Sonic Zones - Teil 8 - Zeitzone +9

Im Korsett des Permafrost

20 Jahre nach dem Mauerfall laden Anna Ceeh und Franz Pomassl von Laton auf eine musikalische Entdeckungsreise in das Gebiet der früheren UdSSR. Mit der transsibirischen Eisenbahn geht es in die russischen Städte Tschita, Jakutsk und Blagoweschtschensk.

Sonic Zones Teil 8 zum Nachhören

Unser erster Zwischenstopp auf unserer Reise durch die Zeitzone +9 führt uns nach Tschita, in die Hauptstadt von Transbaikalien in Südostsibirien, unweit der mongolischen und chinesischen Grenze. Ein Großteil der Bevölkerung dort sind Buriaten, schildert Anna Ceeh. Oft hätte sie sich schon die Frage gestellt, ob denn nun Russland wirklich in Asien liege, - jetzt nicht geographisch, sondern soziokulturell besehen. Wenn man sich dann aber eine Zeitlang in diesem Territorium auf der "anderen" Seite des Ural Gebirges aufhält, bestünde tatsächlich kein Zweifel mehr.

Karges Leben

In Zeitzone +9 befinden wir uns in einem toten Eck des postsowjetischen Musikterritoriums, erklärt Franz Pomassl. Es gibt zwar eine Straße nach Wladiwostok, aber keine nach Moskau, führt Anna Ceeh weiter aus, was nicht zuletzt auch den Handel und das Wirtschaftsleben in Tschita sehr erschwert, und das hat Auswirkungen auf die lokale Musikszene.

Anna Ceeh: "Die Leute machen dort eher Rockmusik oder werden House DJs, weil das ertragreicher ist. Als elektronischer Musiker hat man keine Möglichkeit aufzutreten. Kleine unabhängige Clubs gibt es nicht. So einen zu betreiben, kann sich niemand leisten." Weshalb sie uns nun auch keine Musik- oder Ausgehtipps geben könnten, ergänzt Franz Pomassl.

Im Schatten von China Glamour

Wir ziehen weiter, verlassen die Route der transibirischen Eisenbahn und nähern uns noch mehr der chinesischen Grenze an, konkret jenem Stückchen Grenze, wo der Fluss Amur das Land in zwei höchst unterschiedliche kulturelle Welten trennt, die einander jedoch tagtäglich direkt gegenüberstehen.

In der russischen Stadt Blagoweschtschensk, die sich am Ufer des Flusses Amur befindet, braucht man keinen Fernstecher, um zu sehen, dass die Chinesen in der am anderen Ufer gelegenen Stadt Heihe Wolkengratzer, Parks und immer wieder bunte Feste haben. Das Leben der Bewohnerinnen und Bewohner von Blagoweschtschensk sehe im Vergleich dazu, gleich noch trister aus, so Anna Ceeh.

Vielleicht sei ja auch diese Unmittelbarkeit des "chinesischen Glamours" der Grund dafür gewesen, dass 2003 in Blagoweschtschensk das bislang vielleicht größte Rock-Musikfestival im Fernen Osten Russlands stattgefunden hat, skurriler Weise zur Feier des Geburtstages vom Bürgermeister, wie Anna Ceeh erzählt. Ceeh und Franz Pomassl waren eingeladen, den Musiker Park Modern, dessen Musik sie auch schon auf Laton herausgebracht haben, zu begleiten. Es herrschte überbordender Luxus.

Anna Ceeh: "Wir haben alle in Luxussuiten gewohnt und Führer zur Seite gestellt bekommen, die uns die Stadt gezeigt haben. Die Auftritt von Park Modern war für die Leute dann aber wie ein Schlag ins Gesicht. Offensichtlich haben die Veranstalter im Vorfeld nicht wirklich gewusst, dass er elektronische Musik macht und eben nicht Rockmusik. Sie konnten jedenfalls überhaupt nichts mit dieser Musik anfangen."

Postfolklore

Daher können uns Franz Pomassl und Anna Ceeh nun auch hier keine Musik empfehlen. Wir setzen unsere Reise zügig fort und dringen noch weiter in den Nordosten Sibiriens vor. Unseren letzten Halt in der Zeitzone +9 legen wir in Jakutsk ein, in der Hauptstadt von Jakutien, die gleich noch einmal um ein Eck abgeschiedener ist.

Den Großteil des Jahres kann man Jakutsk überhaupt nur mit dem Flugzeug erreichen, weil es kaum möglich ist, auf dem Permafrostboden rund um die Stadt herum Straßen zu bauen. In den langen Wintern hat es im Durchschnitt minus 46 Grad. Auch hier steht es um die experimentelle elektronische Musik äußerst schlecht bestellt.

Anna Ceeh und Franz Pomassl kommen dann aber auf eine andere Musikszene in Jakutsk zu sprechen, auf die - wie sie mitunter bezeichnet wird - Szene der postfolkloristischen und postschamanistischen Musik, so wie sie sich dort aus der Musiktradition der Ureinwohner unter der kommunistischen Herrschaft in der UdSSR herausgebildet hat und nun in kapitalisierter Form im heutigen Russland weiterbesteht, - nicht ohne Zutun einiger dieser besagten Ureinwohner und Ureinwohnerinnen.

Und für einen Augenblick scheinen Ceeh und Pomassl das Mikrophon zu vergessen und beginnen sich in einen Meinungsaustausch zu verstricken, der einen Einblick in die intensive Auseinandersetzung bietet, die es uns überhaupt erst ermöglicht, Ihnen jedes Monat eine weitere Zeitzone dieses riesigen weitgehend unerforschten Musikterritoriums zu präsentieren.

Die Minderheiten vorführen?

In der UdSSR und nun in Russland wollte man und will man auch heute noch zeigen, dass man eine multiethnische Nation ist, in der es den einzelnen Minderheiten gut geht. Dies hätte zu diesem „Vorführcharakter“ geführt, den heute die üblicherweise in der Stadt präsenten Folkloremusik-Formationen haben.

Franz Pomassl verweist in diesem Zusammenhang auf Kama Records, jenem Label aus Ischewsk, dem wir in der Sonic Zones Folge Nummer 3 schon begegnet sind und deren Macher neben elektronischer Musik etwa auch ursprüngliche udmurtische Folklore veröffentlichen, die sie mit viel Feingefühl für etwaige Empfindlichkeiten selber aufgenommen haben.

Hier würde sich die Situation nun aber noch einmal anders verhalten, wendet Anna Ceeh daraufhin ein, eben weil man nun auch tatsächlich in Asien angekommen sei: "Obwohl wir über elf Zeitzonen hinweg alle Russisch gelernt haben, verstehen wir uns hier nicht mehr wirklich. Die Kulturen sind einfach zu verschieden."

Hör-Tipp
Zeit-Ton, Mittwoch, 5. August 2009, 23:03 Uhr

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