Die Folgen des Krieges für die Nachfolgegenerationen

Kriegskinder, Kriegsenkel

Es hat über 60 Jahre gedauert, bis die Kinder des Zweiten Weltkriegs öffentlich wahrgenommen wurden. Eine ganze Generation litt ihr Leben lang unter den Schrecken des Krieges und niemand nahm es zur Kenntnis. Jetzt werden die Kriegskinder sichtbar.

Im Jahr 2002 änderte ein Buch die öffentliche Meinung. Günter Grass schrieb "Im Krebsgang", eine Novelle über den Untergang des mit deutschen Flüchtlingen besetzten Passagierschiffs "Wilhelm Gustloff". Das war ein Tabubruch, denn plötzlich durften die Deutschen als Opfer gesehen werden.

Jeder Zehnte traumatisiert

Sabine Bode beschäftigt sich seit Jahren mit jenen Menschen, die während des Zweiten Weltkriegs Kinder waren. Sie führte für ihr Buch "Die vergessene Generation. Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen" Hunderte Gespräche mit Kriegskindern, beginnend mit der Flakhelfergeneration bis zu jenen Kindern, die auf der Flucht geboren wurden.

Sie stellte sich die Frage, wie die Kinder von damals den Krieg verkraftet haben - Bombenangriffe, Flucht, Vertreibung und den Hunger. Oft hörte sie: Was wir damals erlebt haben, war für uns normal. Die Betroffenen selbst - zwischen 1930 und 1945 geboren - kamen gar nicht auf die Idee, dass sie traumatisiert sind. Inzwischen weiß man allerdings: Acht bis zehn Prozent dieser Jahrgänge leiden unter posttraumatischen Belastungsstörungen, sie sind seelisch krank.

Erinnerungen kommen im Alter hoch

Lange lehnten es die Kriegskinder ab, darüber nachzudenken, wie sich der Krieg auf ihr weiteres Leben ausgewirkt haben könnte. Man hatte ihnen in jungen Jahren beigebracht: "Schau nach vorn! Sei froh, dass du noch lebst. Vergiss alles." Jetzt steht die Generation der Kriegskinder nicht mehr im Beruf, sie hat mehr Zeit nachzudenken und die Kindheitserinnerungen kommen wieder hoch.

"Die sind richtig aufgewacht", sagt Sabine Bode. "Sie machen sich klar, dass die Gründe für ihre Schlafstörungen, Migräne oder Depressionen in den Schrecken des Krieges zu suchen sind. Denn stellen Sie sich mal vor, Sie haben ständig Angst und wissen nicht, warum. Da kommen Sie sich doch dumm vor!"

Der Krieg prägt auch die Enkel

Anne-Ev Ustorf ist 1974 geboren. Die Journalistin träumte als 20-Jährige immer wieder von zerbombten Städten und brennenden Ruinen, obwohl sie selbst nie einen Krieg erlebt hat. Zugleich fühlte sie, dass ihre Eltern für sie emotional nicht zu erreichen waren, und sie machte sich Gedanken, warum ihre Eltern so sind, wie sie sind.

"Was mir immer auffiel zu Hause war, dass es schwierig war, über Gefühle zu sprechen", sagt Ustorf. Auch viele Freunde kannten diese emotionale Sprachlosigkeit von ihren Eltern. Ustorf fing deshalb an, über die Kinder der Kriegskinder zu recherchieren, Gespräche zu führen und das Buch "Wir Kinder der Kriegskinder" zu schreiben. Anne-Ev Ustorf erkannte, dass viele der Probleme ihrer Generation auf die traumatischen Erfahrungen ihrer Eltern zurückzuführen sind.

Heute weiß man, dass Traumata von einer Generation auf die nächste übertragen werden können. Lange war das nur von den Opfern der Shoah bekannt, jetzt wird es auch bei vielen anderen Opfern des Krieges beobachtet und erforscht.

Enge Verstrickungen

Viele Kriegsenkel sind heute noch ganz eng in ihre Familiengeschichten verstrickt. Sie leiden unter Existenzangst, Identitätsverwirrungen, haben Bindungsprobleme und sind emotionale Analphabeten. Dennoch ist Anne-Ev Ustorf davon überzeugt, dass die Auswirkungen des Krieges nicht noch eine Generation massiv beeinflussen werden. Denn die Generation der Kriegsenkel ist jetzt in der Lage mit etwas Abstand die Kriegserlebnisse und ihre Folgen zu reflektieren.

Service

Buch, Sabine Bode, "Die vergessene Generation. Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen", Klett-Cotta Verlag

Buch, Sabine Bode, "Kriegsenkel: Die Erben der vergessenen Generation", Klett-Cotta Verlag

Buch, Anne-Ev Ustorf, "Wir Kinder der Kriegskinder. Die Generation im Schatten des Zweiten Weltkriegs", Herder Verlag

Buch, Hartmut Radebold, "Die dunklen Schatten unserer Vergangenheit. Hilfen für Kriegskinder im Alter", Klett-Cotta Verlag