Hochhuth, Peymann und das Theater am Schiffbauerdamm

Berliner Theaterstreit

"Narr", "Streithansel", "Unehrlichkeit in Person", das waren nur einige der Unfreundlichkeiten, die sich Rolf Hochhuth und Claus Peymann in letzter Zeit an den Kopf geworfen haben. Anlass ist die Frage, ob Hochhuth das Theater im Sommer nutzen darf - oder eben nicht.

Ein zunehmend eskalierender Streit um das renommierte Theater am Schiffbauerdamm hat die Berliner Kulturszene in den letzten Tagen in Atem gehalten. Der Dramatiker Rolf Hochhuth, bekannt vor allem durch sein kirchenkritisches Stück "Der Stellvertreter", hat zuletzt sogar mit gerichtlichen Mitteln versucht, in der spielfreien Zeit sein Stück "Sommer 14" über den Ausbruch des Ersten Weltkriegs zur Aufführung zu bringen. Hochhuth, dessen von ihm gegründete Ilse-Holzapfel-Stiftung Eigentümerin der Heimstätte des Berliner Ensembles ist, beruft sich dabei auf geltende Verträge.

In den Besitz der Immobilie gelangte der Dramatiker auf Wunsch der Vorbesitzer, der Familie Wertheim, die nicht wollte, dass just jene Stadt Eigentümerin wird, in der der Holocaust auf der Wannseekonferenz beschlossen wurde.

Untermieter Claus Peymann, schon in den vergangenen Jahren von dieser Art der Sommernutzung wenig angetan, verweigerte ihm die Aufführung des Stückes im Berliner Ensemble, weil Hochhuth sein Projekt nicht vertragsgemäß angemeldet habe und jetzt Bauarbeiten stattfänden, so die Begründung.

Mit gerichtlichen Mitteln

Am Donnerstag dieser Woche hat sich Hochhuth gegen den Widerstand einiger Angestellter Zugang in "sein Haus" verschafft. "Holt die Polizei, wenn man mich hier rausschmeißen will! Ich bin der alleinige Besitzer dieses Hauses!" rief der 78-jährige Dramatiker und stürmte die Treppen zum oberen Theaterfoyer hoch, wo er neben dem Brecht-Zimmer mit Peymann und der Berliner Kulturpolitik abrechnete. Danach stellte sich Hochhuth demonstrativ den Kameras und Fotografen auf dem Balkon des Berliner Ensembles über dem Bertolt-Brecht-Platz, bevor er wieder zu Theaterproben in das Veranstaltungszentrum Urania als Ausweichspielstätte fuhr.

Es ist eine Ironie dieses Streits, dass es just Claus Peymann war, der als Burgtheaterdirektor dieses Stück bei Hochhuth in Auftrag gegeben hat und unter dessen Intendanz "Sommer 14 - Totentanz" 1990 in der Regie des britischen Regisseurs Robert David MacDonald im Wiener Akademietheater seine Premiere gefeiert hat. Die Berliner Premiere ist nur für diesen Sonntag in der Urania geplant.

Zuletzt versuchte Hochhuth seine Ansprüche sogar noch mittels Einstweiliger Verfügung gerichtlich durchzusetzen. In der Erstentscheidung wurde Hochhuth abgewiesen, worauf dieser den Mietvertrag für das Berliner Ensemble für gekündigt erklärte. Der Anwalt des Landes Berlin, Peter Raue, sieht die Kündigung allerdings als "gegenstands- und grundlos" an, da das Land Berlin den Vertrag nicht verletzt habe. Der Vertrag laufe bis Ende 2012 mit einer vereinbarten Option auf weitere 15 Jahre. Am Freitag schließlich zog Hochhuth jedoch die Berufung zurück, um die Premiere des Stücks am Ausweichstandort nicht mehr zu gefährden.

Autor mit gesellschaftspolitischem Engagement

Rolf Hochhuth hat mit seinem 1963 am Berliner Kurfürstendamm uraufgeführten Vatikan-Stück "Der Stellvertreter" den wohl größten Theaterskandal im Nachkriegsdeutschland ausgelöst. Seitdem hat der "große deutsche Dramatiker in der Nachfolge Friedrich Schillers" und "Streithansel", wie ihn Claus Peymann (72) in einem Atemzug nennt, für Skandale anderer Art und eher am Rande der wirklichen Bühnenkunst gesorgt.

Hochhuth war schon oft und vielen ein Ärgernis oder gar, wie dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger (CDU) ein Verhängnis, den er mit seinen typischen NS-Archiv-Recherchen 1978 sogar zu Fall brachte. Als "Pinscher" gehörte Hochhuth schon in den 1960er Jahren zu den von Bundeskanzler Ludwig Erhard (CDU) beschimpften Schriftstellern, die es wagten, sich plötzlich auch in die sozialen Auseinandersetzungen der noch jungen Bundesrepublik einzumischen.

Hochhuth hat auch nach dem "Stellvertreter" durchaus immer wieder gesellschaftspolitischen Instinkt als Bühnenautor bewiesen wie zum Beispiel mit seinem Stück "Ärztinnen", mit dem er schon vor mehr als einem Vierteljahrhundert seine dramatische Wut gegen bestimmte Machenschaften im Ärztemilieu und in der Pharmaindustrie richtete. Oder mit seinem Wiedervereinigungs- und Treuhand-Stück "Wessis in Weimar", das der inzwischen verstorbene Regisseur Einar Schleef 1993 gegen den Widerstand des Autors am Berliner Ensemble zum Bühnenerfolg machte. Denn ohne eine "Regie-Pranke" offenbarten Hochhuths Stücke oft genug die von vielen Kritikern bemängelte "hölzerne Sprache" und die Neigung zu einer Überfülle von Faktenmaterial in seinen "thesenhaften Stücken".

Das schrieb ihm auch Peymann einmal ins Stammbuch, als er in einem Zeitungsbeitrag ("B.Z.") meinte, Hochhuth solle statt ständig Streit zu suchen endlich wieder mal ein gutes Theaterstück schreiben. Seine Tragik sei es wohl, dass ihm nach dem "grandiosen Wurf" mit dem "Stellvertreter" nie mehr ein zweites Stück von ähnlicher Qualität geglückt sei. Stattdessen habe er sich mit dem Berliner Ensemble wie Richard Wagner "ein eigenes Bayreuth" schaffen wollen, "aus dem pausenlos die Hochhuth-Stücke heraussprudeln". Aber Hochhuth sei "ein Narr" und Don Quichotte, der nicht in der Wirklichkeit lebe, "ein verzweifelter Clown", aber eben auch "ein kämpferischer Theatermacher, auf den Berlin stolz sein kann" und, wie Peymann seinerzeit (zum 75. Geburtstag Hochhuths 2006) auch meinte: "Ich liebe ihn ja auch irgendwie. Man muss ihn lieben, auch wenn man ihn kaum erträgt."