400.000 Menschen in akuter Armut
Grundsicherung
Knapp eine Viertelmillion Menschen in Österreich ist auf Sozialhilfe angewiesen. 80 Prozent davon sind sogenannte "working poor". Die Regierung hat jetzt die bedarfsorientierte Mindestsicherung beschlossen. Was bedeutet das? Welche Alternativen gäbe es?
8. April 2017, 21:58
Insgesamt leben in Österreich rund 400.000 Menschen in akuter Armut. Tausende davon haben auch Kinder zu versorgen. Rund 220.000 Menschen beziehen Sozialhilfe, inklusive jenen in Alten- und Pflegeheimen. Fast die Hälfte davon - rund 95.000 - lebt in Wien.
Wer bekommt Sozialhilfe?
Sozialhilfe bekommen Menschen, die zu wenig verdienen, Arbeitslose nach einem Jahr Arbeitslosengeld, Notstandsbezieher und Menschen, die zu wenig oder gar keine Versicherungszeiten aus einer Erwerbstätigkeit haben.
Für die Sozialhilfe sind die Länder zuständig, die Regelungen und damit auch die Höhe der Unterstützung sind in jedem Bundesland anders. Im Schnitt bekommt man derzeit zwischen 500 und 600 Euro im Monat, dazu kommen unterschiedliche Wohn-Zuschüsse und Zuzahlungen für Reparaturen von Boilern und Waschmaschinen.
In manchen Bundesländern gilt außerdem ein Regress, das heißt, Verwandte oder die Sozialhilfeempfänger selbst müssen alle Zuschüsse zurückzahlen, sobald sie wieder eine Arbeit gefunden haben.
Wandel am Arbeitsmarkt
Der Arbeitsmarkt hat in den letzten 20 Jahren einen starken Wandel durchgemacht. Bedingt durch vermehrte Teilzeit-Jobs aber auch durch die neuen Selbständigen gibt es immer mehr so genannte "working poor". Darunter versteht man Menschen, die zwar eine Arbeit haben, aber zu wenig damit verdienen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Rund 80 Prozent der Sozialhilfe-Empfänger sind solche "working poor", die meisten von ihnen brauchen nur einige Monate Sozialhilfe zur Überbrückung. Soweit der status quo.
Vier Modelle zur Armuts-Bekämpfung
Auf diesen Grundlagen wird deshalb seit vielen Jahren, nicht nur in Österreich, diskutiert, wie man Armut besser bekämpfen und verhindern kann, dass die Zahl der Sozialhilfe-Empfänger dramatisch steigt. Daraus haben sich grundsätzlich vier Modelle entwickelt, die sich inhaltlich, ideologisch und sozialethisch unterscheiden:
1. Modell: Sozialhilfe.
2. Modell: bedarfsorientierte Mindestsicherung.
Über die Sozialhilfe hinausgehend sollen andere Systeme wie Arbeitslosen-, Kranken-, und Pensionssystem mit einbezogen werden. Voraussetzung für finanzielle Hilfe in beiden Modellen sind Vermögensprüfung, Arbeitsmarktzugang und Berücksichtigung anderer Haushaltsmitglieder.
3. Modell: Grundeinkommen.
4. Modell: Basislohn.
Beide Modelle sehen keine Voraussetzungen für ein Grundeinkommen vor, vielmehr wird das als Grundrecht jedes Menschen verstanden. Das 4. Modell rückt zudem die Eigenverantwortung der Menschen in den Vordergrund, das heißt, die sozialen Sicherungssysteme sollten privatisiert werden.
Ein Grundeinkommen ohne Bedingungen, wie im 3. und 4. Modell beschrieben, fordert das "Netzwerk Grundeinkommen und sozialer Zusammenhalt", dem unter anderem die globalisierungs-kritische Organisation ATTAC oder die KPÖ angehören.
Regierung beschließt Mindestsicherung
Die Regierung hat sich im Juli nach jahrelangen Diskussionen auf das zweite Modell, also die bedarfsorientierte Mindestsicherung, geeinigt. Sie soll mit 1. September 2010 in Kraft treten, wie bisher werden die Bundesländer zuständig sein. Aus diesem Grund wird derzeit mit den Ländern noch diskutiert, zum Beispiel über die Frage, ob die 733 Euro netto künftig 12 Mal im Jahr ausbezahlt werden sollen oder 14 Mal wie ursprünglich geplant.
Der zuständige Sozialminister Rudolf Hundstorfer betont, man müsse das Gesamtpaket sehen. Derzeit geben die Länder 450 Millionen Euro im Jahr für die Sozialhilfe aus, für die Mindestsicherung würden insgesamt rund 600 Millionen Euro ausgegeben werden.
Was bringt die Mindestsicherung?
Rund 270.000 Betroffene sollen von der neuen bedarfsorientierten Mindestsicherung profitieren. Zuständig ist künftig das Arbeitsmarktservice, die neun verschiedenen Systeme der Bundesländer werden vereinheitlicht. Österreichweit sollen künftig 733 Euro netto im Monat, 12 Mal im Jahr, ausbezahlt werden. Sozialexperte Schenk sieht vier wesentliche Verbesserungen:
1. Alle Sozialhilfe-Bezieher bekommen eine e-card.
2. Für Alleinerzieher-Haushalte wird die Sozialhilfe leicht erhöht.
3. Der Regress wird abgeschafft. Künftig muss Sozialhilfe nicht - wie derzeit in einigen Bundesländern - zurückgezahlt werden.
4. Künftig gibt es schriftliche Bescheide über die Höhe der Sozialhilfe.
Kritik an der Mindestsicherung
Sozialexperte Schenk fordert, dass die Länder auch den Vollzug verbessern, sonst bleibe die Reform "ein Papiertiger". Nur Recht zu haben, nütze nichts, man müsse es auch bekommen, so Schenk.
Die Caritas kritisiert, dass 733 Euro netto im Monat zu wenig seien. Sie müssten zumindest 14 Mal im Jahr ausbezahlt werden.
Der Grüne Sozialsprecher Karl Öllinger spricht von einer "Mini-Sicherung", die nicht gegen Armut sichere. Als weitere Probleme nennt Öllinger die zu geringe Höhe, unterschiedliche Wohnkosten innerhalb Österreichs und offene Fragen bei der Vermögensanrechnung.
Das BZÖ warnt im Zusammenhang mit dem Sozialbereich von einer "Vollkasko-Mentalität". Wichtig sei, dass die Differenz zwischen Mindestsicherung und Mindestlohn so groß sei, dass sich Arbeit lohne, so das BZÖ. Das fordert auch die FPÖ. Darüber hinaus will die FPÖ, dass die Mindestsicherung nur für österreichische Staatsbürger ausbezahlt wird.
Hör-Tipp
Saldo, Freitag, 18. September 2009, 9:45 Uhr
Links
Österreichische Armutskonferenz - Mindestsicherung
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