Was ist Wahrheit, was Lüge?
Diese Unbestimmtheit zieht sich wie ein roter Faden durch die von Ronson kompilierten Geschichten. Der Autor räumt in seinem Buch auch jenen breiten Raum ein, die offensichtlich verrückt sind. So wie der selbst ernannte Hellseher Major Ed Dames.
Zwischen 1995 und heute sagte Major Ed Dames neben Rinder-Aids unter anderem Folgendes voraus: Schwangere Marsmenschen, die unter der Erde der Wüste lebten, würden emporsteigen und Dünger von amerikanischen Firmen stehlen; man würde herausfinden, dass Aids zuerst bei Hunden, nicht bei Affen aufgetreten sei; fliegende Pilze aus galaktischen Zylindern würden alle Ernten vernichten; die Existenz Satans, Gottes und der Engel würde zweifelsfrei bewiesen werden und Präsident Clinton würde 1998 auf einem Golfplatz von einem Blitz getötet werden.
Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 boomen Verschwörungstheorien wieder. Die haben meist ein klares Anliegen; Sie wollen zeigen, dass die vermeintliche Wahrheit eine Lüge ist. Was Jon Ronson mit seinem Buch belegen will, bleibt hingegen im Dunkeln. Hier wird alles mit allem gemischt. Die Verhörtechniken im Irakkrieg mit den Verhandlungen des FBI rund um die Belagerung von Waco, bei der neben David Koresh auch die meisten seiner Jünger den Tod fanden.
Mit "strahlenden" Augen
Vieles ist bekannt, vieles ganz einfach nur seltsam. Das Erste Erdbataillon zum Beispiel, dessen Soldaten symbolische Tiere in feindliche Länder bringen und lernen sollten, wie man Menschen mit "strahlenden Augen" begrüßt. Oder die Vorgänge rund um die Firma Silent Sounds. Die stellt CDs her, die den Gemütszustand der Menschen nachhaltig verändern können, wie der Vorsitzende Oliver Lowry erklärte.
Er sagte, die Amerikaner hätten böse unterschwellige Töne gegen irakische Soldaten im Ersten Golfkrieg eingesetzt, aber sie hatten in den folgenden Jahren "ernste Probleme, die unterschwellig eingesetzten Ängste aus ihren Köpfen zu kriegen. Negative Dinge sind teuflisch schwer wieder rauszukriegen", schmunzelte er.
Für Anhänger von Verschwörungstheorien ist "Durch die Wand" sicher eine ergiebige Quelle. Alle anderen, die sich lieber an nachvollziehbare Daten und Fakten halten, werden mit dem Buch nur wenig anfangen können.
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Buch-Tipp
Jon Ronson, "Durch die Wand. Die US-Armee, absurde Experimente und der Krieg gegen den Terror", aus dem Amerikanischen übersetzt von Martin Jaeggi, Salis Verlag
Link
Salis Verlag - Jon Ronson