Die neue und die alte Grippe

Die ganz gewöhnliche Seuche

Der fünf Jahre alte Edgar Hernandez in La Gloria, Mexiko dürfte der erste gewesen sein, der sich mit dem H1N1-Schweinegrippevirus ansteckte. Das war Anfang April 2009. Mittlerweile hat das neue Virus die Welt erobert.

Aller Wahrscheinlichkeit nach begann das H1N1-Schweinegrippevirus seine Odyssee um die Welt Anfang April 2009 in Mexiko, in der Ortschaft La Gloria. Mittlerweile hat das neue Virus die Welt erobert.

Von der Ausbreitung dieser Pandemie sind selbst erfahrene Grippeforscher wie Anthony Fauci, Direktor des staatlichen US-Forschungsinstituts für Infektionskrankheiten (NIAID), beeindruckt. "Das Tempo hat mich fasziniert. Es begann in einer Ortschaft. Nun gibt es Fälle in mehr als 170 Ländern. Wir Grippeforscher wissen historisch, dass Influenza sich so verhält. Doch so etwas mitzuerleben, ist dennoch beeindruckend."

Droht eine neue Spanische Grippe?

Die ganz normale, saisonale Grippe kostet weltweit jährlich zwischen 250.000 und 500.000 Menschen das Leben. Viele fürchten, das neue H1N1-Virus könnte heuer mehr Opfer fordern. Viel von dem Unbehagen um die neue Influenza ist in der Geschichte begründet: Jeder denkt an die Spanische Grippe 1918/1919.

Diese verheerendste Seuche aller Zeiten übertraf selbst die mittelalterliche Pest. Innerhalb nicht einmal eines Jahres starben weltweit rund 50 Millionen Menschen. Die Krankheit wütete auf allen Kontinenten: von entlegenen Dörfern in Alaska bis in die Schützengräben Frankreichs. In Österreich erlag ihr der erst 28 Jahre alte Egon Schiele. Es war ein Kennzeichen der Spanischen Grippe, dass sie vor allem junge Menschen dahinraffte. Auch die neue Influenza macht bevorzugt unter 40-jährige krank.

Der Mythos einer Frühlings- und Herbstwelle

Doch darüber hinaus Schlüsse aus der Spanischen Grippe auf die gegenwärtige Pandemie zu ziehen, führt zu unnötiger Beunruhigung. Denn so manches stellte sich mittlerweile als Mythos heraus. Über Jahrzehnte hielt sich etwa die Theorie, dass 1918 auf eine milde Frühjahrs- eine virulente Herbstwelle folgte.

Laut einer jüngsten Analyse des US-Forschungsinstitutes für Infektionskrankheiten gibt es dafür keinen Anhaltspunkt. "Ein Erreger der ersten Welle ist nie identifiziert worden", erklärt Anthony Fauci. "Wir wissen daher nicht, ob sich das Spanische Grippevirus verändert hat und tatsächlich virulenter wurde oder ob damals im Frühjahr ein ganz anderes Virus die Leute krank gemacht hat." Die Virusproben aus Alaska und England, die US-Forscher analysierten, stammen alle von Opfern, die im Herbst 1918 gestorben waren.

Das Arsenal der modernen Medizin

Der geborene Linzer Peter Palese baute das historische Spanische Grippevirus im Labor nach, um es besser zu verstehen. "Es ist in der Tat der virulenteste Influenzaerreger, den ich je gesehen habe", erklärt der Direktor für Mikrobiologie an der Mount Sinai School of Medicine in New York. Doch selbst dieses so gefürchtete Virus lässt sich mittlerweile besiegen. "Wir haben nachgewiesen, dass die zugelassenen Antigrippemittel das Virus von 1918 erfolgreich bekämpfen."

Und nicht nur das: "Wir haben in einer Analyse festgestellt, dass die Spanische Grippe zwar die Lunge angegriffen hat, doch zwischen 40 und 50 Prozent der Opfer sind in der Folge an sekundärer Lungenentzündung gestorben", erklärt Anthony Fauci.

Das heißt: Heute wären diese Patienten zu retten, doch damals fehlte es an medizinischem Wissen und Möglichkeiten. "Heutzutage gibt es dagegen Antibiotika; es gibt Intensivstationen mit mechanischen Beatmungsgeräten; es gibt Methoden, um die Atemfunktion des Patienten zu kontrollieren."

Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 21. September bis Donnerstag, 24. September 2009, 9:30 Uhr