Dem Wind auf der Spur

Die Sprache des Windes

Mit nur 110 Wörtern beschrieb Francis Beaufort zwölf Grade und Abstufungen des Windes. Inspiriert durch diese bahnbrechende Erfindung, macht sich der Lektor Scott Huler auf zu einer weiten Forschungsreise quer durch die Jahrhunderte.

Null. Windstille. Rauch steigt gerade empor.
Eins. Leiser Zug. Windrichtung nur angezeigt durch Zug des Rauches, aber nicht durch Windfahne.
Zwei. Leichte Brise. Wind am Gesicht fühlbar, Blätter säuseln, Windfahne bewegt sich.


Diese Beschreibungen stammen aus der so genannten Beaufort-Skala. Sie besteht aus 13 Stufen und charakterisiert, was Wind bewirkt und wie er sich anfühlt. Bei Stärke 7 etwa empfindet man fühlbare Hemmung beim Gehen gegen den Wind. Scott Huler stieß durch Zufall auf die Skala und verliebte sich in die Poesie der ebenso knappen wie präzisen Sprache.

"Ich war Korrektor in einem Verlag", erzählt Scott Huler im Gespräch. "Korrektoren befassen sich von Berufs wegen mit Worten und Sprache. (...) Die Beaufortskala ist mir wie ein schönes Gedicht vorgekommen. Ich war ganz besessen davon. Ich habe Leute gedrängt, dass sie sich zu mir setzen und die Skala lesen."

Wie eine Diagnoseliste

Die Beaufort-Skala ist nach dem berühmten britischen Admiral Sir Francis Beaufort benannt. Mit 14 Jahren ging er zur See, zehn Jahre später - zu Beginn des 19. Jahrhunderts - war er bereits Kapitän. Doch Scott Hulers Buch "Die Sprache des Windes" ist keine Biografie des Admirals. Im Mittelpunkt steht die Skala, wie sie zustande gekommen ist, und welche wissenschaftlichen Erkenntnisse ihr zugrunde liegen.

Über Jahre trug Scott Huler die Idee des Buches mit sich umher. Die Gelegenheit zur Niederschrift ergab sich schließlich durch ein Journalistenstipendium. Als er dem Komitee seine Idee von einem Buch über die Beaufort-Skala vortrug, traf er zunächst auf ebenso wenig Verständnis wie bei seinen Kollegen, "doch eine Frau in diesem Komitee war von Beruf Krankenschwester", erinnert sich Huler. "Sie sagte: Diese Skala ist wie eine Diagnoseliste. Man schaut einen Patienten an: Sind die Wangen gerötet, macht das Bein bestimmte Bewegungen, verschwimmt der Blick, wie riecht der Atem. Man stützt sich auf seine Erfahrung und benutzt dabei alle Sinne. So weiß man, was mit einem Patienten los ist. Und so verhält es sich auch mit der Beaufort-Skala. Sie ist ein diagnostisches Werkzeug für die Atmosphäre."

Rätselhafte Urmacht

Auf den Spuren von Francis Beaufort reiste der Autor etwa nach Argentinien. Der Admiral war ein präziser Kartograph und Chronist. Seine Tagebücher sind voller Zeichnungen und detaillierter Beschreibungen von allem, was ihm aufgefallen ist.

Scott Huler befasste sich auch mit der Geschichte der Wissenschaft über den Wind. Erst Mitte des 18.Jahrhunderts beschrieb ein Meteorologe die atmosphärische Ursache für die Passatwinde. Bis dahin galt Wind als ebenso faszinierende wie rätselhafte Urmacht. Dieser Meinung war auch Daniel Defoe. Der Autor des Klassikers "Robinson Crusoe" beschrieb einen damals legendären Sturm, der über England fegte.

"Das Schöne bei Defoe war: Er ist genauso präzise vorgegangen wie später Beaufort", meint Huler. "Defoe hat Informationen und Beobachtungen von Augenzeugen gesammelt. So wie später Beaufort hat er Beschreibungen für wichtig gehalten. Und das stimmt auch. Denn nun analysiert man etwa alte Logbücher, um Informationen über das Klima in der Vergangenheit zu bekommen. Und dank Defoes Beschreibung kann man nun Details über das Wesen dieses Sturms im frühen 18. Jahrhundert erfahren."

Bei 5 bis 6 wird's ungemütlich

Die Windskala trägt zwar den Namen von Sir Francis Beaufort, doch erfunden hat er sie eigentlich nicht. Skalen, um Wind objektiv zu erfassen, hat es schon Jahrhunderte vor dem Admiral gegeben. Er baute auf einer Methode des britischen Ingenieurs John Smeaton auf.

"Smeaton hat Wind mithilfe von Windmühlen beschrieben", erklärt Huler. "Null stand etwa dafür, dass sich das Windrad überhaupt nicht bewegte. Bei eins drehte es sich zu langsam, als dass man daraus hätte Energie gewinnen können. Beaufort war Seemann und Kapitän. Er organisierte die 13 Stufen der Skala nach den Segeln, die eine Fregatte damals mit sich führte. Bei 0 rührte sich das Schiff überhaupt nicht; bei 1 sind alle Segel gesetzt, und dennoch kommt man kaum vom Fleck; bei 5 bis 6 rafft man die Segel; bei 7 bis 8 holt man ein paar ein; bei 9 und 10 holt man alles ein, und bei 11 bis 12 kann man sich nur noch festhalten."

Genaue Beschreibung

Das Schiff wurde also zu einem wissenschaftlichen Instrument. Die mit diesen nautischen Charakteristiken erstellte Skala war jedem Seemann sofort verständlich, und sie setzte sich rasch in der Schifffahrt durch. Die Erfindung von verlässlichen Anemometern, Instrumenten zur Messung der Windgeschwindigkeit, markierten die nächste Stufe der Entwicklung, erzählt Scott Huler:

"1906 erschien in Großbritannien der Bericht, der die Beaufort-Skala und alle anderen wissenschaftlichen Daten so zusammenfasste, wie sie heute ist. Jede Stufe der Skala wurde genau beschrieben und mit Windgeschwindigkeiten versehen."

Glück für Darwin

Die Skala ist nicht Francis Beauforts einziges Verdienst. Ohne den Admiral wäre Charles Darwin nie auf die "Beagle" und die Galapagos-Inseln gekommen. Und das kam so: Robert Fitzroy, der Kapitän der "Beagle", wandte sich mit einer Bitte an Francis Beaufort.

"Beaufort war zu Anfang des 19.Jahrhunderts jener Mann, an den man sich wandte, wenn man in der Marine oder in den Wissenschaften Beziehungen brauchte", so Huler. "Er hat sich auch nie einer Sache in den Weg gestellt oder war eifersüchtig darauf bedacht, dass unbedingt sein Kandidat für eine Sache bestellt wurde. Er wollte einfach nur, dass Dinge passierten. Als Kapitän Fitzroy sich mit der Bitte um einen wissenschaftlichen Begleiter an ihn wandte, schrieb Beaufort ein paar Leute an. Und so kam Charles Darwin auf die 'Beagle'."

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Scott Huler, "Die Sprache des Windes. Wie ein Admiral aus dem 19. Jahrhundert Wissenschaft in Poesie verwandelte", Mare Verlag

Link
Mare - Scott Huler