Vorsorge auf dem Prüfstand

Früherkennungsmethoden

Früherkennungsmaßnahmen werden seit einigen Jahren zunehmend kritisch betrachtet. Früh erkannt und früh behandelt ist in jedem Fall die beste Variante. Dieser Satz scheint logisch - tatsächlich stimmt er nur in wenigen Fällen.

Erstmals dachte der englische Arzt Dr. Horace Dobell über Früherkennung nach. Das war im Jahre 1861. Sein Konzept setzte sich in England allerdings nicht durch. Um 1920 begannen in den USA Lebens- und Krankenversicherungen, die ihre Prämien nach dem Gesundheitszustand der Versicherten bemaßen, sich dafür zu interessieren. Sie boten ihren Kunden in der Folge regelmäßige Kontrolluntersuchungen an. Erste Datensätze wurden gesammelt und ausgewertet. Dies war die Geburtsstunde eines der größten Irrtümer der Medizingeschichte.

Die Daten ergaben, dass jene Menschen, die sich den regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen unterzogen, gesünder blieben und länger lebten. Dies hatte aber mit den Vorsorgeuntersuchungen nichts zu tun, sondern mit der Lebenssituation dieser Gruppe. Wer hatte schon in den 1930er Jahren ausreichend Zeit, Geld und Disziplin, um regelmäßig zum Arzt zu gehen. Mit anderen Worten: Jene Menschen, die damals regelmäßig medizinische Kontrollen aufsuchen, gehörten zu den sozial privilegierten und diese Menschen lebten einfach gesünder.

Das ist übrigen bis zum heutigen Tag so geblieben - eines der großen ungelösten Probleme aller Vorsorgekampagnen. Die, denen es nützen würde, werden nicht in ausreichendem Umfang erreicht.

Erste kritische Betrachtungen

In den 1970er Jahren begannen Epidemiologen, die Sinnhaftigkeit von Früherkennungs-Methoden in Frage zu stellen. Sie machten sich auch erstmals darüber Gedanken, welche Fallstricke jene Studien, die den Wert der medizinischen Vorsorge belegen sollten, in sich bergen könnten. Als Evidenz basierte Medizin vergleicht diese Disziplin bis heute Nutzen und Schaden von Vorsorgeuntersuchungen und kommt zu dem Schluss: Nur bei wenigen Früherkennungsmaßnahmen überwiegt der Nutzen.

Unter welchen Umständen ist Früherkennung sinnvoll?
Es muss eine Reihe von Begleitumständen gegeben sein, damit eine Früherkennungsmaßnahme überhaupt Sinn macht.
Die wichtigsten davon sind:

  • Die Erkrankung nach der man sucht, sollte in der Gruppe der Untersuchten häufig vorkommen. Dies ist eines der großen Probleme bei der Krebsfrüherkennung, denn jede einzelne Krebsart, für sich allein gesehen, ist recht selten.
  • Die Testverfahren sollten sehr zuverlässig sein - dies ist nicht immer der Fall.
  • Die gefundene Erkrankung muss behandelbar sein und ein früher Behandlungsbeginn muss von Vorteil sein.
  • Die Früherkennungsmaßnahme darf nicht mehr Schaden als Nutzen anrichten!
  • Es muss gesicherte Qualitätskriterien für die Früherkennung selbst und alle weiteren Maßnahmen geben.
Früherkennung ist also auf den zweiten Blick eine recht komplizierte Sache.

Können Früherkennungsuntersuchungen schaden?
Früherkennungsmaßnahmen haben in fast allen Teilen der Bevölkerung, auch innerhalb der Ärzteschaft, einen sehr guten Ruf. Nicht immer zu Recht.

Wie drückte es der Doyen der Vorsorgeuntersuchungen, der Brite Muir Gray bereits vor über zehn Jahren aus: "Alle Screening-Früherkennungsprogramme schaden; manche können auch nützen. Der Schaden tritt sofort auf, für den Nutzen braucht es länger, bis er sichtbar wird. Daher ist die erste Wirkung jedes Programms, auch wenn es ein nützliches ist, dass es die Gesundheit der Zielgruppe verschlechtert."

Kompliziert; aber leider wahr
Was auf den ersten Blick kaum zu glauben ist, stimmt dennoch. Das hat mit den Besonderheiten der jeweiligen Untersuchungsmethode zu tun:

  • Ein Screening-Programm ohne falsch positive Befunde (der Befund zeigt eine Erkrankung an, die nicht existiert) übersieht zu viele Fälle, um wirksam zu sein.
  • Ein Screening-Programm ohne falsch negative Befunde (der Befund zeigt keine Erkrankung an, obwohl sie vorhanden ist) verursacht zu großen Schaden an der gesunden Bevölkerung.
Diese Fakten mögen zwar für eine Gesamtpopulation eher bedeutungslos sein. Aber ein einziger falsch positiver Befund - denken Sie nur an eine unnötige Brustamputation - kann für das Individuum verheerende Folgen haben.

Welche Früherkennung ist sinnvoll?
In Deutschland wird die Diskussion über den Wert von Früherkennung schon seit etwa zehn Jahren ernsthaft geführt. Befürworter und Gegner lieferten sich leidenschaftliche Debatten.

Eines wurde dabei rasch klar: Die Krebs-Früherkennungsmaßnahmen sind nicht so wirksam, wie meist dargestellt und von den meisten Menschen angenommen.

So muss man beispielsweise 2.000 Frauen zehn Jahre lang jährlich einer Mammographie unterziehen, um eine zu retten. Mit anderen Worten, eine Frau die regelmäßig zur Mammographie geht, senkt ihr persönliches Risiko an Brustkrebs zu sterben um 0,2 Prozent.

Aktuell werden in Deutschland als Massen-Screening die Früherkennung von Brust-, Darm, und Gebärmutterhalskrebs angeboten und von den Krankenkassen bezahlt.

Bevölkerung überschätzt Möglichkeiten der Früherkennung
Eine aktuelle Umfrage von Gerd Gigerenzer vom Max Planck Institut in Berlin zeigt, dass Patientinnen und Patienten wie auch die Ärzteschaft den Nutzen von Früherkennung falsch einschätzen. Bei der Studie wurden erstmals europaweit mehr als 10.000 Menschen befragt. 92 Prozent der Frauen überschätzen dabei den Nutzen der Mammografie als Mittel zur Vermeidung einer tödlich verlaufenden Brustkrebserkrankung. Ähnlich verhält es sich bei den Männern bezüglich des PSA-Tests zur Früherkennung eines Prostata-Karzinoms. Hier waren 89 Prozent der Meinung, damit das Risiko, an Prostatakrebs zu sterben, deutlich verringern zu können.

Erschreckend war, dass auch Ärztinnen und Ärzte über Schaden und Nutzen von Früherkennung nicht ausreichend Bescheid wissen, so das Ergebnis der Studie "Public Knowledge of Benefits of Breast and Prostate Cancer Screening in Europe".

Vorsorge und Früherkennung in Österreich
In Österreich werden derzeit die Brustkrebs- und die Darmkrebs-Früherkennung nicht als Massen-Screening angeboten. Natürlich erhält jede Frau, bzw. jeder Mann diese Untersuchungen bei Bedarf, aber es werden nicht alle über 50 dazu per Brief eingeladen.

In Österreich gibt es aus Sicht der evidenzbasierten Medizin zwei sinnvolle Früherkennungsprogramme: Die Mutter-Kind-Pass-Vorsorge und die Gesundenuntersuchung, die 2005 reformiert wurde.

Der Mutter-Kind-Pass zielt nicht nur darauf ab, die Sterblichkeitsrate von Mutter und Kind zu senken, sondern durch eine Palette an Untersuchungen eventuelle gesundheitliche Schäden zu vermeiden. Das gelingt nachgewiesenerweise etwa bezüglich des Schwangerschaftsdiabetes der Mutter, der unbehandelt zu Komplikationen bei der Geburt führen kann.

Bei Neugeborenen kann durch eine einfache Blutuntersuchung eine ganze Reihe von Stoffwechselerkrankungen festgestellt werden, die unbehandelt zu irreversiblen Schäden führen würden.

Im Rahmen der Gesundenuntersuchung haben alle Menschen, die in Österreich gemeldet und älter als 18 Jahre alt sind, die Möglichkeit einer kostenlosen Untersuchung. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die moderne Lebensstil-Medizin gelegt, um die häufigen Zivilisationskrankheiten wie zum Beispiel Diabetes und Bluthochdruck früh zu erkennen.

Hör-Tipp
Radiodoktor - Medizin und Gesundheit, Montag, 31. August 2009, 14:20 Uhr

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